An das Grauen gewöhnt?

Game Of Thrones Derzeit läuft die fünfte Staffel der HBO-Fantasy-Serie und die politischen Parabeln darin sind so deutlich und aktuell wie eh und je

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Das Zentrum der Macht: Der Eiserne Thron
Das Zentrum der Macht: Der Eiserne Thron

Bild: Presse

US-Amerikanische Fernsehserien, die sich mit Politik befassen – das ist in Menge und Ausmaß ein eher neueres Phänomen: „The West Wing“ und „House Of Cards“ bedien(t)en die beiden Enden des interpretatorischen Spektrums. Erstere Serie von Dialogakrobat und Idealist Aaron Sorkin hüllte die (fiktiven) Geschehnisse im Weißen Haus unter Präsident Jed Bartlett (Martin Sheen) in eine roserote Schmusedecke der Menschlichkeit, während Beau Willimons „House Of Cards“ den US-Präsidenten (Kevin Spacey) als intrigantes, mordendes Machtmonster darstellt. Die exzellent inszenierte Action-Serie „24“ zeigte die moralischen Implikationen des war on terror in oft grenzwertiger Weise und regte so doch zu Diskussionen und Nachdenken an. Diese Shows mit konkreten Bezügen zur US-Politik bilden jedoch die Ausnahme. Die Einbettung von politischen Ideen, Idealen, Konflikten und Kompromissen in Parabelform war stets ein regelmäßiger Aspekt sowohl in Science-Fiction-Literatur wie auch in den Film- und TV-Vertretern des Genres. „Babylon 5“, die Neuauflage von „Battlestar Galactica“ und besonders die ersten drei „Star Trek“-Serien hatten stets politische Themen im Programm, mal deutlicher, mal subtiler. Als der Science-Fiction- und Fantasy-Autor George R.R. Martin sich an sein großes Epos A Song Of Ice And Fire machte, wollte er der klassischen Fantasy mit deren Gut-gegen-Böse-Ethos etwas komplexeres, realeres gegenüberstellen. Trotz Drachen, Schattenmonstern, Zombies und Gestaltwandlern ist die Welt dieser Buchreihe bevölkert von „echten“ Charakteren, von fehlbaren Helden und ehrenhaften Bösewichten. Nun ist die TV-Fassung dieser Reihe, HBOs Game Of Thrones, zur erfolgreichsten TV-Serie weltweit aufgestiegen und in vielerlei Hinsicht ist sie die wahrscheinlich politischste Serie, die derzeit produziert wird.

Natürlich ist das Setting von Game Of Thrones ein für Fantasy typisches Mittelalter-Setting mit Schwertkampf, Enthauptungen, Rittern und Königen. Dennoch ist es sehr breit aufgestellt. Die Handlung spielt sich auf zwei grundverschiedenen Kontinenten ab, es werden unterschiedlichste Kulturen präsentiert, von der pseudokultivierten royal dominierten Dekadenz in und um King's Landing in Westeros über die Sklavenhalter-Kultur im Südwestteil des östlichen Kontinents Essos zu den Nomadenkriegern der Dothraki in den östlichen Steppen und den Wildlingen im Ewigen Eis. Die zwei zentralen Gegenspieler dieser Serie sind an sich nur Nebencharaktere, doch sie sind die Drahtzieher aller politischen Veränderungen, aller Machtverschiebungen auf dem Westkontinent: Lord Varys (Conleth Hill) und Petyr „Littlefinger“ Baelish (Aidan Gillen). Während Varys stets das Wohl des Reiches und Frieden im Sinn hat, dafür aber auch über Leichen geht, ist Littlefinger ein Mephisto, der Chaos und Tumult anrichtet durch gezielte Stiche in die Struktur der bestehenden Machtverhältnisse.

In der vor vier Wochen angelaufenen fünften Staffel wird das Politische nun immer deutlicher. Der Idealist Varys erklärt dem aus seiner Heimat Westeros geflohenen Tyrion Lannister (Peter Dinklage) seine Philosophie:

Varys: Peace. Prosperity. A land where the powerful do not prey on the powerless.

Tyrion: […] The powerful have always preyed on the powerless. That's how they became powerful in the first place.

Varys: Perhaps. Perhaps we have grown so used to horror, we assume there is no other way.*

Das ist ganz knapp zusammengefasst die aktuelle politische, gesellschaftliche Diskussion schlechthin seit einigen Jahren, vielleicht Jahrzehnten. Nicht in der Politik, aber über sie. Es wäre kaum verwunderlich wenn im späteren Verlauf der Geschichte noch irgendwo in dieser fiktiven Welt die Demokratie versucht würde einzuführen. Die zu Beginn schwer gebeutelte junge Daenerys Targaryen, die – wie einige andere männliche Vertreter auch – es als ihre Bestimmung sieht, Herrscherin der sieben Königreiche zu werden, hat sich auf ihrem beschwerlichen Weg (Flucht nach Auslöschung ihrer gesamten Familiendynastie, Zwangsheirat mit einem – nun ja – animalischen Nomadenkrieger, Verlust ihres ungeborenen Kindes durch schwarze Magie, etc.) an die Macht zur Aufgabe gemacht, die Sklaverei im Ostkontinent Essos zu beenden und in der riesigen Stadt Mereen das Regieren zu lernen, um eine weise und gerechte Königin zu werden, hinter der sich das gesamte Volk versammeln kann. Die Schwierigkeiten in die sie dabei gerät und die Entscheidungen die sie trifft, sind geradezu ein Lehrbuch für Menschen in Machtposition. Ihre direkten Anhörungen Mereens Bürger zeigen ihr die Komplexität dessen auf was es heißt zu regieren. Ein alter Mann, der unter der alten Herrschaft der Sklavenhalter Kinder unterrichtet hat, ist jetzt obdachlos und ohne Aufgabe und wünscht sich seine Sklavenposition zurück, andere fordern die Wiedereinführung von einer Art Gladiatorenkampf, damit den ehemaligen Sklavenhaltern wenigstens einige Traditionen erhalten bleiben. Letztlich bildet sich eine Terrormiliz namens Sons of the Harpy, die sich auf die Fahnen geschrieben hat, Daenerys' Herrschaft gewaltsam zu beenden und die alten Verhältnisse wiederherzustellen.

Auch in der Hauptstadt des Westkontinents hat sich eine von der Machthungrigen Ex-Königin Cersei Lannister (Lena Headey) bewaffnete fanatische Gruppe gebildet: The Faith Militant. Nicht ungleich religiöser Fanatiker unserer Zeit, besonders dem IS, morden sie „unmoralische“ Menschen, insbesondere Homosexuelle. Cerseis Plot geht natürlich nach hinten los, da das – wahre – Gerücht, ihr Sohn, der Kindeskönig Tommen, sei ein Produkt von Inzest, auch die Faith Militant erreicht hat und Tommen bereits auf der Straße von deren Anhängern beschimpft und bespuckt wird. Es läge nicht allzu fern, die Geschichte der Faith Militant mit der Geschichte der USA mit Osama bin Laden zu vergleichen: Die USA und die CIA bildeten damals bin Laden aus und bewaffneten ihn um im Norden Afghanistans die Russen zu bekämpfen. Was am Ende dabei herauskam ist Geschichte.

Bemerkenswert an der Welt von Game Of Thrones ist auch die faszinierende Gegenüberstellung von an institutionellen Chauvinismus grenzendem Patriarchat und unglaublich starken Frauenfiguren, die das System bekämpfen in jeglicher Art und Weise. Lady Oleanna Tyrell, Arya Stark, Daenerys Targaryen, Brienne of Tarth, die rote Priesterin Melisandre, Ygritte, etc... jede einzelne dieser Figuren sollte dem vorherrschenden Patriarchat die Schamesröte ins Gesicht treiben. Und es ist gut möglich dass die ehemalige Khaleesi (eine Art First Lady der Dothraki-Nomaden) Daenerys Targaryen am Ende von Game Of Thrones den Eisernen Thron einschmelzen lässt und der gesamten Kultur von Krieg, Gewalt, Unterwerfung und Herrschaft ein Ende setzen kann. Man wird wohl noch träumen dürfen.

Als Präsident Obama beim White House Correspondence Dinner den Comedian Keegan-Michael Key als seinen „Wutübersetzer“ auftreten ließ, so brüllte dieser bei der Erwähnung Hillary Clintons: „Khaleesi is coming to Westeros!!!“ Nein, Hillary Clinton ist nicht Daenerys Targaryen. Leider. Und doch muss auch Daenerys feststellen, als sie auf ihrer riesigen Pyramide - wie die allermeisten Menschen in Machtposition - von viel zu hoch oben auf die Stadt Mereen herabblickt:

Everyone looks happy enough from up here.

Regieren aus der Vogelperspektive, ob in Wirtschaft, Kirche oder Politik, kann nicht im Sinne des Volkes funktionieren.

*Szene aus der Staffelpremiere "The Wars To Come" (S05E01)

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Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

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