Requisiten wie dieses schick drapierte Brot hatten schon Auftritte in derart vielen Prenzlauer-Berg-Satiren
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Es ist Teil des bürgerlichen Habitus, Probleme mit der eigenen Bürgerlichkeit zu haben. Sophie Passmann weiß das. Ihr neues Buch Komplett Gänsehaut, das sich selbst dem Genre „Literarischer Selbsthass“ zuordnet, ist Ausdruck des Leidens an der Banalität des eigenen Leids: „Ich habe die Langeweile zu hassen, aus der ich komme, und ich habe zu hassen, wohin sie mich treibt.“ Ausgangspunkt des Buchs ist ein trennungsbedingter Umzug, der eine Reflexionsschleife über den eigenen Lebensstil auslöst. Die Erzählerin macht die Feststellung, dass sich alles an ihrer Wohnung, ihren Vorlieben und Überzeugungen als Klischee erweist. Und dass jeder Versuch, diesen Klischees auszuweichen, selbst wieder klischeehaft ist: Ob man sich mit
an sich mit Freunden beim Stammitaliener trifft, „komplexen Vino“ trinkt und sich über feministische Klassiker unterhält; oder ob man in Eckkneipen sitzt, Bier trinkt und „weiße Socken in Adiletten trägt“, als wollte man sich dadurch „im Nachhinein eine Kindheit in Armut draufschaffen“ – man bleibt ein „verwöhntes“ Mittelstandskind.Es geht in Komplett Gänsehaut allerdings nicht primär um Klassenfragen. Es geht vielmehr um die Identitätskonflikte gut situierter, „woker“ Millennials, die heimlich wissen, dass die moralischen Ansprüche, die sie öffentlich vertreten, mit ihrer Lebensrealität oft im Widerspruch stehen. Die die Homogenität sozialer Milieus beklagen, aber Menschen verachten, die bei Primark einkaufen. Die Body Positivity predigen, eigene körperliche Makel aber natürlich kaschieren. Sich mit einer Muslima im Freundeskreis schmücken. Kurz: Es geht um den Weltschmerz einer sehr kleinen, privilegierten Gruppe, deren größte Sorge es ist, wie sie von anderen wahrgenommen wird. Nach ihrem Bestseller Alte weiße Männer hätte Passmann ihr neues Buch konsequenterweise eigentlich „Junge weiße Frauen“ nennen müssen. Denn genau das scheint die Idee zu sein: die Kritik an jenen, die ihre durch Geschlecht und Hautfarbe bedingten Privilegien nicht reflektieren, durch eine Selbstkritik zu ergänzen.Komplett Gänsehaut hat eine Stärke darin, dass keine Kritik formuliert wird, die nicht wieder in sich gebrochen wäre. Der Gestus der permanenten Selbstironisierung verhindert, dass eine Position der moralischen Überlegenheit eingenommen wird: „Wir reden so, wie es das Internet gerne hat.“ Aber „wenn wir allein sind, in einer Küche, (…) reden wir halt so, wie Leute reden, die vor allem keinen Ärger wollen, darüber hinaus aber wenig Moral haben.“Das liest sich angesichts des selbstgerechten Tonfalls, den die von Passmann porträtierten woken Milieus in den sozialen Medien oft anschlagen, erfrischend. Hier schreibt eine, die es gewohnt ist, auf Pointen hin zu formulieren. Öfter ergeben sich dadurch zugespitzte, aphoristische Gegenwartsbeobachtungen, die so auch auf Passmanns Twitter-Account stehen könnten: „Wenn strenge Menschen im Internet sagen, man müsse seine Privilegien reflektieren, dann ist das doch genau das. Dahin ziehen, wo man sich am wenigsten deplatziert fühlt, und dann alle hassen, die genauso aussehen wie man selbst.“ Aber abgesehen davon, dass die Aneinanderreihung geistreicher Einfälle und Polemiken auf Dauer doch etwas ermüdet, gelingt es Passmann leider nicht immer, die Stereotypen der feuilletonistischen Kritik am Neobürgertum zu umschiffen.Besser Dosenbier trinkenDas reicht von den Vorstadtkindern, die mit „Tupperdosen voller Gurkenscheiben“ herumlaufen, über das „pittoresk“ an der Wand hängende „Emaille-Sieb“, das „so eine Blut-und-Boden-Hausfraulichkeit“ ausstrahlt, bis hin zu den Arthouse-Filmen im Wohnzimmer, dem Meersalz auf dem Essen oder den „Konzeptläden zum Thema Brot“. Diese Requisiten hatten schon Auftritte in derart vielen Prenzlauer-Berg-Satiren, dass ihre ironische Erwähnung auch in einem selbstkritischen Kontext nur mäßig witzig ist. Das Hauptproblem des Buchs ist aber, dass es fortsetzt, was es beklagt: Der Jammer darüber, dass in der Szene junger, kritischer Medienintellektueller alles bloß um der Selbstdarstellung willen getan wird; dass man nur tanzt, „wenn Leute zuschauen“, nur lacht, wenn einen „irgendjemand dabei hört“; dass man grundsätzlich nie „etwas mit Begeisterung“ macht, sondern dass es stets darum geht, mit der Bestückung von Bücherregalen oder der Ausstattung von Balkonen „der Welt“ zu beweisen, „dass man so oder so wohnt“ – das alles ist letztlich ja wiederum bloß Ausdruck davon, dass man keine echten Probleme hat.Man möchte der Erzählerin deshalb gerne empfehlen, vielleicht doch ohne schlechtes Gewissen „einfach mal wieder Dumm & Dümmer“ zu schauen, Dosenbier zu trinken. Adorno zu lesen und direkt danach RTL2 anzuschalten, zu akzeptieren, dass man ein bisschen widersprüchlich ist – und darüber vielleicht die Obsession mit der eigenen Person zu überwinden. Oder, um es mit dem von Joan Didion stammenden Motto des eigenen Buchs zu sagen: „Do not whine. Do not complain. Work harder. Spend more time alone.“Placeholder infobox-1
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