Ein Monolog im Hause Goethe über die abwesende Anna Amalia

In neuem Licht Heinz Klevenow, vormals Intendant der Neuen Bühne Senftenberg, brilliert in einer Uraufführung über den amourösen Goethe: Zur Uraufführung von "Eine verbotene Liebe"

2003 versetzte der Jurist und Literaturwissenschaftler Ettore Ghibellino die Zunft der Weimarer Klassikforscher in Aufregung. In seinem Buch Goethe und Anna Amalia behauptete er keck, zwischen dem „Olympier“ und der Herzogin-Mutter Amalia habe eine verbotene Liebe bestanden. Die Liebesbriefe, die Goethe über zehn Jahre lang an Charlotte von Stein – Gattin des Stallmeisters des Herzogs Carl August – schrieb, seien in Wahrheit an Amalia gerichtet gewesen. Charlotte habe nur als Strohfrau gedient, um die liaison dangereuse des nur verdienstgeadelteten bürgerlichen Aufsteigers mit einer Geburtsadeligen höchsten Rangs – ihr Onkel war König Friedrich II. von Preußen – zu kaschieren.

Ebenso penibel wie spitzfindig bewies Ghibellino aus erhalten gebliebenen Dokumenten von Zeitzeugen und aus poetischen Verdichtungen Goethes, dass seine Flucht nach Italien 1786 vom Herzog Carl August angeordnet worden war, um eine ähnliche Staatsangelegenheit wie die so genannte Halsbandaffaire am französischen Hof im Jahre 1785, in die Königin Marie Antoinette verwickelt war, in Weimar zu vermeiden. Bis heute liegen sich Befürworter wie Gegner der essayistischen Beweisführung Ghibellinos in den Haaren, obwohl sowohl unter bürgerlichen als auch sozialistischen Goetheforschern die Liebesaffaire Goethes mit Anna Amalia bis in die sechziger Jahre als „offenes Geheimnis“ galt. Sie wurde aber als wissenschaftliche Verschlusssache behandelt wurde, um nicht am Ruhm des „Götterlieblings“ zu kratzen.

Sei es, wie es sei – der Intendant der rührigen Neuen Bühne Senftenberg, Sewan Latchinian, hat die Essaysammlung Ghibellinos dramatisiert und sie jetzt selbst in Szene gesetzt. Sein entscheidender Einfall war, eine Erzählerfigur zu erfinden, die als Doppelagent der römischen Inquisition wie des Kaisers Joseph II. in Wien im Jahr 1840 über die Ausspionierung Goethes berichtet und sich durch die an das Publikum gerichtete Beichte Seelenheil erwirken will. Wenn der Vorhang der Studiobühne mit dem aufgemalten Tischbeinbild Goethe in der Campagna di Roma aufgegangen ist, wird ein alter Mann ansichtig. Der liegt im Morgenrock im Bett und gesteht mit heiserer, brüchiger Stimme, wie er an Hand von Dossiers seiner Auftrageber Goethe nach der Ankunft in Venedig im September 1786 auszuspionieren begann. Erst nach Goethes Tod im Haus des Enkels Wolfgang aber habe er in Akten die ungeheuerliche Wahrheit bestätigt gefunden, dass Goethes Liebe gar nicht der siebenfachen Mutter Charlotte, sondern nur einer ganz Hochgestellten gegolten haben könne: Anna Amalia eben.

Mühselig kraucht der Agent aus dem Bett und fingert aus dem Stehpult ein Aquarell Goethes hervor, das ein antikes Aquädukt zeigt, dessen Pfeiler aus den Buchstaben Amalie bestehen. Auf dem Nachttopf sitzend, enthüllt er vertraulich, wie sich ihm mehr und mehr die volle Wahrheit enthüllte: „Anna Amalia und Johann Wolfgang von Goethe waren ein großes, heimliches Liebespaar. Und nicht Goethe und Frau von Stein.“ Schließlich auf einem Lehnstuhl platziert, enthüllt er, wie sich die verbotene Liebe für den Herzog Carl August zu einer Staatsaffaire auszuweiten drohte. Auch hierfür holt er aus seinem Morgenrock weitere Dokumente hervor, um zu beweisen, dass Goethe seine erzwungene Entsagung wieder in Poesie ummünzte, diesmal im Schauspiel Tasso: Er in der Rolle des Dichters, die Herzogin in der Rolle der Prinzessin Eleonore. Mit letzter Kraft kommt er auf dem Bett zu stehen, um die Trauer der Prinzessin um Tasso mit Tragödienpathos zu rezitieren, bevor er über die Bettkante kippt und die besockten Beine in die Luft streckt.

Es ist eine große Leistung Heinz Klevenows, dem dokumentenreichen Text einen hochdifferenzierten Ausdruck zu geben. Als Nestor des Ensembles krönt er mit diesem Monolog seine schauspielerische Lebensleistung. Apropos Monolog: Das Einfraustück Ein Monolog im Hause Stein mit dem abwesenden Herrn von Goethe von Peter Hacks aus dem Jahr 1974 wird in Zukunft mit dieser Adaption von Ghibellinos Streitschrift Eine verbotene Liebe eine scharfe Konkurrenz haben.

Zurecht größter Beifall für die Macher in Senftenberg.

Die nächste Aufführung findet am Samstag, dem 2. Mai, im Studiotheater Neue Bühne in Senftenberg statt. Weiter Aufführung folgen am 14., 15. und 22. Mai

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