Sich verkennen

Literatur Heinz Strunks Anti-Liebesroman „Es ist immer so schön mit dir“ zeigt die Magie romantischer Phrasen
Ausgabe 29/2021

Wie lange erträgt man es, zu wissen, dass nichts mehr kommt?“ Diese Frage, die Markus Erdmann, die Hauptfigur von Heinz Strunks Roman Die Zunge Europas (2008) umtreibt, teilen fast alle Strunk-Protagonisten. Nach dem Erfolg des 2016 erschienenen Romans Der goldene Handschuh, der das Milieu der gleichnamigen Hamburger Absturzkneipe und die Geschichte des Serienmörders Fritz Honka schilderte, hätte man fast vergessen können, dass das eigentliche Thema von Strunk nicht die Perversion, sondern die Normalität ist. Genauer: Strunks Bücher handeln von den Verbindungen zwischen dem Normalen, Alltäglichen und dem Kaputten, Trostlosen. Von dem Leiden an Routinen und davon, dass jeder Versuch, ihnen zu entkommen und alles noch einmal ganz anders zu machen, scheitern muss. „Loser-Voyeurismus“ hat das ein Rezensent einmal kritisch genannt und bemängelt, dass Strunks Porträts erfolgloser, mittelmäßiger Männerfiguren auch da, wo sie scheinbar autobiografischen Charakter haben, eigentlich „vulgär und herablassend“ seien. Dabei sind es gerade die Liebe zum Mittelmaß und die Skepsis gegenüber perfekten Erfolgsbiografien, die Strunks fiktive Alter Egos zu ebenso vielschichtigen und empathisch gezeichneten Charakteren werden lassen wie den Mörder Fritz Honka.

Große Hoffnung auf ein Reset

Auch in dem neuen Roman von Heinz Strunk plagt sich ein mittelalter Mann mit einem glanzlosen Alltag und einem noch glanzloseren Liebesleben. Der namenlose Protagonist ist Ende vierzig, arbeitet nach dem Ende seiner halberfolgreichen Musikerkarriere als Toningenieur und ist seit Langem mit der Lehrerin Julia liiert, für die er sich einfach nicht mehr begeistern kann. Julia ist ihm „peinlich“ geworden. Da helfen auch keine Dessous mehr: „Reizarmes, von Reizen umhüllt, wirkt gleich noch reizloser.“ Die Begegnung mit der zwanzig Jahre jüngeren Schauspielerin Vanessa, die sich vor allem deshalb für ihn zu interessieren scheint, weil sie die Tochter des ehemaligen Lichttechnikers und deshalb mit seiner Musik aufgewachsen ist, wird in dieser Lage zur Hoffnung auf einen Neubeginn: „Er hat sich schon oft gefragt, ob es möglich wäre, sein Leben mit einer einzigen Entscheidung, einer einzigen Maßnahme wieder in die Spur zu bringen, ihm eine neue Richtung zu geben. Ein Reset, ein Restart.“ Es kommt zur Trennung von Julia und, nach etwas holprigen ersten Dates, zu einer Liebesbeziehung mit Vanessa. Doch schnell zeigt sich, dass aus dem Restart nichts werden kann. Der Grund dafür ist seit der ersten Begegnung klar: Die beiden frisch Verliebten haben schlicht nichts gemeinsam.

Romantische Liebe beruht bekanntlich nicht ausschließlich auf dem Verliebtsein in die andere Person, sondern auch und vor allem auf dem Verliebtsein in die Liebe selbst. „Setzt nicht die Liebe auf den ersten Blick voraus, dass man schon vor dem ersten Blick verliebt war?“, so hat der Soziologe Niklas Luhmann dieses Verliebheitsparadox auf den Punkt gebracht. Strunk dekliniert es in seiner extremsten Form durch. Das Ergebnis ist ein Anti-Liebesroman. Um den Gleichklang und die Harmonie der Herzen geht es hier an keiner Stelle. Nahezu jedes Gespräch zwischen Vanessa und ihrem Verehrer endet in Missverständnissen. Vanessa lacht nie, isst nichts, ist „schauspielerisches Mittelmaß“, träumt trotzdem von der großen Karriere, ist tagsüber schweigsam und redet alkoholisiert „wie ein Wasserfall“ unsinniges Zeug. Am schönsten ist es deshalb, wenn sie gerade nicht da ist: „Er sehnt die Treffen herbei und ist heilfroh, wenn er sie glücklich bzw. unglücklich hinter sich gebracht hat.“ Richtig glücklich ist er nur dann, „wenn sie nicht zusammen sind und er an sie denkt“. Als Vanessa am Höhepunkt des Buchs, dem Heiratsantrag, den titelgebenden Satz sagt („Es ist immer so schön mit dir“), wird einmal mehr deutlich, dass die Liebe, von der hier erzählt wird, vor allem auf der Hoffnung an die wirklichkeitserzeugende Magie romantischer Phrasen beruht.

In der Männlichkeits-Falle

Strunks Roman folgt über weite Strecken der Perspektive der männlichen Hauptfigur. Das hat in stilistischer Hinsicht den Nachteil, dass man immer wieder verunglückte Metaphern oder Vergleiche ( „Sein Schwanz schlägt aus wie ein wildes Tier“ usw.) zu lesen bekommt. Was vermutlich der Charakterisierung der Figur dienen soll, steht dennoch in eigenartigem Kontrast zur Pointen- und Stilsicherheit anderer Passagen. Erzähltechnisch ist die Schilderung der Ereignisse aus der männlichen Sicht aber insofern klug gewählt, als diese einseitige Perspektive zugleich eine Falle für die Leser darstellt. Bis zur Mitte des Buchs bleibt nämlich offen, was eigentlich das Problem dieser blendend aussehenden, hungernden, rauchenden, schweigsamen Vanessa ist. Erst relativ spät erfährt man, dass sie als 14-jähriges Mädchen von dem Diakon der evangelischen Gemeinde sexuell missbraucht wurde. Vanessa hatte offenbar schon öfter das Problem, dass ältere Männer sie in erster Linie sehr attraktiv, aber sonst nicht besonders interessant fanden. Damit rückt auch Strunks Antiheld in ein anderes Licht. Zwischen seinem Liebesglück und dem Umstand, dass er öfter mal hofft, Vanessa möge „endlich die Schnauze“ halten, um in seinen Armen zu „verglühen“, sieht er keinen Widerspruch. Und um die Erfüllung seiner Sexfantasien nicht zu gefährden, lässt er den „Schwachsinn“, den Vanessa erzählt, wahlweise unkommentiert oder bestätigt ihn durch leere Phrasen.

Das alles läuft weniger auf die Deutung hinaus, dass Vanessa in der Beziehung zu dem bewunderten Ex-Musiker ein zweites Mal missbraucht wird. Eher stehen sich in Strunks Roman zwei Figuren gegenüber, die einander gegenseitig verkennen. Am Ende versteht keiner so richtig, warum man sich nicht verstanden hat.

Info

Es ist immer so schön mit dir Heinz Strunk Rowohlt 2021, 288 S., 22 €

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