Es war zu erwarten, dass nach dem Zusammenbruch des "real existierenden Sozialismus" auch in Mecklenburg, wo nach Bismarcks Wort die Welt um hundert Jahre zurück war, die Erinnerungskultur sich in dem Maße nach rückwärts wenden würde, wie die Hoffnungen auf versprochene "blühende Landschaften" unerfüllt blieben. Was als feudalhistorische Identifikationsfigur den Bayern ihr König Ludwig II. war (und ist), wurde für die Mecklenburger naheliegenderweise die 1776 geborene Luise, Herzogin zu Mecklenburg, Prinzessin von Mecklenburg-Strelitz, 1793 mit dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm von Preußen verheiratet, nach dessen Krönung zum Friedrich Wilhelm III. 1797 Königin von Preußen. Als sie 1810 verstarb, rief ihr August Wilhelm Schlegel nach: "Sie war in Hütten Königin der Herzen,/ Sie ist der Anmut Göttin auf dem Thron", und Heinrich von Kleist erschien sie als "preußische Madonna": "Dein Haupt schien wie von Strahlen mir umschimmert,/ Du bist der Stern, der voller Pracht erst flimmert,/ Wenn er durch finstre Wetterwolken bricht."
Der Intendant des Landestheaters Neustrelitz (das bis zur Wende Friedrich-Wolf-Theater geheißen hatte), Ralf-Peter Schulze, erkannte mit echtem Theaterinstinkt den restaurativen Zeitgeist und machte 2001, als es 300 Jahre Preußen und 300 Jahre Mecklenburg-Strelitz zu feiern gab, erstmals Königin Luise zum Leitbild der neu geschaffenen Schlossgartenfestspiele. Nach einem Text von Oliver Hohlfeld, in dem die wichtigsten Ereignisse im Leben Luises szenisch erfasst waren, stellte Thomas Möckel ein "Operettenpasticcio" (früher hieß das Potpourri) aus Texten und Melodien von den Straußens über Offenbach bis zu Millöcker zusammen, das unter dem Titel Königin Luise - Königin der Herzen als "Welturaufführung" in der "Residenzstadt der Operette" Neustrelitz unter die Leute gebracht wurde. Es wurde auf Anhieb ein Erfolg.
Über 30.000 Einheimnische und Touristen, die die Mecklenburger Seenplatte besuchten, Angereiste aus Hamburg wie Berlin schauten und hörten sich das Spektakel an. Das heurige Spektakel ließ sich daher bereits unter dem Anspruch "Die größten Operettenfestspiele Deuschlands" vermarkten.
Da die Lebensbilder des Idols bis zum Jahr 2010 vorhalten müssen, wenn des 200. Todestages zu gedenken sein wird, konzentrierte sich Texter Hohlfeld nunmehr auf die Jugendjahre bis zu Verlöbnis und Hochzeit Luises. Gezeigt wird, wie Luise und ihre um zwei Jahre jüngere Schwester Friederike, die in Kindheitstagen verwaisten, zu ihrer Großmutter Luise Albertine Landgräfin von Hessen in Darmstadt zur Erziehung gegeben wurden und unter dem Einfluss dieser "Prinzessin George" genannten Frei-Frau einen weitaus liberaleren Geist kennen lernten, als er an dem steifen Hof von Neustrelitz und Berlin herrschte. In etwas bemühten Dialogen gerinnen Episoden zu "Bildern", für die dann wie beim ersten Luise-Spektakel entsprechende Operettenmelodien zusammengesucht werden.
Dass dieses Indeckungbringenmüssen der ausgewählten Operettentexte mit den gezeigten Episoden mehr als einmal nach dem Prinzip "Reim dich oder ich fress dich" erfolgen muss, ist unvermeidlich. Wie sich rasch zeigt, stört das nicht weiter, da es nicht auf den Buchstaben, sondern den schmissigen, griffigen, gefälligen, einschmeichelnden, letztlich immer versöhnenden, harmonisierenden melodischen Geist der Operette ankommt.
Sowohl die "goldene" als auch die "silberne" Operette mögen hierzulande wie anderswo in die Krise geraten sein, verdrängt vom Musical und ähnlichen Genres, so dass es kaum mehr "Pflegestätten" für sie gibt - ihre "Ohrwürmer" haben sich über Generationen erhalten, sind resistent geworden und vermögen sich offensichtlich in dem Maße zu regenerieren, wie die gesellschaftlichen Umstände die Zuhörer nach Ablenkung, Entspannung, "harmlosem Vergnügen", nach "heiteren Stunden" gieren machen. So eingebettet in "selige Operettenklänge", kann die Jungmädchenzeit von Luise und ihrer Schwester folgerichtig in den "siebten Himmel der Liebe", nämlich ihrem Bekanntwerden mit dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm von Preußen, der nachfolgenden Verlobung und Verheiratung im Dom zu Berlin im Jahr 1793 eingehen.
Dass sich das Ganze, historisch gesehen, vor dem Vordergrund der Französischen Revolution, der Versuche der feudalen Koalitionäre, ihr durch Interventionskriege den Garaus zu machen, der "Levée en masse" unter dem Clairon der "Marseillaise" dagegen, Köpfung des französischen Königpaares, der "terreur" der Jakobiner, großer Hoffnungen von "Freiheitsfreunden" auch in deutschen Landen, vollzog, findet im Text des Luise-Spektakels anno 2004 im Neustrelitzer Schloßgarten mit keinem Wort Erwähnung. Die "Affairen des Herzens" drängen die "Staatsaffairen" völlig beiseite.
Fürst Metternich, angehender Strippenzieher der feudalen Reaktion, taucht zwar einmal im Handlungsgefüge auf, aber nur als Tanzpartner Luises, wobei sie beim Walzer zu seinem Missfallen die Führung übernimmt. Von Friedrich Wilhelm ist gerade noch zu erfahren, dass er auch in der Liebesgeschichte so zögerlich war, wie er es im späteren Leben als Monarch sein sollte, so dass Luise ihm den Verlobungskuss abnötigen muss. Das "segensreiche" Wirken Luises gipfelt in diesem Teil ihrer Lebensgeschichte daher im Hinlegen von Walzern und im Ablegen des Reifrocks wider die höfische Etikette. Großes Finale mit der Enthüllung der Skulptur der beiden Schwestern von Schadow und dem Abbrennen eines Feuerwerks zu Melodien von Franz von Suppé.
Man muss es Regisseur Wolfgang Lachnitt bescheinigen, dass er auf der Freilichtbühne im Neustrelitzer Schlosspark nicht nur "Prospekte und Maschinen" einsetzt (Ausstattung Roy Spahn), sondern Prominente in Kutschen vorfahren und richtige Reiter die Auftritte der Protagonisten eskortieren lässt, "Volk" beim Wäscheauslegen wie beim Gaffen und Mitsingen im Opernchor in Bewegung zu setzen versteht, in und zwischen den "Bildern" den Damen und Herren der Deutschen Tanzkompanie Gelegenheit bietet, seinerzeit gängige Tänze und Pantomimen vorzuführen, und schließlich das natürliche Licht des Abends, die Dämmerung, in Illumination und schließlich in Feuerwerk und Schlossbeleuchtung übergehen und sich aufheben lässt. Stefan Malzew hält als musikalischer Leiter das Orchester von Neubrandenburg/ Neustrelitz durchgängig sicher im Operettenschwung.
Wen es ankommt, vor der Gegenwart, wie sie ist, sich gleichsam in eine Plusquamperfektvergangenheit, zusätzlich geschönt durch "unsterbliche" Operettenmelodien, entführen zu lassen, der sollte, wenn er in oder um Berlin ansässig ist, die Gelegenheiten nützen, sich in einen der historischen Sonderzüge des Lausitzer Dampflok-Clubs zu setzen, die von Charlottenburg über Ostbahnhof-Lichtenberg, Oranienburg und Gransee nach Neustrelitz fahren, um dort die Schlossparkspiele 2004 zu besuchen.
(Nähere Informationen: Telefon 03981-23930; Fax 03981-441762; e-mail: buchung@strelitzreisen.de. www.schlossgartenfestspiele.de. www.lausitzerdampflokclub.de)
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.