"Der Markt reguliert sich von allein."

Qualität Beim Überfliegen eines Facebook-Posts stieß ich auf eine Formulierung, bei der mir etwas klar wurde. Ein spontaner Impuls-Beitrag ...

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Der Stein des Anstoßes war ein Artikel auf Welt Online namens "Modeberuf Trainer - Wir coachen uns zu Tode", der auf Facebook geteilt wurde, offenbar von jemanden der in diesem Berufsfeld arbeitet. In seinem Posting zu dem Artikel zitiert er eine Stelle in der gesagt wird, dass die meisten Coaches "vor allem eins produzieren: Heiße Luft" und stellt dieses harte Urteil zur Debatte. Nun soll es hier nicht um Coaches und ihren Beitrag zur Gesellschaft gehen. Es geht um einen Satz der in einem Kommentar auf den Facebook-Post fiel, der symptomatisch für unsere gesamte Weltordnung ist.

Eine Kommentatorin schrieb, auf die Bemerkung hin, dass es wirklich eine Menge ... nun ja, Quacksalber im Coaching-Bereich gibt, folgendes:

"Ich denke der Markt reguliert sich von allein. Qualität setzt sich eben durch."

Ein an sich harmlos wirkender, fast schon Common-Sense-Satz, dessen Tragödie sich erst nach kurzem Nachdenken erschließt. Die Tragödie ist nämlich, dass man ihn als common sense eingeordnet hat. Dieser Satz wird uns "vom Markt" vorgebetet wie eine hypnotisierende Litanei, bis wir alle mitmurmeln. Dabei ist er eine Lüge. Eine Zwecklüge, eine Propagandalüge. Dass sich Qualität "im Markt" durchsetzt, kann zwar vorkommen, ist aber weder die Regel noch erwünscht von den big players. Monsanto, McDonald's und H&M haben sich nicht aufgrund ihrer Qualität durchgesetzt bzw. in eine beinahe Monopolstellung gehievt, sondern durch Dominanz und Unverfrorenheit, durch Geld und Macht.

Und selbst wenn man andere Bereiche des Lebens betrachtet: Würde sich Qualität stets durchsetzen, warum sind die weltweit bekanntesten deutschen Bands dann Rammstein, Scorpions, Modern Talking, Scooter und Tokio Hotel? Klar, im Bereich von Kultur ist Qualität ein schwer zu definierender Begriff und die Geschmäcker sind verschieden, und dennoch: Das sind nicht die fünf besten Bands, es sind die fünf erfolgreichsten.

Damals, beim Kampf um das Home-Video-Monopol standen drei Videoformate im Ring: Video2000, BETA und VHS. Das von der Bildqualität schlechteste, VHS, gewann den Kampf. Den Kampf zwischen BluRay und HD-DVD gewann das Format das a) den besseren Namen hatte und b) Sony für die Playstation verwendete.

Jetzt, im Internetzeitalter, werden manche sagen: Dadurch dass man alle Produkte im Internet bewerten, ja sogar ausführlich kritisieren kann, beispielsweise auf Amazon oder QYPE, hätte die Qualität eine größere Chance auf Erfolg. Aber ist das wirklich so? Ist der Wust der Bewertungen nicht längst über unsere Interessensschwelle geschwappt, so wie der Wust aus Online-Petitionen die jeden Tag ins Email-Postfach plumpsen?

"Der Markt", wie ich ihn hier stets in Anführungszeichen schreibe, weil er natürlich keine allumfassende bösartige Teufelsfigur ist, die uns immer nur das allerschlechteste will, ist im überwiegenden Großteil dominiert von Konzernen, die Qualität nicht als Priorität eins haben. Und doch oder gerade deswegen flößen sie uns die Lügenlitanei ein, die wir artig nachplappern bis wir sie glauben wie ein Naturgesetz:

Der Markt reguliert sich von allein. Qualität setzt sich eben durch.

Solange wir diese Lüge mittragen, ist uns "Verbrauchern" nicht zu helfen. Solange wir - und noch tragischer: unsere Regierungen genauso - diese Lüge mitsprechen, sinken wir tiefer in den Treibsand der weltweiten kapitalistischen Oligarchie.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

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