Amerika hat gewählt und das politische und mediale Establishment muss eine selbstverschuldete Niederlage verarbeiten, die es aufgrund einer gewissen Betriebsblindheit nicht für möglich gehalten hatte. Auch wenn die Presse mittlerweile einen Leitartikel nach dem anderen produziert, der darauf hinweisen soll dass "man es hätte kommen sehen können/müssen", erscheint diese späte Einsicht als hochgradig scheinheilig. Eine Journalistin sagte in einem Interview vor zwei Tagen, sie bekäme den Eindruck dass die Presse im Allgemeinen und sie selbst im Speziellen wohl in einer Ostküstenblase gewesen sein müssen. No shit, Sherlock.
Doch an der Frage, warum so viele Menschen Donald Trump wählen konnten, beißen sich die Pundits weiter die Zähne aus. Wie konnten Latinos zu fast 30% jemanden wählen, der mexikanische Einwanderer als Vergewaltiger und Drogenhändler bezeichnet hatte. Wie konnten beinahe die Hälfte aller Frauen jemanden wählen, der offen zugab, als Austragender eines Schönheitswettbewerbs in die Umkleidekabinen der z.T. minderjährigen Teilnehmerinnen einzudringen um sie nackt zu sehen, der mit seinem "grab them by the pussy"-Video seine Einstellung zu nicht einvernehmlichen sexuellen Handlungen unfreiwillig klar machte, nur um mit einem typischen Trump-Satz ("Nobody has more respect for women than I do. Nobody.") zu reagieren, als ob er wüsste dass das genügt.
Gründe für Trumps "überraschenden" Sieg liest man nun überall zu hauf: Das amerikanische Volk sei eben bigotter als gedacht, James Comeys FBI und Russlands Geheimdienste haben die Wahl bewusst manipuliert, das System der Wahlmänner ist schuld, Drittparteienwähler sind schuld, Bernie Sanders ist schuld, eher selten hört man, dass Hillary selbst und ihr DNC für die Misere verantwortlich sind, schon gar nicht aus der Partei selbst. Jetzt wird tatsächlich gerade von Seiten des Establishments Vizekandidat Tim Kaine als Hoffnungsträger 2020 gehandelt.
Der britische politische Satiriker Jonathan Pie hat in einem viral sehr erfolgreichen Video eine Theorie zu Gründen von Trumps Triumph aufgestellt, die fast nirgendwo sonst auftaucht, die aber so naheliegt, dass die meisten offenbar den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen können. Neben offensichtlichen Faktoren, die Trump als Protestkandidat gegen das Washington-Establishment in die Hände gespielt haben, spricht Pie den Umstand an, wie schnell die linke Elite mit Begriffen wie Rassismus und Sexismus um sich würfe, um das politisch rechte Spektrum der Bevölkerung zu beschreiben. Nicht nur sind die weißen altmodischen Wähler aus dem Rust-/Bible-belt in den Augen vieler Ost- und Westküstenbewohner und denen der Mainstream-Medien rückwärtsgewandt und irrelevant ("fly over states"), sie sind auch Rassisten, Sexisten und vor allem ungebildet und daher dumm. Dieses Narrativ lässt sich hier in Deutschland derzeit analog in Bezug auf die neuen Bundesländer, speziell Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern, beobachten. AfD-Wählern ist nicht zu helfen, sie sind dumm und außerdem ein bisschen böse. Ob "basket of deplorables" (laut Hillary Clinton) oder "Pack!" (laut Sigmar Gabriel), dieser Teil der Bevölkerung wird sowohl diesseits als auch jenseits des Großen Teichs als unbelehrbarer Abschaum bezeichnet. Und dadurch, dass diese Labels, genauso wie das Label "Rassisten" oft auf die ganze Gruppe, seien es Trumpwähler, Pegida-Anhänger oder Brexit-Befürworter, angewendet werden, verfestigt sich die Position derer, die vielleicht gar keine Rassisten sind, aber sich vom vorherrschenden System im Stich gelassen fühlen.
Was diesen Umstand unterstreicht, ist die Entwicklung der letzten 15 oder mehr Jahre in Richtung totaler "political correctness". Das Rausstreichen von bestimmten Wörtern aus alten Büchern, die Schreibweisen für Plurale, die "Flaniermeile" statt Fußgängerzone, das sind prinzipiell z.T. erstrebenswerte Veränderungen der Sprache hierzulande. Aber ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung fühlt sich dadurch bevormundet und stigmatisiert, wenn er seine sprachlichen Gewohnheiten nicht ablegen möchte.
In den USA ist diese Entwicklung noch polarisierter und extremer. Wenn eine weißhäutige Prominente sich mit Cornrows (eine Frisur typisch für die afroamerikanische Kultur) auf Instagram ablichtet, explodiert ein Shitstorm in den sozialen Medien. "Cultural appropriation" lautet die Anklage, die naturgemäß sogar weniger die Schwarzen selbst stört, sondern eher die sogenannten Social Justice Warriors (SJWs), meist College-gebildete junge Menschen, die bereits nervös werden, wenn jemand nur LGBT sagt und nicht LGBTQ. Der TV-Politsatiriker Bill Maher hat in manchen Universitäten Auftrittsverbot, weil Studenten keine kritischen Worte zum Islam hören wollen. "Safe spaces" sollen die Universitäten, wo niemand etwas hören muss das ihm oder ihr unangenehm ist, das sie "triggern" könnte. Dass in einer solchen, es wirklich gut meinenden, aber leider elitär und extrem unentspannt wirkenden Umgebung, der Nährboden für Unterstützer eines Donald Trump, der so redet wie ihm der Schnabel gewachsen ist (wenn seine Drittklässlersprache nicht bewusst einstudierte Inszenierung ist) und auch einfach mal politisch völlig Inkorrektes von sich gibt und – einfach gesprochen – darauf scheißt, ob er jemandem auf den Schlips dabei tritt oder nicht.
Geholfen hat sicherlich auch nicht, dass die "linke" Seite der Berichterstattung, sowohl unter den etablierten Medien als auch in den alternativen Newsformaten, Trumps Kommentare oft sehr vereinfach zugespitzt zitierten. "Mexicans are rapists" ist nicht, was Trump sagte. "I grab women by the pussy" ist auch nicht, was Trump sagte. Was er tatsächlich sagte, ist kaum weniger inakzeptabel, aber die linkeren Medien haben es dadurch den rechteren einfach gemacht, Trump gegen Anschuldigungen zu verteidigen. Die Konzentrierung der Attacken gegen Trump auf kontroverse Sprüche anstelle seiner teils haarsträubenden politischen Forderungen (Atomwaffeneinsatz, Einreisestopp für Muslime, bewusstes Bombardement von Zivilisten, Wiedereinführung von Folter, Abschaffung der Umweltschutzbehörde, Einschränkung der Pressefreiheit etc.) war womöglich der größte Fehler der Presse.
Der "basket of deplorables" ist es satt, nur noch bevormundet zu werden, während sein Platz als Teil der Mittelschicht in der amerikanischen Gesellschaft langsam zu Staub zerfällt und die Eliten des Landes sich immer weiter und weiter bereichern und gegenseitig Macht zuschachern. Das gleiche passiert hier in Deutschland. Und in Frankreich. Und in Österreich. Und in Großbritannien. Nächstes Jahr ist Bundestagswahl. Wir sollten uns nicht wundern wenn die AfD an der 20%-Grenze kratzen sollte, wenn wir nicht aus dem Trump-Desaster lernen, dass wir keine Gesellschaft sein können, wenn wir einen nicht unerheblichen Teil dieser Gesellschaft als Rassisten, Arschlöcher oder dumm abstempeln, selbst wenn diese z.T. ebenso einen anderen Teil der Gesellschaft abstempeln.
Die amerikanische Working Class hat das Vertrauen in die Demokraten verloren, sich um ihre Nöte und Bedürfnisse zu kümmern, was einst ihr offizielles Steckenpferd war. Hillary Clinton hat lieber Fundraiser mit reichen Leuten gehalten als Rallyes für Wähler, und denjenigen Kandidat, dessen politisches Programm sich am meisten mit den Wünschen des amerikanischen Volkes deckten, in der Vorwahl mithilfe der Parteiführung und der Presse sabotiert um sich die Nominierung zu sichern, nur um daraufhin völlig auf die Schnauze zu fallen, weil sie nicht sehen wollte oder konnte, dass die Bevölkerung wütend war. Wütend über den Washingtoner Klüngel, deren Symbolfigur Hillary Clinton ist ... war.
Der SPD droht 2017 das gleiche Schicksal. Wie die US-Demokraten sind die SPD immer weiter von ihrer Kernklientel abgerückt, ihr Chef Gabriel schlägt gerade mit dem Tengelmann-Deal, der völlig verwässerten Klimaagenda und TTiP/CETA einen der letzten Nägel in den Volksparteiensarg. Wir lachen zwar immernoch über die Vorstellung "Bundeskanzlerin Frauke Petri", doch Madame le President Marine Le Pen ist nicht einmal mehr unwahrscheinlich und Trump ist bereits gewählt. Es kann immer noch schlimmer kommen. Und dann hat es wieder niemand kommen sehen ...
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