Gegenüber dem alten weißen Mann, der seit etwa fünfzehn Jahren eine erstaunliche Karriere als Feindbild all jener, die sich als jung, modern, divers und emanzipiert verstehen, hinlegt, hat die alte weiße Frau weniger Beachtung gefunden. Das liegt möglicherweise auch daran, dass man sich nicht ganz einig ist, ob es sich bei ihr eher um eine diskriminierte Figur oder um das Pendant zum alten weißen Mann handelt – also um eine Frau, die ihre eigenen Privilegien verkennt, machtaffin und statusbewusst ist. Die Berliner Journalistin Caroline Rosales entwirft in ihrem Debütroman Das Leben keiner Frau eine Figur, die beides ist.
Melanie ist 50, stellvertretende Chefredakteurin einer großen Tageszeitung, betrogene und verlassene Ehefrau. Unter ihrer eigenen Mutter, der sie nie klug, schön und fleißig genug war, hat sie gelitten, doch ihre erwachsene Tochter behandelt sie nicht minder geringschätzig. Die neue Praktikantin Eilika, die ihr bereits nach kurzer Zeit die Kolumne im Kulturressort streitig macht, kritisiert sie dafür, dass sie scheinbar bloß wegen ihres Aussehens so erfolgreich ist. Melanie schreibt feministische Bücher, denkt aber ihrerseits kaum über etwas anderes nach als darüber, wie sie attraktiv genug bleiben kann, um doch noch einen Mann abzubekommen.
Diese Widersprüche zwischen der Beurteilung anderer und der eigenen Lebensrealität könnten Melanie zu einer reizvollen Erzählerin machen – selten findet man etwa in der Literatur eine Mutter, die aus ihrer Sicht schildert, warum sie ihre Tochter verachtet. Doch leider besteht der Roman überwiegend aus einer Aneinanderreihung von Stereotypen, die ihn teilweise sogar als unfreiwillige Parodie erscheinen lassen. Das Leben keiner Frau zeichnet eine Welt, die von einem erbitterten Kampf der Generationen und Geschlechter geprägt ist. Frauen sind darin entweder Hausfrauen, die ihre Karriere zugunsten der Familie aufgegeben haben und deren Gesprächsthemen so „flach“ sind „wie das Straßenpflaster“. Oder sie haben Karriere gemacht, „tragen asketische Balenciaga-Kleider“, ernähren sich von „Trennkost, Eiweiß, Crossfit und Wodka pur auf Partys“. Und, sie haben Affären. Die Männer dagegen sind beinahe durchgängig „Schimpansen“ mit „Mösen-Fotosammlung“ auf dem Handy, die sich mit „Sex abreagieren, aber am nächsten Morgen zurück bei ihren Frauen sind“, bis sie diese irgendwann für eine Jüngere verlassen. Eben deshalb hassen die alten die jungen Frauen und machen ihnen das Leben schwer.
Der Roman liest sich wie eine Kombination aus Frauenzeitschriftenpsychologie, Ratgeberliteratur und den Bonmots der Sex-and-the-City-Kolumnistin Carrie Bradshaw: „Babys wirken bei Männern wie Anti-Aging-Cremes bei Frauen.“ Der banale Schematismus solcher Diagnosen mag daran liegen, dass Rosales ihre Ich-Erzählerin auch in ihren verqueren Ansichten zu Wort kommen lassen will. Aber wer sich im Jahr 2021 nicht mehr fragt, warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken, bekommt wenig geboten. Das ist umso enttäuschender, als Rosales sich als Sachbuchautorin mit dem Spannungsverhältnis zwischen modernen und traditionellen weiblichen Rollenerwartungen auseinandergesetzt hat. Der Leidensdruck ihrer Protagonistin, der in einem versuchten Selbstmord mündet, erschließt sich, wenn man sie nicht einfach als neurotische Narzisstin betrachtet, kaum. Es gibt wenige Passagen – etwa wenn Melanie über ihre Kindheit oder ihre zerbrochene Ehe nachdenkt –, in denen ihr Hass auf jüngere Frauen und auf ältere Männer etwas plausibler wird. Doch wenn die Idee des Romans, wie der Klappentext suggeriert, darin bestand, der Perspektive älterer Frauen mehr Raum zu verleihen, dann muss man leider feststellen, dass daraus vor allem eine Reproduktion von Klischees geworden ist.
Info
Das Leben keiner Frau Caroline Rosales Ullstein 2021, 240 S., 22 €
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