Are you not entertained?!

Trump, Kim, Erdogan & Co. Ob wir vor dem Atomkrieg stehen oder vor der Revolution ... Egal, langweilig wird es jedenfalls nicht ... Ist das zynisch? Wahrscheinlich.

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In einer Welt, in der Menschen wie Donald Trump an der Macht sind, sind die Aussichten düster
In einer Welt, in der Menschen wie Donald Trump an der Macht sind, sind die Aussichten düster

Foto: Christopher Furlong/AFP/Getty Images

„Are you not entertained?!“ (Russell Crowe als Maximus in „Gladiator“)

Eines muss man dem derzeitigen Zustand dieser Welt lassen: Es herrscht keine Langeweile. Während sich in Syrien weiter die wahrscheinlich größte humanitäre Katastrophe außerhalb Afrikas abspielt und ein völlig undurchdringliches Dickicht aus ausländischen Kampftruppen, Regierungstruppen, Rebellen und Islamisten das Land in Schutt und Asche legt, hat Erdogan sich zum Reichskanzler wählen lassen und sofort Dating-Shows und Wikipedia verbannt. Unabhängigen Journalismus gab es ja schon keinen mehr, geschweige denn Menschenrechte. Ähnlich wie in Nordkorea, wo der munter weiter eskalierende Babyface Kim in Donald Trump einen Bruder im Geiste gefunden hat. Einen Bruder mit dem er sich prügeln möchte natürlich, nicht Schach spielen. Trump selbst ist so ein tougher, starker Typ, dass er immer wieder kritische Interviews abbricht, davon spricht die libel laws zu Verändern, um Beleidigungen seiner Person seitens der Medien strafrechtlich verfolgen zu lassen, und mehr als drei Monate nach seiner Amtseinführung und ein halbes Jahr nach seinem Sieg im electoral college nicht aufhört damit anzugeben, dass sein Sieg der größte seit Reagan war (Tatsache ist, dass sowohl George Bush, der Erste, einen größeren Sieg einfuhr als auch Bill Clinton und Barack Obama bei jeweils beiden Wahlen. Nur George W. Bush erzielte schlechtere Ergebnisse als Donald Trump.) und die Menschenmenge bei seiner Inauguration die größte aller Zeiten war, was ebenfalls nicht einmal im Ansatz stimmt.

Gut, Trump hat es ohnehin nicht mit Fakten, deswegen passt er auch gut zur Republikanischen Partei, die, angestachelt von seiner unverschämten „I don't give a fuck“-Attitüde, in den ersten 100+ Tagen dieser Administration so viele menschenverachtende Gesetzentwürfe auf den Weg brachte, dass es den Otto-Normalverbraucher wundern könnte, dass Trumps Zustimmungswerte noch zwischen 35 und 40 Prozent liegen (was bereits ein Rekordtief für einen US-Präsidenten nach 100 Tagen Amtszeit ist) und nicht weit darunter. Eins ist unbestritten: Er ist extrem unterhaltsam. Irgendwo zwischen Superbösewicht und peinlichem Trottel. Weit peinlicher agiert derzeit allerdings die Demokratische Partei, deren betriebsblinde Führungsriege, die zusammen mit Hillary Clinton für das katastrophale Abschneiden der Partei in der Wahl im November verantwortlich war, munter „Weiter so!“ ausruft. Zwar werden Kampfbegriffe wie „The Resistance“ auf das Parteilabel gepappt, abgesehen davon wird weiter das gleiche Klein-Klein propagiert, alles brav im Sinne der großen Geldgeber, und völlig unselbstkritisch von den gleichen Politgesichtern, die den allmählichen Niedergang der Partei über die letzten ca. 10 Jahre zu verantworten waren, jetzt auch wieder mit ihrem grauen Star, Hillary Clinton, diejenige die das für unmöglich gehaltene schaffte: Gegen Donald Trump zu verlieren. Während es an der Basis brodelt, gibt sich die Führung komplett unbeirrlich, stur, unselbstkritisch, beratungsresistent.

Regelmäßig werden demokratische Kongressabgeordnete auf town halls in ihren Wahlbezirken unter tosendem Applaus der Menge gefragt ob sie „Medicare For All“ unterstützten, einen u.a. von Bernie Sanders eingebrachten Gesetzesentwurf zu einem single-payer-Gesundheitssystem nach europäischem Vorbild. Und regelmäßig antworten diese, wie zuletzt Nancy Pelosi, Debbie Wassermann-Schultz und Dianne Feinstein, mit einem laut ausgebuhten Nein, und begründen ihre Antwort damit, dass es wichtiger wäre zu verhindern dass Trump Obamacare abschafft, als „wieder von vorne anzufangen“. Die überwältigende Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung ist für ein Single-Payer-System, und das bekommt man bei diesen town halls bestätigt. Die Demokratische Partei ist jedoch schon lange nicht mehr die Partei der arbeitenden Bevölkerung, sondern genauso in der Tasche der Lobbyisten wie die Republikaner auch. Aber das ist ja nichts neues.

Das faszinierendste an der Trump-Regierung ist klar er selbst. Immer wieder macht er völlig unverschleiert deutlich, dass er ein völlig inkompetenter Vollpfosten ist, der weder Ahnung von dem hat was er da tut, noch Lust darauf. Das Level an Ahnungslosigkeit gepaart mit Bosheit und extremer Dünnhäutigkeit ist hierzulande schwer im höchsten Amt vorzustellen, und doch ist Donald Trump der „mächtigste Mensch der Welt“ mit direktem Zugang zu den nuklearen Codes. Nicht zuletzt wegen ihm ist die Doomsday Clock derzeit auf ihrem kritischsten Wert (2,5 Minuten vor Mitternacht) seit dem Höhepunkt der nuklearen Spannungen im Kalten Krieg um 1953. Nordkoreas Herumspielen mit nuklearer Technologie und Trumps plötzliche Lust auf Krieg und Verschärfung der Auslandseinsätze, nachdem er diese im Wahlkampf permanent kritisiert hatte, das Comeback der Russen als Lieblings-Bösewicht in den Augen der Protagonisten des westlichen Diskurses und der nicht enden wollende Terror machen nicht gerade Lust auf morgen. Es bleibt aber spannend wie eine Netflix-Serie.

Während also Trump die USA zertrampelt, Großbritannien aus der EU aussteigt, in Frankreich der Front National es zur zweitgrößten Partei des Landes gebracht hat, Erdogan nun hochoffiziell die säkulare Demokratie namens Türkei in eine autoritäre Diktatur mit Neigung zum Gottesstaat verwandelt hat, Polen und Ungarn bereits von Nationalisten regiert werden und gefühlt alles den Bach heruntergeht hier im „zivilisierten Westen“, wird uns Bewohnern von Westworld weiter vom großen Fortschritt berichtet: Von Drohnen die die Amazon-Lieferung bringen, von Altenpflegerobotern, von selbst fahrenden (oder gar fliegenden) Autos, vom endlich ohne Kassenschlangen einkaufen, von Elon Musks SpaceX-Programm, von bemannten Flügen zum Mars, von noch viel schnellerem Internet, von noch viel vernetzteren Haushaltsgegenständen, von noch viel intelligenteren Algorithmen, die unsere persönlichen Daten natürlich nur zu unserem eigenen Wohl auswerten und analysieren, von noch hochauflösenderen Kameras, von James Camerons Versprechen, das 3D-Kino ohne Brille möglich zu machen. Dass all diese Dinge einem Großteil der Menschen in Asien, Südamerika und besonders Afrika weder offen steht noch diese sonderlich interessiert (first world solutions), die Ausbeutung dieser Teile der Erde jedoch erst den Reichtum und Wohlstand des Westens möglich macht, den dieser „Fortschritt“ repräsentiert, interessiert jedoch kaum jemanden, wäre eine Sorge darüber doch ein Infragestellen des eigenen Lebensstandards.

Und so findet sich die Bevölkerung damit ab, von den Reichen regiert zu werden, so dass alles wenigstens mehr oder weniger beim Alten bleibt. Gekrümmter 4K-Fernseher, Surroundanlage, Multifunktionsdrucker, Dyson-Staubsauger, Jura-Kaffeemaschine, Zweitwagen, zwei Urlaube pro Jahr in Neuseeland oder Thailand, ganzheitlicher Kita-Platz für das Wunschkind, all das soll bitte so bleiben. Klar geht es den Menschen in Afrika schlecht, aber wir spenden doch jedes Jahr an Weihnachten für die TV-Sendung „Sternstunden“!!

Als die alexandrinische Bibliothek niederbrannte, besiegelte das das Ende einer Hochkultur. Unser Westworld befindet sich am Ende einer dekadenten Eskalation, die so im Widerspruch zum Rest der Welt steht, dass eine Explosion oder Implosion als unvermeidlich angesehen werden muss. In der Buchvorlage zu David Finchers „Fight Club“ von Autor Chuck Palahniuk sprengt Tyler Durden nicht wie im Film die Finanzinstitute in die Luft, sondern Museen und Bibliotheken, um die etablierte und althergebrachte Kultur auszulöschen und damit gewissermaßen die festgefahrene Denkstruktur der Menschen.

Würde Fight Club im Jahr 2017 neu verfilmt werden, würden am Ende des Films die Webserver brennen, würde die globale Vernetzung zerstört werden. Zu viele Menschen kommen mit dem virtuellen und realen Zusammenrücken der Kulturen nicht zurecht, mit dem Nebeneinander verschiedener Ideologien und Lebensentwürfe. Die Angst vor dem Ende der eigenen eingefahrenen Realität, gepaart mit dem Bauchgefühl, man würde von Eliten und Oligarchen regiert, die kein Interesse an den Nöten ihrer Bürger haben (was durchaus ins Schwarze trifft), treibt sie in die Arme von Geert Wilders, Recep Tayyid Erdogan, Marine Le Pen und Donald Trump.

Jüngere Generation beobachten diese Entwicklung weitgehend mit Entsetzen und Hilflosigkeit gegen einen reaktionären Trend der über die Welt zu schwappen scheint. Globale Protestaktionen wie Women's March und March For Science entstanden wie so oft in den USA, doch außer starkem Symbolcharakter haben die Aktionen kaum Wirkung gezeigt und verpuffen großteils. Gegen die Windmühlen der von den multinationalen Konzernen in den Schwitzkasten genommenen Pseudoregierungen haben solch eher harmlose grass roots movements kaum Wirkung, und für echte Revolutionen geht es den Menschen immernoch zu gut. Noch sind die Millenials, die Linken, open minded people stark motiviert, durch die Größe der Proteste und die Abscheulichkeit ihrer Feindbilder. Wenn sich jedoch der Sisyphus-Effekt einstellt, droht den Bewegungen die Kraft auszugehen. Wenn es überhaupt so weit kommt. Vielleicht startet Donald Trump ja nächste Woche aufgrund eines kritischen Tweets den dritten Weltkrieg. Dann haben wir erst einmal ganz andere Sorgen. Nur eins ist sicher: Es wird auf absehbare Zeit sicher nicht langweilig. Das ist zynisch. Aber was bleibt anderes übrig.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

Ernstchen

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