Hört auf Rape Culture zu hypen!

Die Lust am Inkorrekten Etwa sechs Jahre verspätet schaue ich meine erste Folge "Game of Thrones" – Und bin erstaunt, wie viel Misogynie man in einer Stunde unterbringen kann.

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Zugegeben, ich bin mal wieder etwas spät mit etwas dran. Als die neue HBO-Serie Game of Thrones 2011 herauskam, habe ich sie nicht geschaut, weil ich mich einfach nicht dafür interessierte. Allerdings war es unmöglich, nicht mitzubekommen, wann eine neue Staffel herauskam oder wieder jemand ganz unvorhersehbar gestorben ist, da sich in meinem Bekanntenkreis rege über die unglaublichen Wendungen ausgetauscht und mit Begeisterung von den überraschenden Figurenentwicklungen erzählt wurde. Später habe ich dann ein paar Rezensionen gelesen, in denen der Serie Sexismus, Rassismus oder Gewaltverherrlichung vorgeworfen wurden, das ließ sie auf der Prioritätenliste nicht gerade steigen und so blieb ich weiter in Unwissenheit.

Als diesen Sommer die siebte Staffel erscheint und die Begeisterung einiger Freund*Innen immer noch nicht abgerissen ist, denke ich, dass nun endgültig der Punkt erreicht ist, wo Game of Thrones nicht zu kennen zur peinlichen Bildungslücke geworden ist. Irgendwas muss ja dran sein und man will ja mitreden können.

Eines freien Abends passiert es also; ich schaue die erste Folge der ersten Staffel: Und bin entsetzt! Meine ohnehin niedrigen Erwartungen werden weit unterboten, der empfundene Ekel über die Darstellung von sexualisierter Gewalt und exotisierten Untermenschen übersteigt alles, was mich die Kritiken haben erahnen lassen und bei dem Gedanken, dass so viele Leute, die ich mag, mit sowas ihre Freizeit verbringen, stirbt eine kleine Philanthropin in mir. Ein bisschen Köpfe-Abschlagen, ein bisschen Mittelalter-Kitsch, ab und zu Brüste und Vergewaltigungen und ein unangenehmer patriarchal-heroischer Pathos, der alles durchtränkt. Das Ganze scheint mir insgesamt der Porno-Phantasie eines verhaltensauffälligen 15-Jährigen entsprungen zu sein. Die meiste Zeit der guten Stunde bin ich einfach gelangweilt, in den Momenten, in denen ich nicht gelangweilt bin, bin ich unfassbar wütend. Als gegen Ende der Folge dann der bestialisch gezeichnete Anführer der sexbesessenen Barbaren, die zufällig viel weniger weiß sind als die übrigen Charaktere, die aller weißeste Frau vergewaltig, ihre Tränen dabei aber wunderschön im Sonnenuntergang glitzern, muss ich erst mal raus und ein paar Zigaretten zur Beruhigung rauchen. Das ist wirklich unterirdischer Mist. Aber genug des Verreißens, die Kritik ist ja nicht neu und hier soll es nicht um eine Rezension gehen.

Die Frage, die mich beschäftigt, ist vielmehr, warum gucken es dann alle trotzdem?

Auch das Konsum-Gehirn hat eine Schmerzgrenze

Die Leute in meinem Bekanntenkreis, von denen ich spreche, sind fast ohne Ausnahme gebildete, kritisch denkende Leute, die sich zumeist feministisch und antirassistisch positionieren. Warum ich einen Riesen-Nafri der eine blonde Minderjährige vergewaltigt als Bild irgendwie schwierig finde, muss ich denen gar nicht erklären. Im Grunde stimmen mir alle zu. Die Antwort auf die Frage, warum sie es dann schauen ist: Es macht aber doch trotzdem Spaß, man schaltet eben das Gehirn aus.

Ich habe absolut nichts gegen flache Unterhaltung und auch ich sehe mir keineswegs immer nur spannende Arte-Reportagen an. In meinem Alltag muss ich mich genug mit intellektuellen Themen auseinandersetzen, auch ich schalte dann zu Hause gerne mal das Gehirn aus und gucke mir alles Mögliche an, was das Trash-Fernsehen zu bieten hat. Aber auch mein Konsum-Gehirn hat Gefühle! Meine Ablehnung von Game of Thrones ist nicht aus einer intellektuellen Überlegung entstanden, sondern mein spontaner Affekt ist Wut und Ekel. Weil das, was da gezeigt wird, mich angreift.

Das ist ein bisschen wie mit schrägen Typen, die man in der Kneipe trifft und mit denen man Unsinn redet und Spaß hat, auch wenn man in anderen Situationen vielleicht nichts mit ihnen zu tun haben wollen würde. Aber auch nach drei Bier in der Kneipe, wenn jemand an meinen Tisch kommt, Nazi-Parolen ruft und mir in den Ausschnitt sabbert, verlasse ich die Situation, weil auch mein Feierabend-Gehirn die Situation als höchst unschön einstuft.

Ab Staffel vier werde es ein bisschen weniger sexistisch, erklärt mir ein Freund, aber ich finde das „ab Staffel vier ein bisschen weniger sexistisch“ kein unbedingtes Gütesiegel ist.

Mediale Sehgewohnheiten prägen das Bewusstsein

Natürlich, man ist das aus vielen anderen Formaten gewöhnt, dass Gewalt gegen Frauen als Spannungsträger verwendet wird ohne adäquat thematisiert zu werden und dass weiße Menschen die Fernsehleinwände dominieren. Und auch das ist problematisch. Game of Thrones stößt mir so sehr auf, weil ich den Eindruck habe, dass die Faszination fast ausschließlich im Betrachten von Gewalt und Erniedrigung liegt.

Menschen diesen Spaß verbieten zu wollen, hat etwas Moralinsaures. Wir alle haben Neigungen, die nicht immer politisch korrekt sind und die will ich niemandem verübeln. Aber was mich stört, ist die unfassbare öffentliche Aufmerksamkeit, die die Erfolgsserie bekommt. Mein Facebook-Feed ist voll davon, die Leute reden darüber.

Man kann Vegetarier sein, sich gegen Fleischkonsum starkmachen und trotzdem ab und zu heimlich einer Heißhungerattacke auf Mettwurst erliegen, man kann eine emanzipierte, selbstbewusste Frau sein und sexuelle Unterwerfungsphantasien haben und man darf sogar Freude an der Betrachtung von kinky Fantasy-Sadismus mit antiquierten Rollenbildern wie in Game of Thrones haben. Alles okay. Macht zu Hause was ihr wollt, solange es niemandem schadet. Aber: Was man öffentlich teilt und propagiert, das formt gesellschaftliche Realitäten.

Es geht um die Frage, welches Bild von Frauen und von Männern wir in der Öffentlichkeit sehen wollen, wie People of Color in den Medien repräsentiert werden, und was unser Umgang mit sexueller Gewalt ist. In sozialen Netzwerken und via Mundpropaganda Werbung für eine Serie zu machen, in der diese erotisiert und verharmlost wird, ist problematisch. Denn unsere medialen Sehgewohnheiten prägen unser Bewusstsein. Dabei wäre es so wichtig, ernsthaft über den gesellschaftlichen Umgang mit Opfern von Sexualverbrechen zu sprechen. Hört auf, Rape-Culture salonfähiger zu machen, als sie es ohnehin schon ist! Wer solche Darstellungen weiter verbreitet, der verbreitet auch das darin vermittelte Weltbild. Also Gehirn wieder einschalten.

Und zum Schluss noch eine Empfehlung: Um meinen Abend zu retten suche ich dann sehr dringend nach einer Serie, die mich besänftigt, und finde die Erlösung bei Netflix in Master of None. Das Konzept der Serie in meinen Worten: Ein Mann verhält sich, als sei das dritte Jahrtausend angebrochen. Wie wenig einen doch manchmal glücklich machen kann.

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