Das Grabtuch des Journalismus

Mediensplitter #1: Die Kritik des Papstes an unserem Wirtschaftssystem verpufft in einem eigenartigen Exkurs im Newsradio.

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Prawda. Ein Name, der für uns in den 70er Jahren oder früher geborenen Mitteleuropäer als Synonym für Staatspresse-Propagandaorgan ins kollektive Gedächtnis eingegangen ist. Prawda, russisch für Wahrheit. Wunderbare Ironie. Man muss den russischen Namensgebern aus der Zarenzeit beinahe Respekt zollen für diese unverblümt zynische Benennung ihres Propagandablattes, das bis zum Ende des Kalten Krieges immer wieder in westlichen Medien zum Thema gemacht wurde.

2014 war das Jahr der Medienschelte und 2015 setzt diese Tendenz fort, diese "Erkenntnis", dass der Großteil dessen was wir unter Journalismus verstehen, mit der Suche nach Wahrheit, mit dem Hinterfragen von Politischen Floskeln und mit dem Sortieren nach wirklicher Relevanz kaum mehr etwas zu tun haben scheint. Kabarettisten sprechen von den "Enddarmbewohnern der Kanzlerin" (Priol), wenn von BILD, Bunte, Focus, Welt etc. die Rede ist.

Doch stellt sich die Frage: Sind diese Medienvertreter, sind diese Journalisten tatsächlich "gekauft" oder erpresst? Oder machen sie die Drecksarbeit freiwillig, entweder aus Komplizenschaft oder schlichter Unfähigkeit oder Unwissenheit? Wie stark ist die Schlinge aus politischer Verbandelung und wirtschaftlichem Sponsoring um den Hals der unabhängigen Berichterstattung, unter dem hypokritisc hen Eid der Volksaufklärung?

Am vergangenen Sonntag in den 12-Uhr-Nachrichten im bayerischen Infokanal B5Aktuell kam die Rede auf Papst Franziskus und seine Kritik an unserem korrupten Wirtschaftssystem und unserer Anbetung des Geldes. Dies wurde kurz angerissen um anschließend zu erwähnen, dass der Papst nach seiner Rede in Turin das Turiner Grabtuch besichtigt habe. Soweit, so journalistisch einwandfrei. Doch was dann passierte, in der Hauptnachrichtensendung, die auf den typischen Inforadiokanälen stets recht kurz gefasst ist, war ganz besonders merk(ens)würdig: Es folgte ein Bericht über das Grabtuch von Turin. Ein etwa einminütiger Hintergrundbericht zu einer katholischen Reliquie, von der vermutlich jeder schon einmal gehört hat und die vermutlich 95% aller Menschen für - nun ja - Bullshit halten. Mitten in einer aktuellen Nachrichtensendung. Auf die Worte von Franziskus wurde keine fünf Sekunden zu Beginn der Sendung eingegangen.

Nacherzählt wirkt das möglicherweise so als würde ich hier etwas überinterpretieren, aber in dem Moment als ich es hörte, gingen bei mir allerlei Alarmglocken hoch. Wurde hier der folkloristische Teil des Papstbesuches in Turin künstlich aufgebläht, um den "politischen" Teil zu verdrängen? Mir erscheint das offensichtlich. Ist das bereits das Selbstverständnis des Bayerischen Rundfunks oder wird dort direkt politisch eingegriffen und zensiert, wie vor ein paar Jahren beim SPD-Parteitag, der in der Tagesschau nicht behandelt wurde auf Anraten eines CSU-Funktionärs? (Ich bin mir nicht mehr sicher ob es Markus Söder war.)

"Sie können das alles senden", ist der berühmt-berüchtigte Satz Horst Seehofers zu Claus Kleber, als er nach einem offiziellen Interview vom Leder zog, und auf einem CSU-Parteitag vor zwei Jahren liefen die Hiwis mit T-Shirts herum, auf denen dieser Satz abgedruckt war. "Nur nicht das, was die Leute lieber nicht hören sollten", hätte auf dem Rücken des T-Shirts prangern sollen.

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Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

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