ChatGPT möchte keine Satiren schreiben. Die Künstliche Intelligenz, die in den USA inzwischen immer häufiger als Co-Autorin auch literarischer Texte firmiert, hat Vorbehalte gegenüber der Gattung. Satiren, so ChatGPT, seien eine „heikle Angelegenheit“, weil es „schwierig“ sei, die „richtige Balance zwischen Humor und Ernsthaftigkeit“ zu finden und dabei stets „respektvoll und inklusiv“ zu bleiben.
Gelingt es einem schließlich doch, die KI zum Verfassen einer Satire über ein politisch derzeit weniger umkämpftes Thema wie den „deutschen Spießer“ zu überreden, dann antwortet sie mit Klischeesätzen: „In der Welt der Spießer gibt es keinen Platz für das Unbekannte. Sie m&
te. Sie müssen alles kontrollieren und jeder muss sich an ihre Regeln halten. Alles muss so sein, wie es immer war. Sie sind ein Meister des ‚Das haben wir schon immer so gemacht‘.“ Angesichts der Tradition der im 19. und 20. Jahrhundert beliebten Spießbürger-Satiren kann man diese Antwort nur als eine klare Genreverfehlung bewerten. Denn Satiren gehen nicht darin auf, negative Aussagen über eine Person oder ein Sujet zu summieren. Ihre Funktion besteht darin, anhand eines konkreten Gegenstands widersprüchliches Verhalten oder versteckte soziale Missstände offenzulegen.Satiren arbeiten mit den Mitteln der Überzeichnung, der Parodie und Travestie, mit Polemik, Sarkasmus oder Ironie. Sie verfolgen damit immer auch einen ethischen und aufklärerischen Anspruch. Es geht ihnen gerade nicht darum, „diskriminierende oder beleidigende“ Botschaften in die Welt zu setzen, wie ChatGPT sogleich befürchtet. Die Vorbehalte der KI gegenüber satirischem Schreiben sind bezeichnend. Sie stehen paradigmatisch für eine Tendenz bei der Bewertung von Gegenwartskunst, die in der Diskussion um Satiren nur besonders deutlich hervortritt.Satiren leben davon, Grenzen zu überschreiten. Das kann auch und gerade die Wortwahl betreffen. Als Gattung der „Negativität“ reproduzieren sie immer auch etwas von dem, was sie anprangern. Die Rolle, die der Satiriker einnimmt, ist nicht einfach die eines Außenstehenden, der sich über andere erhebt. Sie ist zumindest in Teilen immer auch Gegenstand dessen, was kritisiert und karikiert wird. Gute Satiren haben deshalb oft den Effekt, dass man als Leser oder Zuschauerin unangenehm berührt ist. Statt auf ein bloßes Auslachen anderer, auf Exklusion und Diffamierung zielen sie auf kritische Selbsthinterfragung. In der Öffentlichkeit gibt es eine merklich nachlassende Toleranz für solche programmatisch anstößigen und grenzüberschreitenden Kunstformen. Kunst bekommt derzeit vor allem dann Anerkennung, wenn sie inklusiv ist, Identifikation ermöglicht und die Möglichkeit der Irritation oder gar Verletzung vermeidet.Nicht nur die KI, auch menschliche Sensitivity Reader konzentrieren sich bei ihrer Arbeit auf Formulierungen und Begrifflichkeiten, denen das Potenzial zugeschrieben wird, Stereotype zu reproduzieren oder die Traumata der Rezipienten zu „triggern“. Die Differenz zwischen fiktionalen und faktualen Genres, die Frage nach Erzählperspektive oder rhetorischen Mitteln spielt dabei in der Regel eine untergeordnete Rolle.Es ist zweifellos ein großer Gewinn, dass in den letzten Jahrzehnten eine erhöhte Sensibilität für stereotype, rassistische und diskriminierende Ausdrücke und Darstellungen entstanden ist. Der Fall des 2022 erschienenen Films Der junge Häuptling Winnetou hat gezeigt, wie hartnäckig sich klischeehafte Bilder – in diesem Fall: indigene Amerikaner, personifiziert durch rot angemalte Schauspieler – mitunter halten und dass Debatten darüber produktive Effekte haben können. Doch wie steht es etwa mit Bully Herbigs Schuh des Manitu (2001), der den „Indianerfilm“ der 1960er parodiert? Herbig teilte vor einer Weile im Interview mit, er würde den Film heute „so“ nicht mehr machen, es sei viel schwieriger, eine Komödie zu drehen, ohne dass man damit anderen „auf die Füße tritt“.Schade, es ist zu wünschen, dass auch im Zeitalter erhöhter Sensitivität produktive Formen der Verletzung ihren Raum behalten können.