Demokrapitalismus am Ende 4: Russell Brand

Wählen oder nicht? Ein BBC-Interview mit dem Comedian Russell Brand über das Ende des Demokratiekapitalismus

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Demokrapitalismus am Ende 4: Russell Brand

Foto: Kevin Winter/ AFP/ Getty Images

Jeremy Paxman (BBC): Russell Brand, wer sind Sie, um ein politisches Magazin herauszubringen?

Russel Brand: Nun ich denke ich bin eine Person, die höflich von einer gutaussehenden Frau darum gebeten wurde. Ich weiß nicht was die üblichen Kriterien sind. Ich kenne nicht viele Menschen die politische Magazine herausgebracht haben. Boris [Johnson, Londons Bürgermeister] hat das mal gemacht oder? Insofern: Ich bin ein Typ mit verrückten Haaren und einem Sinn für Humor, der wenig von Politik versteht, ich bin ideal.

Stimmt es dass Sie nicht einmal wählen?

Ja ich wähle nicht.

Woher nehmen Sie dann die Autorität über Politik reden zu können?

Ich beziehe meine Autorität nicht aus dem vorherrschenden Paradigma, das recht eng gefasst ist und nur wenigen Leuten dient. Ich schaue mich anderswo nach Alternativen um, die der Menschheit einen guten Dienst erweisen könnten. Alternativen heißt alternative politische Systeme.

Als da wären?

Ich hab es noch nicht erfunden, Jeremy, ich musste letzte Woche ein Magazin herausbringen. […] Aber ich würde sagen, folgendes sollte [das alternative System] nicht tun: Es sollte nicht den Planeten zerstören, es sollte keine massive ökonomische Ungleichheit erzeugen, es sollte nicht die Bedürfnisse des Volkes ignorieren. Die Beweispflicht liegt bei denen die an der Macht sind, nicht bei denen die ein Magazin herausbringen.

Wie stellen Sie sich vor gelangen die Menschen an die Macht?

Ich denke es gibt gewisse Hierarchiesysteme, die seit Generationen aufrecht erhalten werden.

Sie gelangen an die Macht indem sie gewählt werden!

Das sagen Sie, Jeremy.

Und Sie bringt man nicht einmal dazu wählen zu gehen!

Das ist ein recht eng gefasster Beschreibungsparameter, der innerhalb …

In einer Demokratie funktioniert es eben so.

Nun ich denke eben nicht dass es besonders gut funktioniert. Wenn man sieht dass der Planet zerstört wird, wenn man die Arm-Reich-Schere sieht … Wollen Sie sagen, es gäbe keine Alternative?

Nein, ich will sagen: Wenn Sie nicht wählen gehen, warum sollten wir Ihren politischen Ansichten Gehör schenken?

Sie müssen meinen politischen Ansichten kein Gehör schenken. Aber ich bin nicht Nichtwähler aus Apathie, sondern aus absoluter Indifferenz und Ermüdung und Überdruss bezüglich der seit Generationen anhaltenden Lügen, Betrügereien und Täuschungen der politischen Klasse, die nun den Siedepunkt erreicht haben und wir eine entrechtete, desillusionierte und niedergeschlagene Unterschicht haben, die nicht von dem politischen System repräsentiert wird. Und es zu wählen ist stillschweigendes Komplizentum mit dem System in dem wir leben, und dazu bin ich momentan nicht bereit.

Aber warum ändern Sie es dann nicht?

Das versuche ich ja.

Aber warum beginnen Sie nicht damit, indem Sie wählen gehen?

Weil ich nicht denke dass es funktioniert. Die Leute haben gewählt und haben damit das aktuelle Paradigma mit erzeugt.

Wann haben Sie das letzte Mal gewählt?

Noch nie.

Sie haben noch niemals gewählt?

Denken Sie das ist sehr schlimm?

Also haben Sie diese Einstellung schon seit bevor Sie 18 waren?

Naja ich war damals damit beschäftigt, ein Drogenabhängiger zu sein, weil ich genau aus dem sozialen Umfeld komme, dass sich durch ein indifferentes System noch verschärft, welches an sich nur die Verwaltung für große Konzerne darstellt und die breite Bevölkerung ignoriert, die gegen ihre eigenen Bedürfnisse wählt.

Sie geben der politischen Klasse die Schuld an Ihrem Drogenproblem?!

Nein nein. Ich sage, dass ich Teil einer gesellschaftlichen und ökonomischen Klasse war, die vom aktuellen politischen System im Stich gelassen wird. Und Drogenabhängigkeit ist eines der Probleme die dadurch entstehen in einer riesigen, im Stich gelassenen, verarmten Bevölkerungsschicht, die dann auch nicht das Bedürfnis verspürt sich mit dem gängigen politischen System auseinanderzusetzen, weil sie sieht, dass es für sie nicht funktioniert und keinen Unterschied macht, ob es ihr dient oder nicht.

Natürlich funktioniert es für sie nicht wenn sie nicht wählen.

Jeremy, Darling, die Apathie kommt nicht von uns, dem Volk, sie kommt von den Politikern, sie sind teilnahmslos gegenüber unseren Bedürfnissen. Sie interessieren sich nur dafür den Interessen von großen Konzernen zu dienen. Ich habe gehört, dass die Tories vor Gericht ziehen um das EU-Abkommen anzufechten, weil die EU versucht unseren Banken die Boni zu begrenzen. Ist es das was gerade passiert in unserem Land? Das passiert wirklich, nicht wahr? Was soll ich denn da machen?!

Sie glauben nicht an die Demokratie, oder? Sie wollen eine Revolution!

Wir zerstören den Planeten. Wir erschaffen eine Unterschicht. Und wir nutzen arme Menschen überall auf der Welt aus. Und mit den realen, legitimen Problemen der Menschen wird sich nicht befasst in unserer politischen Klasse.

All diese Dinge mögen wahr sein.

Sie sind es!

Ich bin da durchaus Ihrer Meinung bei vielem.

Warum fühl ich mich dann so mit Ihnen im Widerspruch? Es kann nicht am Bart liegen, der ist hinreißend! Und wenn die Daily Mail Ihren Bart nicht mag, ich mag ihn. Ich bin gegen die. Lassen Sie ihn lang wachsen und verknoten Sie ihn mit ihren Achselhaaren!!!

Sie sind ein sehr trivialer Mann.

Wie kommen Sie denn darauf? Vor einer Minute sind Sie auf mich losgegangen, weil ich eine Revolution will und jetzt bin ich trivial? Ich bin alles und überall!!

Ich gehe nicht auf Sie los, weil Sie eine Revolution wollen, viele Menschen wollen eine Revolution, ich frage Sie nur wie die aussehen soll!

Nun, ich denke sie wird nicht so aussehen: eine große Schere zwischen Arm und Reich. 300 Amerikaner haben die gleiche Menge an Vermögen wie die 85 Millionen ärmsten US-Amerikaner. Es gibt eine ausgebeutete und im Stich gelassene Unterschicht, die weiter ignoriert, ja absichtlich ausgepeitscht wird, während [David] Cameron und [George] Osborne [britischer Finanzminister] vor Gericht ziehen um das Recht der Banken zu verteidigen, riesige Boni auszuschütten.

Wie soll die Revolution aussehen, das ist meine Frage, was ist der Plan? Sie reden vage über Revolution. Wie soll sie aussehen?

Ich denke, ein sozialistisches egalitäres System, beruhend auf massiver Umverteilung des Vermögens, starker Besteuerung von Konzernen und massiver Verantwortung für Energiekonzerne und andere Umweltausbeuter, sie sollten … Ich glaube das ganze Konzept von Profit sollte stark reduziert werden. David Cameron sagt „Profit ist kein schmutziges Wort“, ich sage Profit ist ein dreckiges Wort, denn immer wenn Profit entsteht, entsteht auch Mangel. Und dieses heutige System befasst sich nicht mit diesen Ideen. Also warum sollte jemand dafür seine Stimme abgeben? Warum sollte irgendjemand daran interessiert sein?

Wer würde diese Steuern eintreiben?

Ich denke, wir werden schon mindestens ein zentrales Verwaltungssystem brauchen …

Wie ein Parlament?Das war einmal unsere Regierung.

Na, nennen wir es nicht Regierung, sondern vielleicht sowas wie „die Admin-Bots“ [Verwaltungs-Bots], damit die einen eigenen Namen für sich haben.

Und wie werden die ausgewählt?

Jeremy, bitte verlangen Sie nicht von mir, dass ich hier und heute in einem verdammten Interview mit Ihnen in einem Hotelzimmer ein globales utopisches System entwerfe. Ich habe lediglich aufzeigen wollen …

Sie haben eine Revolution ausgerufen!

Ja. Absolut. Ich rufe nach Veränderung. Ich rufe nach echten Alternativen.

Es gibt eine Menge Menschen die Ihnen zustimmen würden. Das derzeitige System kümmert sich tatsächlich kaum um jede Menge Probleme. Und diese Menschen fühlen sich apathisch. Wirklich apathisch. Aber wenn sie Sie ernstnehmen sollen und nicht wählen gehen …

Ja sie sollten nicht wählen, das sollten sie tun, nicht wählen. Denn dann kommen wir an einem Punkt … Diese kleinen Ventile, diese bequemen kleinen Ventile wie Recycling, Prius [ein Hybridauto], halten uns davon ab einen Punkt zu erreichen an dem wir die Schnauze voll haben. Also hört auf zu wählen, hört auf euch was vorzumachen, wacht auf! Kommt in die Realität! Wozu wählen? Wir wissen ohnehin, dass es keinen Unterschied macht. Ich habe mehr Auswirkung, wenn ich West Ham United anfeuere, und die haben gegen [Manchester] City verloren, unnötigerweise. Schade.

Jetzt machen Sie aber Späße.

Spaß hat genausoviel Wert wie Ernsthaftigkeit. Ich glaube, Sie verwechseln Ernsthaftigkeit mit …

Wir werden die Probleme der Welt nicht mit Späßen lösen!

Mit dem momentanen System auch nicht! Späße sind wenigstens lustig.

Manchmal.

Ja, manchmal, Jeremy. Hören Sie, lassen Sie uns das doch optimistisch angehen. Sie haben Ihre gesamte Karriere damit verbracht, Politiker zu beschimpfen und ihnen Moralpredigten zu halten, und dann komme ich und sage „Oh die sind ja alle wertlos, was soll das bringen sich mit denen zu befassen“ und Sie machen mich immernoch runter, weil ich nicht mehr arm bin.

Ich mache Sie nicht runter deswegen. Ich frage Sie nur: Warum würde man Sie ernstnehmen, wenn sie so unspezifisch bleiben.

Erstens, es ist mir nicht wichtig, ob Sie mich ernstnehmen. Ich bin nur hier um ein wenig Aufmerksamkeit für ein paar Ideen zu erzeugen. Ich will auch nur ein wenig Spaß haben. Ich sage nur es gibt da Menschen mit alternativen Ideen die viel besser qualifiziert sind als ich und die viel viel besser qualifiziert vor allem als die Menschen sind die derzeit diesen Job verrichten, weil diese nicht versuchen diese Probleme zu lösen, sie versuchen die Bevölkerung zu zerknittern. Die aktuellen Maßnahmen, z.B. gegen den Klimawandel, sind gleichgültig, sie werden das Problem nicht lösen.

Ist es nicht möglich, dass die Menschen einfach überfordert sind vom Ausmaß des Problems?

Nicht wirklich. Naja, möglicherweise, es könnte das sein. Aber das ist eigentlich nur Semantik, ob sie nun überfordert sind oder es aus Gewohnheit stillschweigend hinnehmen. Was mir aufgefallen ist als ich in den Houses of Parliament war, dort ist es genauso dekoriert wie in Eton und genauso wie in Oxford. Eine bestimmte Sorte Menschen würde sagen „Oh das macht mich nervös“ und eine andere Sorte würde sagen „Genau so sollte es sein“. Und ich denke, das muss sich jetzt ändern. Wir können nicht mehr falsche, doppelzüngige Systeme aufrechterhalten, nur Systeme die dem Planeten und seiner Bevölkerung dienen. Nicht diejenigen die den Eliten dienen, weder den politischen Eliten noch den Wirtschaftseliten, denn das ist was momentan passiert.

Sie können das doch nicht wirklich glauben.

Ich glaube das total. Schauen Sie mich nicht so resigniert an als würden sie einen Hausbrand betrachten. […?] Ich bin zur gleichen Grundschule gegangen wie Boris [Johnson].

Das stimmt, aber danach sind Sie auf eine Gesamtschule in North London gegangen.

Das ist ja alles schön und gut. Aber was ich sagen will, innerhalb des existierenden Paradigmas sind die Veränderungen nicht dramatisch, nicht radikal genug. Man kann also gut verstehen warum es öffentliche Aufstände, Demonstrationen gibt und Unzufriedenheit bei den Bürgern wenn es keine echten Veränderungen gibt, keine echten Alternativen angeboten werden. Ich sage, wenn es eine echte Alternative gibt, eine reale Option, dann kann man das ja wählen. Aber bis dahin, pff, pfeift drauf! Warum so tun als ob? Warum Komplize sein in dieser lächerlichen Illusion?

Weil es zu dem Zeitpunkt wo jemand da ist, den Sie vielleicht wählenswert fänden, es schon zu spät sein könnte.

Das glaube ich nicht. Jetzt ist die Zeit! Diese Bewegungen passieren bereits überall. Wir leben in einer Zeit in der Kommunikation augenblicklich passiert. Und es gibt Communities überall auf der Welt. Occupy hat etwas bewegt, selbst wenn es nur dem öffentlichen Sprachgebrauch die Idee der 99% vs 1% beigebracht hat. Das erste Mal in einer Generation ist den Menschen die massive Ausbeutung durch Wirtschaft und Konzerne klar geworden. Diese Sachen sind kein Unsinn und doch wird sich mit ihnen nicht befasst. Niemand macht etwas gegen Steueroasen. Niemand tut etwas gegen die politischen und finanziellen Seilschaften der konservativen Partei. Daher, so lange niemand Probleme angreift, die tatsächlich real sind … warum soll ich keine Scherze darüber machen, warum soll ich nicht albern sein? Warum sollte ich es ernstnehmen? Warum sollte ich eine Wählerschaft von absolut politikverdrossenen jungen Leuten ermutigen wählen zu gehen? Sind Sie nicht auch gelangweilt? Sind Sie nicht gelangweilter als alle anderen? Sie haben sich Jahr um Jahr die Lügen angehört, den Unsinn. Und dann ist dieser am Ruder, dann jener, aber das Problem bleibt bestehen. Warum sollten wir weiter beitragen zu dieser Fassade?

Ich bin überrascht, dass Sie überhaupt zu Scherzen aufgelegt sind, wenn Sie so wütend darüber sind.

Ja, ich bin wütend. Weil es real für mich ist. Für mich ist das kein Randthema das ab und zu mal auftaucht wofür die Kirche kämpfen soll. Für mich geht es darum woher ich komme.

Sehen Sie überhaupt Hoffnung?

Ja natürlich, absolut, diese Revolution wird passieren, definitiv. Ich habe nicht den geringsten Zweifel. Dies ist das Ende. Dies ist die Zeit des Erwachens. Ich erinnere mich an diese Sendung in der Sie sich ihre Vorfahren angesehen haben, als sie gesehen haben [wie Ihre Großmutter von der Aristokratie verarscht worden ist … (manche Wörter sind nicht verständlich)] haben Sie geweint, weil Sie wussten dass das ungerecht war. Und das war vor einem Jahrhundert. Das gleiche passiert heutzutage immernoch. Ich war gerade erst bei einer Frau die so behandelt wurde, ich habe heute erst mit einer Frau gesprochen, die so behandelt wurde. Und wenn wir uns mit diesem Gefühl auseinandersetzen können anstatt uns in tränenreichen Sentimentalitätsmomenten zu suhlen die uns über das Fernsehen vorgekaut werden, wenn wir uns wirklich uns diesem Gefühl auseinandersetzen, um Dinge zu ändern, warum sollten wir das nicht tun? Warum ist das naiv? Warum ist das nicht mein Recht, nur weil ich ein Schauspieler bin? Ich meine, ich habe mir das Recht dazu genommen, ich brauche keine Erlaubnis von Ihnen, ich brauche keine Erlaubnis von niemandem. Ich nehme mir dieses Recht!

Anmerkung: Einige Wörter musste ich googlen, andere habe ich akustisch nicht verstanden, ich denke aber dass ich den Sinn korrekt wiedergegeben habe. Die Geschichte über die Großmutter des Moderators gegen Ende war allerdings so voller Slang und/oder altmodischen Begriffen dass ich nicht mal ansatzweise verstanden hab was ihr angetan wurde. Schade.

Anmerkung 2: Russell Brand ist eine kontroverse Figur, viele können mit seiner Art zu reden nichts anfangen, viele sind von ihm genervt und von seiner aufgedrehten Art. Das nur als Warnung falls jemand das Video ansehen will. Es ist ein harter Brocken Englisch. Daher meine Übersetzung.

Anmerkung 3: Ich teile nicht notwendigerweise alle Ansichten von Russell Brand, ich finde seine Wortmeldung jedoch einen berechtigten Beitrag zu meinem Zukunfts-Sammelthema. Hier meine bisherigen anderen Blogs dazu:

https://www.freitag.de/autoren/ernstchen/demokrapitalismus-am-ende-was-dann

https://www.freitag.de/autoren/ernstchen/bleibt-alles-anders-die-zukunft-war-gestern

https://www.freitag.de/autoren/ernstchen/bon-bon-eukalypse-now

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Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

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