Danke und tschüss Bernie?!

Super Tuesday Die Presse, hier und in den USA, schreibt nach dem Super Tuesday Bernie Sanders jegliche Chancen auf die Nominierung ab. Die Wirklichkeit sieht anders aus.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Danke und tschüss Bernie?!

Foto: Scott Olson/Getty Images

"Fünf Lehren aus dem Super Tuesday" hat Marc Pitzke, der treue US-Korrespondent des Spiegels, parat. Und er berichtet uns aus Los Angeles nun folgende Lehre: "Danke und tschüss Bernie". Dass die US-Medien Sanders als Störenfried und Hillary Clinton als Establishment-Heilsbringerin verstehen, ist ja noch im Rahmen des US-Systems nachvollziehbar. Dass Pitzke auf diesen Zug immer und immer wieder aufspringt, ist dennoch bemerkenswert. Verfolgt man pure Zahlen und geradezu alle Medien in Deutschland und die allermeisten in den USA ist Bernie Sanders seit dem Super Tuesday erledigt. Und das, so fühlt sich die Berichterstattung an, zum Glück. Endlich kann Hillary durchmarschieren und sich mit Donald Trump anlegen.

Dass weder Hillary Clinton noch Donald Trump zu diesem Zeitpunkt sicher mit der Nominierung rechnen können, ist eine Tatsache, die zugunsten eines festgefahrenen Pressenarrativs bis zur Unkenntlichkeit verblasst ist. Dass Bernie Sanders nach dem Super Tuesday mehr Delegierte in der Tasche hat als 2008 Barack Obama in seinem Wahlkampf gegen Clinton hatte, spielt offenbar keine Rolle. Dass die Südstaaten, die beim Super Tuesday Clinton gute Gewinne einfuhren, demographisch bereits lang entschieden waren, wohingegen viele der noch verbleibenden Staaten eher zu Bernie Sanders' Vorteil aufgestellt sind - auch das ist offenbar irrelevant. Die Medien sehnen sich nach einer Status-Quo-Kandidatin namens Clinton.

Die Gründe dafür sind mannigfaltig. Der meist vorgeschobene ist jedoch das in diesem Wahlzyklus geradezu absurd verzerrte Phänomen "Wählbarkeit". Clinton hätte die besseren Chancen in der finalen Wahl gegen welchen republikanischen Kandidaten auch immer. Ein kurzer Blick auf Umfragen genau zu diesem Thema, z.B. auf realclearpolitics.com, ergeben ein komplett gegenteiliges Bild. In diesen Kandidat-gegen-Kandidat-Polls "besiegt" Bernie Sanders jeden einzelnen republikanischen Kandidaten, während Hillary Clinton dort gegen mehrere Kandidaten, unter anderem Ted Cruz, verliert. Dass Hillary Clinton die "more electable" Kandidatin der Demokraten ist, ist ein Märchen.

Das Jahr 2016 ist in den USA ein besonderes Jahr. Die etablierte Politik ist so unbeliebt wie nie zuvor in Amerika. Das erklärt sowohl Donald Trumps Durchmarsch als auch Bernie Sanders' noch vor ein paar Monaten als völlig undenkbar eingeschätzter Popularität. Sanders' Wählerschaft liegt in den jungen Generationen, Clintons in den älteren. Welche demographische Gruppe am Ende das Nachsehen hat, wird sich zeigen. Hätten sich die Medien sich nicht so darauf eingeschossen, Bernie Sanders als Spinner und Kuriosität abzutun und - im Gegensatz zu Trump, der ebenso als Spinner und Kuriosität gehandelt wurde - lange Zeit erst totzuschweigen um ihn, als er nicht mehr zu ignorieren war, lächerlich zu machen, oder zumindest zu "verharmlosen", Bernie Sanders wäre längst der Frontrunner der Demokraten. Dass die Partei mit dem eigentlich unabhängigen Kandidaten ihr eigenes Spiel spielt, und damit ebenso seine Kandidatur sabotiert, steht auf einem eigenen Blatt.

Klingt das alles nach Heldenverehrung "against the odds"? Mag sein. Tatsache ist jedoch: Bernie Sanders ist das beste was den USA politisch passieren kann bei dieser Wahl. Dass die Medien und die Demokratische Partei gegen ihn sind, spricht Bände über das System USA, das System Wall Street, das System "marktkonforme Demokratie", das System Kapitalismus. Das System hat Angst vor Bernie Sanders. Der beste Grund, ihm weiter aus der Ferne die Daumen zu drücken.

PS: Bernie Sanders ist laut Umfragen in den USA der meistgeschätzte Politiker. Seine "favourability" liegt bei 60%. Er ist damit der einzige US-Politiker mit einer positiven "favourability", alle anderen Kandidaten in beiden Parteien liegen unter 50%.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

Ernstchen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden