Angry White Men?

Geschlechter Ein Artikel auf Zeit Online behandelt das Phänomen der im Internet aufbegehrenden reaktionären Wutmänner leider etwas ungeschickt. Ein paar kurze Gedanken dazu.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Ich begebe mich mal in ganz ganz gefährliches Terrain. Aus ZEIT Online prangt heute ein Gastartikel zweier Frauen über die schimpfenden Internetforen-Männer sowie Journalisten wie Fleischhauer oder Matussek, "deren Wut sich vor allem gegen all jene richtet, die ihrer Meinung nach die Zerstörung einer sicheren Ordnung zu verantworten haben: Progressive, Frauen, Ausländer, Homosexuelle."

In dem Beitrag werden diese sogenannten angry white men dann psychologisiert und in einen bequemen Topf geworfen und drauf eingedroschen. Dabei nähern sich die Autorinnen erstaunlich weit dem Duktus der Gruppe über die sie schreiben. Im folgenden absehbar polternden Kommentarbereich kann man dann hämische Reaktionen auf genau diesen Umstand lesen, wie auch die üblichen Abwehrargumente der Männer, dass sie sich von niemand Denkverbote erteilen lassen (leise dazugedacht in vielen Fällen sicherlich: "und schon gar nicht von Frauen").

Während sich also mehr oder weniger zwei verfeindete Lager gegenseitig beschießen, betrachte ich wieder einmal von "außen" was passiert. Auf der einen Seite stehen Männer, die den „guten alten Zeiten“ nachtrauern und das Gefühl haben sie wären entmündigt worden durch den – pardon, das finde ich schon süß – Siegeszug der Feministen. Die meinen sie dürften nicht mehr denken was sie wollen und nicht mehr sagen was sie wollen und nicht mehr tun was sie wollen und Frauen, Schwule, Lesben und Ausländer nähmen ihnen ihren Lebensraum weg. Dass die alle vorher auch schon da waren, nur nicht denken und sagen und tun durften was sie wollten, ist die bittersüße Ironie. Und auch ein klein wenig problematisch, denn diese Menschen durften nicht denken, sagen oder tun was sie wollten, weil die Männer dachten, sagten und taten was sie wollten. Die Lösung ist also nicht dass jetzt alle andern denken, sagen und tun was sie wollen und die Männer halt nicht mehr. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder alle dürfen alles, oder alle müssen sich zusammenreißen.

Da wir ja nicht wollen dass es einen Bürgerkrieg gibt, wäre mein Vorschlag: Alle reißen sich zusammen.

Dennoch: Es bringt in der Tat nichts, immer mehr Redeverbote zu erteilen. Es begann mit der Abschaffung des angeblich abwertenden Begriffs „Fräulein“, dann folgten der „Neger“ und der „Zigeuner“ und jetzt ist es der Plural. Da der Plural im Deutschen ähnlich gebildet wird wie der männliche Singular, ist er sexistisch. Außer bei Mördern und Verbrechern und Steuerhinterziehern natürlich. Dort schreit niemand nach der neutralen Form „Mörderinnen und Mörder“ etc. Ein Detail vermutlich. Meine Ansicht ist, und man stürze sich bitte auf mich: Wer im „normalen“ deutschen Plural nur Männer hört, wer im Begriff „Fußgängerzone“ nur flanierende Männer vor Augen hat und deswegen nach dem Begriff „Flaniermeile“ kräht, hat mindestens eine selektive Wahrnehmung, hat ein ernstes Problem. Das hat mit uns anderen Menschen aber nichts zu tun. Die „neue Sprachordnung“ ist ein Produkt der Hysterie, kein wohlüberlegter Schritt in eine bessere sprachliche Zukunft.

Aber kommen wir zu den Männern, die immernoch denken sie wären die Krone der Schöpfung, Frauen wären schmückendes Beiwerk zum Lächeln, Winken, Putzen und Kochen, Ausländer gehörten raus aus Deutschland, Schwule und Lesben seien krank und müssten weggesperrt werden und außerdem: Früher war alles besser … Ich weiß nicht ob man ihnen helfen kann. Sie sind in ihrem eigenen Hamsterrad heißgelaufen und haben Angst vor jeder kleinsten Veränderung. Dabei verfallen sie einem Irrglauben: Frauen sind anders als Männer, Schwule sind anders als Heteros, Ausländer sind anders als Deutsche. Nein. Jeder einzelne heterosexuelle Mann ist anders als der andere, jeder Schwule ist anders als der andere, jede Frau ist anders als die andere. Wir sind sind nicht alle gleich, wir sind alle anders. Und wenn dieser Gedanke irgendwann mal die Hirnwindungen der Angry White Men erreicht, dann haben sie eine Chance, aus ihrem Hamsterrad zu springen und die Welt in Farben zu sehen und zu staunen. Aber so lange sie dort verweilen, kann man ihnen ruhig mal den Stinkefinger zeigen.

Aber wie bei allen heiklen Themen gilt trotzdem das Gebot der Behutsamkeit. Wir schaffen keinen Frieden zwischen den Geschlechtern durch einen Krieg. Genausowenig wie sonstwo auf der Welt. Das sollten langsam alle verstanden haben. Wir können es nur gemeinsam schaffen. So sehr uns auch ein Teil des Ganzen ankotzt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

Ernstchen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden