Der objektive Mr. Trump

Donald Trump Über Trump wird einfach nicht objektiv berichtet, klagen sie hier und auf Facebook. Wirklich nicht? Ich probiere es gerne nochmal.

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Vor allem wegen Trumo geht es steil bergab mit dem amerikanischen Politiksystem
Vor allem wegen Trumo geht es steil bergab mit dem amerikanischen Politiksystem

Foto: MANDEL NGAN/AFP/Getty Images

Die gleichgeschalteten, korrupten Medien verteufeln Donald Trump und versagen in ihrem verfassungsgemäßen Auftrag, objektiv zu berichten. Diese Art von Kritik bekomme ich z.T. hier, vor allem aber wenn meine Freitags-Beiträge zur US-Politik auf Facebook veröffentlicht werden. Dass ein unbezahlter Freizeit-Blogger auf der Community-Seite des Freitag zur gleichgeschalteten, korrupten Mainstream-Medienwelt gehört, wäre mir neu, aber klar, ich habe meine Informationen sicher ausschließlich von CNN, der New York Times, der Washington Post und aus dem Spiegel.

Ich möchte diese Unterstellungen und Vorwürfe nicht achselzuckend abtun sondern ernstnehmen. Es herrscht hier wie in den USA auch eine große Frustration damit, dass die Medien sich so auf den wandelnden Autounfall Donald Trump eingeschossen haben, dass Sachthemen, tatsächliche politische Konflikte und Lösungen eher auf der Strecke bleiben. Russland, böses Russland, Trumps Kabinett und er selbst sind Landesverräter, ganz bestimmt, irgendwann werden mal irgendwelche eindeutigen Fakten dazu ans Licht kommen. Bis dahin behandeln wir die Angelegenheit wie damals CNN das verschwundene malaysische Flugzeug. Breaking News: Es ist immernoch verschwunden. Dieser Vorwurf an die Medien ist eindeutig und völlig unbestreitbar gerechtfertigt.

Was allerdings nicht wenige aus dieser medialen Trumpwalze folgern ist: Bei Trump ist nicht alles schlecht. Und Hillary wäre genauso schlimm gewesen, wenn nicht noch schlimmer. Und die Demokraten sind auch ganz schlimm. Und überhaupt. So rein wörtlich verstanden, stimmt das fast alles. Das darf aber nicht darüber hinwegtrügen, dass Donald Trumps Präsidentschaft eine kolossale Katastrophe ist. Ganz sicher für die US-amerikanische Bevölkerung, vielleicht sogar für den gesamten Planeten. Dass er dumme Sachen auf Twitter von sich gibt, dass sein Pressesprecher eine Witzfigur ist, dass Trump ganz offensichtlich keinerlei Ahnung von auch nur den grundlegendsten politischen Angelegenheiten und den Anforderungen seines Amtes, geschweige denn von der Welt als big picture hat, ist eine Sache. Dass er bis auf den Ausstieg aus dem pazifischen Freihandelsabkommen TPP bisher nichts beschlossen hat, das eine Mehrheit in der US-Bevölkerung befürwortet, ist die andere Sache.

Die neueste Version seiner Gesundheitsreform AHCA wird ca. 20 Millionen Bürgerinnen und Bürgern die Krankenversicherung kosten. Die Wiederbelebung der Kohleindustrie geht völlig an allen industriellen Entwicklungen vorbei. Der Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen wirft das Land und den Planeten potentiell um Jahre zurück im Kampf gegen den Klimawandel. Die Aufkündigung des Kuba-Deals, Waffenlieferungen im Wert von 100 Milliarden Dollar nach Saudi-Arabien und nun 20 Milliarden nach Katar, radikale Budgetkürzungen in den Bereichen AIDS-Forschung, Umweltschutz, Bildung und vielen weiteren Bereichen, Säbelrasseln mit Nordkorea, Abwurf der MOAB in Afghanistan inklusive Truppenausweitung, der geplante Mauerbau nach Mexiko, die Zurücknahme der Baustopps für zwei große Ölpipelines, die Infragestellung der Netzneutralität … ich will mit Fug und Recht behaupten, die Politik der derzeitigen US-Regierung unter Trump ist eine toxische, menschenfeindliche Politik. Und ja, man könnte sagen, das wäre die von Frau Merkel und Monsieur Macron und Mrs. May ebenso. Ich meine, nicht im gleichen Maße.

Dass ein Impeachment von Donald Trump, wie es sich so manche wünschen, diese Probleme nicht lösen klar, wird klar wenn man auch nur einen kurzen Blick auf Vize Mike Pence wirft, der in diesem Fall das Amt übernähme. Dass ein so unbeliebter Präsident der Opposition und sozialdemokratischen Graswurzelbewegungen Aufwind gibt für die nächsten Wahlen ist auch unbestreitbar. Doch auch dort ist erheblicher Schaden angerichtet worden, sowohl von Hillary Clintons Establishment-Partei-Wahldesaster als auch vom gereizten, aggressiven Tonfall des politischen Diskurses, den Donald Trump immens verschärft hat. Die linksorientierten Graswurzelbewegungen gehen sich gegenseitig an die Gurgel, wie oft auch hier mit den sehr hilfreichen Argumenten „du bist nicht links genug“ und „dein Idealismus macht alles kaputt“. Brand New Congress, Justice Democrats und Draft Bernie, die drei derzeit präsentesten dieser Bewegungen, gehen zwar derzeit noch relativ zivilisiert miteinander um, das kann aber jederzeit kippen.

Donald Trump hat mit tatkräftiger Hilfe von Hillary Clinton und des reichen Establishments das amerikanische Politiksystem an den Rand des Zusammenbruchs gebracht. Das mag mittelfristig eine reinigende Wirkung haben. Es kann auch in die absolute Katastrophe führen. Ansonsten ist Donald Trump – objektiv – ein unfähiger Narzisst und umgeben von ultrakonservativen bis ansatzweise rechtsradikalen Millionären und Milliardären, die das Land und das Geld, vielleicht die Welt, unter sich aufteilen wollen, koste es was es wolle, ohne Rücksicht auf Verluste. Ja, das ist objektiv. Klar kann man da sagen: Bei Donald Trump ist nicht alles schlecht. Dann ist man aber vermutlich weißer männlicher Investmentbanker oder Konzern-CEO über 60 mit Geschäfts- und Privatkonten auf den Cayman Islands.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

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