Das Kreuz mit der korrekten Sprache

Political Correctness Man kann nicht zu politisch korrekt sein, meint Mely Kiyak. Eine Entgegnung

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Ist Political Correctness zu weit gegangen? Kann Political Correctness überhaupt zu weit gehen? Mely Kiyaks Kolumne auf Zeit-Online beantwortet diese Frage(n) mit einem eindeutigen Nein. "Schluss mit dem dummen Geschwätz" betitelt sie ihr Plädoyer dafür, dass eine Diskussion über das Ausmaß von PC-Rhetorik und vielerorts geäußerte Bedenken darüber dass womöglich eben diese Rhetorik zum neuen rechten Aufbegehren sowohl hier in Deutschland als auch in Trumps Amerika zumindest beigetragen hat, falsch sei. Diese sicher gut gemeinte Haltung ist leider zu einfach, und im Urteil, eine Infragestellung der derzeitigen PC-Rhetorik sei "dummes Geschwätz" im Titel, bestätigt Kiyak gewissermaßen den Vorwurf, das PC-Diktat sei eine elitäre Oktruyierung am Volk vorbei. Der Fairness halber sei erwähnt, dass die Autorin den Titel vermutlich nicht selbst gewählt hat. Im Fließtext heißt es gegen Ende "Schluss mit dem ekelhaften, dummen und unaufgeklärten Geschwätz ..." und sie bezieht sich dabei auf Beispiele wie Öttingers "Schlitzaugen"-Bemerkung oder Herrmanns "wunderbaren Neger".

Menschen, die sich auf solche Weise über Minderheiten äußern als "ekelhaft, dumm und unaufgeklärt" zu bezeichnen, ist vielleicht im Reflex eine naheliegende Reaktion, wird jedoch das Problem nicht lösen. Es kann tatsächlich auch dazu beitragen, den Keil tiefer in die gespaltene Gesellschaft zu treiben. Ich sage es oft und ich sage es wieder: Wir sitzen alle im gleichen Boot, ob uns das gefällt oder nicht. Diejenigen die aus unserer Sicht respektlos, rassistisch, sexistisch sprechen und handeln zu beleidigen und ihnen einen Sprachregelkatalog vor die Nase zu halten, ist kontraproduktiv, so gern wir das auch tun wollten. Und für so "richtig" und "aufgeklärt" wir unseren Standpunkt auch halten.

Es kommt immer auch, und oft vor allem, auf das Wie an. Spricht elitäre Herablassung aus uns, erreichen wir nichts. Leben wir vor, ohne dabei mit dem Finger missbilligend zu wedeln, erreichen wir womöglich mehr.

Als im deutschen Sprachraum das Zeitalter der Euphemismen begann, gab es sicher auch einen gutgemeinten Impuls, die Müllhalde zum Entsorgungspark zu machen und die Putzfrau zur Reinigungsfachkraft. Dass wir inzwischen bei der Facility-Managerin angekommen sind, ist absurd und zeigt aber auf, was im Laufe dieser sprachlichen Verschnörkelungen eigentlich passiert ist: Das Wort "putzen" sollte vermieden werden und damit bekam es eine negative Konnotation. Dass eine Fachkraft für Oberflächen putzt, soll man im Namen nicht hören. Weil es eine "niedere" Beschäftigung ist, zu der sich viele zu "gut/schade" sind. Müll wurde zu Wertstoff und schon vergessen wir dass es eigentlich Müll ist, dass wir den ganzen Planeten in eine Müllhalde verwandeln. Schau an, wieviel Wertstoff ich produziere! Früher wurde jemand gefeuert oder entlassen. Jetzt wird man freigestellt. Oh wie schön ist doch die Freiheit! Dass da schon wieder jemand eine Arbeitsstelle verloren hat, ist aus dem Wort nicht mehr herauszuhören.

Dass die Sprache klare soziopsychologische Auswirkungen hat, ist ja eben gerade auch das Argument der Political Correctness. Dabei kommt es allerdings eben auch darauf an, welche Konnotation die vorherigen Wörter hatten. Das Beispiel "Zigeuner" ist im deutschsprachigen Raum ein interessantes: Wenn ich meinen rumänischen Freund Didi frage, wie man seine Ethnie bezeichnen soll, also Sinti, Roma, Rotationseuropäer oder eurasischer Nomade, dann sagt er: "Ich bin ein Zigeuner, verdammt noch mal." In den USA haben die verschiedenen Versuche, nicht mehr "black" zu sagen (colored, afro-american, african american), wieder zurück zu "black" geführt: "Look at me, I'm black. That's just how it is." Sicher, "black" hatte einst und hat es zum Teil immernoch eine negative Konnotation. Doch die Schwarzen haben das Wort für sich beansprucht und führen es zurück in die Neutralität.

Was wir in Deutschland mit dem ungünstigerweise mit dem Maskulin-Singular identischen Plural anstellen, sei es "Bürgerinnen und Bürger", "BürgerInnen", "Bürger*innen" oder "Bürger_innen", oder aber in der Umbenennung der Fußgängerzone in die Flaniermeile, ist alles - ich sage es erneut - gut gemeint, allerdings für die allermeisten Menschen in diesem Land völlig irrelevant und uninteressant. Denn die allermeisten Menschen denken nicht nur an männliche Fußgänger wenn sie das Wort "Fußgängerzone" hören. Bei anderen pluralen Substantiven wie "Lehrer" halte ich es hingegen durchaus für angebracht, von Lehrerinnen und Lehrern zu sprechen, nicht zuletzt da es bis vor ein paar Jahrzehnten Berufe gab die ausschließlich Männern zustanden. Die PC-Gemeinde hält es auch nicht für notwendig von "Mörderinnen und Mördern" zu sprechen, also halte ich es auch nicht für notwendig, von der Flaniermeile zu sprechen.

Sprache und Sprachpsychologie ist eine komplizierte Angelegenheit und ich will hier mitnichten jegliche Entwicklung in Richtung von gerechter Sprache abtun! Doch wenn wir uns bewusst differenziert und fair äußern wollen, dann dürfen wir uns auch nicht zu Verallgemeinerungen hinreißen. Wenn Hillary Clinton vom "basket of deplorables" spricht, wenn jemand Pegida und die AfD als rassistische Organisationen bezeichnet und damit alle Mitglieder und Sympathisanten zu Rassisten, dann verhärten wir die Mauer zwischen "denen und uns". Wenn Menschen, die "Neger" oder "Schlitzauge" sagen, automatisch als "ekelhaft, dumm und unaufgeklärt" abgestempelt werden, wenn der sprachliche Pranger das Zentrum unserer Empörung wird, dann laufen wir Gefahr, schwerwiegendere Probleme auszublenden und selbst eine neue Zwei-Klassen-Gesellschaft zu erschaffen: die Klasse der Klugen und die der Dummen, die der Aufgeklärten und die der Unaufgeklärten.

Ich habe es in meinem letzten Beitrag bereits angesprochen: Wenn es einen Shitstorm gibt weil jemand von der LGBT-Community spricht anstelle von LGBTQI, wenn jemand das alte Wort Asylant ausspricht anstelle des aktuell vorgeschlagenen "Geflohener" und dieser sofort zurechtgewiesen wird, dann wird über das Ziel hinausgeschossen.

Ausländer wurden zu Migranten, weil Menschen "Ausländer" als Schimpfwort verwendet haben. Jetzt verwenden Menschen eben "Migrant" als Schimpfwort. Das Wort "Kanake", ein altes Schimpfwort gegenüber Ausländern, heißt wortwörtlich "Mensch". Wir sollten nicht permanent die Wörter wechseln, wir sollten vielleicht akzeptieren dass manche Leute gewisse Wörter zur Denunziation verwenden, sich dem aber nicht ergeben, sondern das Wort für sich behaupten. Schwule haben sich noch keinen neuen Namen gegeben obwohl "das ist voll schwul" eine sehr gängige abfällige Bemerkung seit Jahrzehnten ist. Ich sage: Good for you! Bleibt dabei! Kapituliert nicht vor sprachlichen Kidnappern.

An die Adresse von Mely Kiyak sage ich: Ich verstehe vollkommen, warum Sie das so sehen. Ich stimme dem nicht zu. Political Correctness kann sehr wohl übertrieben werden und nach hinten losgehen. Das heißt nicht dass PC grundsätzlich eher schadet. Im Gegenteil. Doch wie alles andere muss auch das Thema PC differenziert betrachtet werden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

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