Das Ende der Information

Medien im Krieg Jochen Bittner liefert seinen persönlichen Offenbarungseid mit einem unfassbaren Kommentar auf Zeit-Online. Und im Gazakonflikt hört man vor lauter Geschrei nichts mehr.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Viel ist über die Medien geschimpft worden in den letzten Monaten, im Verlauf der Ukraine-Krise, und das zurecht. Das Bild des "deutschen Qualitätsjournalismus" hat erheblich gelitten unter einer eigenartig kriegs- und feindbilderaffinen Sprache und Fokussierung. Teile der Freitags-Community bemühen sich unter anderen, eine fortwährende Gegendarstellung zur propagandistisch anmutenden vorherrschenden Medienmeinung zu liefern, die freilich auch ab und zu deutlich übers Ziel hinausschoss und manchmal mehr wie Gegenpropaganda wirkte als die lang ersehnte Objektivität.

Einen Platz in der Mitte zu finden, schien immer mehr unmöglich. Zu sagen dass beide Seiten ihren Anteil an der Misere haben bedeutete, feige auf eine Haltung zu verzichten.

Haltung bewiesen hat nun in fast schon demonstrativ endgültiger Weise der Zeit-Journalist Jochen Bittner mit einem Kommentar über MH17 ("Ist das Europas 9/11?"), in der er postuliert dass durch diesen Vorfall Europa nun eindeutig Stellung bezieht gegen Russland, und zwar Europas Bevölkerung: "Es gibt, wie nie zuvor, ein "uns" und ein "sie" nach dem vergangenen Donnerstag. " Gleichzeitig bescheinigt er "den Russen" eine ähnliche Motivation gegenüber "dem Westen" wie damals Al Kaida oder die Taliban. Dass es sich beim Abschuss von MH17 zu an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um einen Unfall handelte, ist nur ein Kernpunkt den er bewusst unter den Tisch kehrt, neben der Tatsache dass die Presse noch so sehr behaupten kann dass die Menschen in Europa alle hinter der NATO stehen und in Putin den Bösewicht sehen, die Realität ist schlicht eine andere.

Es ist ein trauriger Höhepunkt eindeutig immer kriegsrhetorischer schreibender deutscher Journalisten. Und es ist kein Zufall, dass gerade Jochen Bittner einer der Namen war, die im Rahmen der Satire-Sendung "Die Anstalt" vor ein paar Monaten gefallen sind im Zusammenhang von Rüstungslobby-Verbindungen deutscher Spitzenjournalisten. Joffe und Bittner klagten damals sofort gegen das ZDF, welches daraufhin sogar diesen Teil der Show aus ihrer Mediathek nehmen musste aufgrund einstweiliger Verfügung. Hier ein Interview mit Max Uthoff über diesen Vorfall und seine Meinung zur medialen "Berichterstattung" über den Ukraine-Konflikt:

Auf die Presse ist also kein Verlass (mehr?). Die öffentliche Gegenmeinung geriert sich allerdings oft auch nicht besser. Im Fall des neu aufgebrandeten Gaza-Konflikts ist in den Kommentarseiten, in den Foren, mittlerweile sogar auf den Straßen und in Fußballstadien nur noch Geschrei zu hören. Pro-Palästina, Pro-Irsael, Anti-Israel, Anti-Palästina, rauf und runter, die Tonleiter des Hasses. Der US-Satiriker Jon Stewart, selbst Jude, hat den Versuch, dieses Thema aufzugreifen, auf den Punkt gebracht:

Im weißen Rauschen der diametralen Positionen geht die Stimme der Vernunft unter, geht selbst die Information an sich zugrunde. Denn beide Seiten wedeln stets mit "Beweisen" herum, warum die andere Seite das ultimative Böse ist, und das in solch einer Lautstärke, dass sich das Getöse festsetzt in den Hirnwindungen.

Ein Video aus dem ZDF Heute-Journal zeigte eine junge erboste Frau die etwas auf russisch schimpfte. Das ZDF legte darüber einen Sprecher der auf deutsch übersetzte, sinngemäß: "Merk dir mein Gesicht, Poroschenko, ich komme nach Kiew und dann bringe ich dich und deine Kinder um." Die mittlerweile mehr als zweifelbaren Anonymous veröffentlichten dasselbe Video in dem die angeblich korrekte Übersetzung der Schimpftirade der Frau eingeblendet wird: "Lassen Sie uns in Ruhe, hauen Sie ab hier [an die Journalisten], ich will hier in Frieden meine Kinder aufwachsen sehen." (wieder sinngemäß, ich finde das Video leider nicht mehr) Ich kann das natürlich nicht nachprüfen weil ich erstens kein Russisch kann und zweitens der ZDF-Übersetzertext drübergesprochen ist. Ich sehe nur wieder zwei Möglichkeiten: Entweder das ZDF lügt auf unfassbarste Weise und hat damit den absoluten Beweis zu aktiver Kriegstreiberei erbracht, oder Anonymous wollen die Medien sabotieren. Tja, auch nicht undenkbar.

Ich habe keine Lust mehr auf diesen Krieg der Worte. Ich verzichte ab jetzt erst einmal auf eine Haltung, sowohl in der Ukraine-Krise als auch im Gaza-Konflikt. Ich habe das Gefühl, mir sind die Werkzeuge zur Meinungsbildung genommen worden. Derjenige der sich ganz ganz umfassend, mit großem Zeitaufwand und durch alle Medien und Plattformen mit allem findbaren über die Themen lang, lang auseinandersetzt, ja an die Flut an Information und Desinformation, an Meinung und Meinungsmache, wissenschaftlich herangeht, wie an eine Bachelor... na sagen wir lieber Doktorarbeit, der hat eine Chance einen Überblick zu bekommen und daraufhin eine Haltung für sich zu formulieren. Das ist die Nadel im Bevölkerungsheuhaufen. Der Ottonormalverbraucher klammert sich an die Presse, die ihre verblassend aufbäumende Macht nutzt, ihre eigenen Interessen, die offenbar nicht mehr Aufklärung und Informationsvermittlung sind, voranzutreiben. Oder er lässt sich von populistischen Rattenfängern hypnotisieren.

So oder so, die Information ist am Ende. Sie haben es geschafft, ich kapituliere.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

Ernstchen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden