America, fuck yeah?

Exceptionalism. Obama spricht über die Rolle Amerikas als "the anchor of global security" seit dem zweiten Weltkrieg. Putin spricht über die Gefahr, sich als "besonders" zu gerieren.

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[ Disclaimer: Ich verwende hier auffällig oft die Formulierung "die Amerikaner", was nicht allumfassend gemeint ist sondern tendenziell. Des weiteren bezieht sich hier "die Amerikaner" und "Amerika" immer nur auf die USA, nicht auf andere Nationen auf den amerikanischen Kontinenten. ;) ]

Die Vereinigten Staaten von Amerika sind etwas besonderes. Das Land der Freien. Die Heimat der Tapferen. Gottes eigenes Land. Das großartigste Land der Welt. Der Anker globaler Sicherheit.

So klingt, in a nutshell, das Selbstverständnis der US-Amerikaner. Der stets tapfer gegen angeblich antiamerikanische Tendenzen in der deutschen Gesellschaft und Medienwelt anschreibende Zeit-Kolumnist Eric T. Hansen unterstreicht dies noch einmal in seiner aktuellen Replik auf Vladimir Putins Appell an das amerikanische Volk in der New York Times.

Egal wie viel Geld China scheffelt, egal wie viel Lärm Russland macht, egal wie entschieden Deutschland militärische Gewalt verurteilt: Nur Amerika wird weiterhin eine Verantwortung für die Welt außerhalb der Grenzen verspüren ...

Diese Verantwortung stamme aus der Zeit des Kalten Krieges, während dem die USA die einzigen waren, die der sowjetischen Bedrohung etwas entgegensetzen konnte. Und so haben sich die Vereinigten Staaten zur "führenden Nation der westlichen Welt" erhoben. Ein Land, das noch im zweiten Weltkrieg lange gezögert hat, militärisch einzugreifen. Ein Land, das einige Zeit lang eine völlig vernachlässigbare winzige Armee besaß, ein Land das mit Kanada und Mexiko trotz seiner enormen Größe nur zwei direkt angrenzende Nachbarländer hat. Ein Land, das selbst nur ein einziges Mal militärisch angegriffen wurde: Auf einer Insel, weit vor der Westküste des US-amerikanischen Festlandes. In Pearl Harbor.

Und wohin hat es sich gemausert? Zu dem Land mit dem weltweit mit riesigem Abstand größten Militärbudget, zu dem Land mit den weltweit meisten Kriegsbeteiligungen seit dem zweiten Weltkrieg, zu dem Land mit den allermeisten Atombomben. Die "Verantwortung" von der Präsident Obama und auch Eric T. Hansen sprechen, sie lässt sich in Patronen und Sprengköpfen messen.

Und nichts ist den Amerikanern heiliger als ihre Freiheit. Das höchste Gut. Und wenn die US-Regierung wieder einen Militärschlag rechtfertigen muss vor ihrer Bevölkerung, so muss das entsprechende Land eben ein unfreies Land sein. Ein Land, das nicht in Demokratie lebt, ein Land in dem Menschen politisch verfolgt werden, in dem Ungleichheit und Unterdrückung herrscht. Und dann kommen die amerikanischen Patronen und Sprengköpfe und reißen die Mauern der Unfreiheit nieder. Dann kommen die amerikanischen Menschen und zeigen den Menschen dort einmal wie sich Freiheit anfühlt: Freiheit ist, dass jeder Mensch auf der Welt die Möglichkeit hat, Starbuck's Kaffee zu trinken, McDonald's Fastfood zu essen, Hollywoodfilme zu sehen, eine Emailadresse bei Google zu haben. Ach übrigens: Gott heißt nicht Allah. Gott schreibt auf Englisch.*

*[Ein Schulfreund erzählte mir von seiner Zeit in den USA, als bei einem Elternabend die Lehrer den Eltern nahebringen wollten, ihre Kinder doch zu mehr Fremdsprachenunterricht zu begeistern. Ein Vater stand auf, hielt die (englischsprachige) Bibel in die Luft und sagte aus voller Überzeugung "If English was enough for Jesus Christ, it's good enough for my kids."]

Was das tatsächlich erstaunliche ist, "die Amerikaner" glauben das. Sie sind davon überzeugt, dass wenn die Regierung eine "militärische Intervention" startet, dies zum Wohle der Menschheit geschieht. Amerika opfert sich für die Schwachen und Unterdrückten. Auch Eric T. Hansen sieht das so:

Diese Haltung ist typisch für die USA, für andere Länder dagegen völlig ungewöhnlich. Kein Staat spürt eine ähnliche Verantwortung für die internationale Gemeinschaft wie Amerika.

Und da offenbaren sich die amerikanischen Paradoxien. Wenn anderswo Menschenrechte verletzt werden, sind die USA am Start, viele tatsächlich im Glauben an die Gute Sache. Dennoch gibt es in einigen US-Staaten immernoch die Todesstrafe. Dennoch gibt es immernoch Guantanamo Bay. Dennoch gibt es all die grausamen Dinge, die Bradley Manning aufgedeckt hat, wofür an ihm ein Exempel statuiert wird. Dennoch haben die USA als einziges Land bisher die Atombombe geworfen. Dennoch wird massiv weltweit die Privatsphäre der Bürger systematisch verletzt. Die USA sind schizophren.

Der Wirtschafts- und Kulturimperialismus der USA ist dem Selbstverständnis geschuldet, dass die Kultur und die Wirtschaft der USA am besten sind. Nach dem anfänglichen Durcheinander in der Neuen Welt bildete sich die Staatengemeinschaft, die sich, mit dem Ansinnen sich von den europäischen Fesseln zu lösen, ihre eigene Kultur erfanden. Mangels signifikanter Nachbarländer lebten die Amerikaner so mit sich selbst, ohne Begegnung mit anderen Kulturen. Die Afrikaner schifften sie in die USA um für sie die Drecksarbeit zu verrichten, die Chinesen durften das lästige Waschen der Wäsche übernehmen und Eisenbahnlinien bauen. Die Ureinwohner die noch übrig waren wurden in Reservate verbannt. So lebten die USA im Großen und Ganzen für sich selbst, bis im 20. Jahrhundert die Welt zusammenwuchs.

Durch Luftfahrt, durch Raketen und Flugzeugträger waren die USA nun auch theoretisch militärisch angreifbar. Und so rüsteten sie sich. Und schon bald wurden sie die Kriegsnation der Welt. Nachdem sie am Ende des 2. Weltkrieges als Befreier gefeiert wurden, hatten sie Blut geleckt. Die Versuche, diesen Triumph zu wiederholen, gingen mehr und mehr schief. Korea, Vietnam, Irak, Afghanistan ... Im Verlauf dieser zahlreichen Konflikte lernten die Amerikaner, ihre politischen und wirtschaftlichen Interessen durchzusetzen wo immer es auch ging. Präsident Eisenhower warnte in seiner Abtrittrede noch davor, den militärisch-industriellen Komplex nicht zu groß werden zu lassen. Doch da war es schon zu spät. Alles griff ineinander und schon in den 90er-Jahren sprach die ganze Welt vom Krieg ums Öl. Ein Jahrzehnt später nahm die Welt George W. Bush nicht mehr ab im Sinne der Menschlichkeit und aus Verantwortungsbewusstsein gegenüber Schwächeren zu handeln. Rache für 9/11 und wirtschaftliche Interessen waren die international (inoffiziell) anerkannten Gründe für den zweiten Golfkrieg.

Die außergewöhnlichen Amerikaner mit ihrem besonderen Verantwortungsbewusstsein für den Rest der Welt waren zu größenwahnsinnigen Opportunisten geworden, die sich einen Dreck um die UNO scherten, einen Dreck um das Völkerrecht, einen Dreck um die Menschen in den Ländern in denen sie einfielen. Das Wissen um ihre superior firepower hatte sie arrogant und selbstherrlich werden lassen. Jede Niederlage hatte sie fiebriger gemacht, süchtiger nach einem militärischen Erfolgserlebnis. Als George W. Bush den Irakkrieg mit den Worten "Mission accomplished" beendete, waren die USA eine böse Karikatur ihrer selbst geworden. Durch den verstärkten Einsatz von Drohnen nun auch eine besonders feige Version ihrer selbst.

Nun, mit einem Präsidenten, der weit mehr abwägt als sein Vorgänger und doch nicht aus dem festgefahrenen System der militärischen Stärke aussteigen kann oder will, geht die Welt in ein weiteres Kapitel, Syrien. Werden die USA wieder beginnen, anderen zuzuhören? Werden sie jemanden - der in den USA weitläufig als "ruthless dictator" gilt - wie Vladimir Putin zuhören, wenn der einmal etwas vernünftiges von sich gibt? Werden sie das parlamentarische Nein der Briten verstehen? Oder nur verlachen?

Wir haben noch eine Chance dafür dass die USA wieder zu einem maßvolleren Auftreten zurückfindet. Aber das kann nur geschehen wenn der amerikanische Exceptionalism wieder auf ein gesundes Maß zurückschrumpft. Obama hat die Chance, wenn auch auf Kosten seiner Beliebtheit, sich in Zurückhaltung zu üben, auch in Zurückhaltung über die eigene Selbstverherrlichung des Landes. Sonst werden diese Bilder nur der Anfang von etwas wirklich finsteren sein:

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

Ernstchen

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