Die digitalen Affen tanzen

Coldplay Die erfolgreichste Band der Welt gibt sich die Blöße und uns ein neues Album namens "A Head Full Of Dreams" um uns leider wieder Konfetti und Gejohle zu bieten.

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Spärliche Arrangements, die sparsamste Leadgitarre der Musikgeschichte, eine immer wieder brechende Stimme aus der eine ordentliche Portion Weltschmerz herausklang, mit einer Spur Optimismus - das waren Coldplay um die Jahrtausendwende, sowohl auf ihren beiden EPs „Safety“ und „The Blue Room“ als auch auf ihren ersten beiden Alben, besonders dem Debut „Parachutes“. Mit tausend Synthieflächen und -gezirpe, in tiefsten Hall getränkte multiple Gitarrenoverdubs, Drums die sich mit elektronischen Beats zusammen zu einem Rhythmusbrei zusammenmatschten und dazu eine klare, völlig uninteressante Stimme, die völlig belanglose Texte johlte und jubelte als wäre die ganze Welt ein buntes Konfettigewitter – das waren Coldplay 2011, als sie mit „Mylo Xyloto“ den künstlerischen Tiefpunkt (und – natürlich – kommerziellen Höhepunkt) ihrer Karriere ablieferten. Es war für einen Freund nuancierter, emotionaler Musik ein Graus, das aufgeblasene Kuddelmuddel anzuhören, das klar der sicher extrem anstachelnden Energie der Stadionwelttournee ihres Vorgängeralbums „Viva La Vida or Death And All His Friends“ geschuldet war, auf dem bereits ansatzweise ein paar Stadiongröhlmomente eingestreut waren – dort aber durchaus geschmackvoll und nachvollziehbar.

Nach „Mylo Xyloto“ wollte man Coldplay schon auf den Friedhof oder besser Schrottplatz der leider im Kommerz ersoffenen Bands ohne Ideen versenken, doch die Nachricht von Chris Martins Trennung von Gwyneth Paltrow und die Ankündigung eines „kleinen“ Albums namens „Ghost Stories“ (2014) machte doch leise Hoffnung, dass Coldplay noch etwas zu erzählen hatten. Und das hatten sie. Martins unbeholfen niedergeschlagenen Texte und sehr sparsame, meist sehr elektronische Arrangements machten „Ghost Stories“ zu einer Wohltat im Gehörgang. Kein Meisterwerk, beileibe nicht, aber zumindest wieder hörbare Musik einer eigentlich unfassbar talentierten Band, mit einigen wirklichen Höhepunkten („Midnight“, „Oceans“, „Fly On“).

Es scheint leider, dass das nur ein kleiner Aussetzer war. Ein Album mit dem Hansguckindieluft-Titel „A Head Full Of Dreams“, auf dem Songtitel wie „Hymn For The Weekend“, „Fun“, „Adventure Of A Lifetime“ oder „Amazing Day“ lauerten, stand uns bevor, und das klang schon äußerst verdächtig nach der bunten, belanglosen Konfettiwelt von „Mylo Xyloto“. Man darf nun vermelden: Es ist – auf den ersten Blick – noch schlimmer. Aufgesetzte Yippie-Fröhlichkeit (nicht Hippie!), noch mehr zugematschte Arrangements und – was besonders auffällt – noch weniger Melodien die hängenbleiben. Der Titeltrack und Opener marschiert mit einer zugekleisterten Discowalze durch alle Synthieklebeflächen die man sich vorstellen kann, „Birds“ ist eine leider schlechtere Variation von „Hurts Like Heaven“ auf „Mylo Xyloto“ und „Amazing Day“ könnte auch eine Ballade von den Backstreet Boys sein, auch wenn Chris Martin hier zugegebenermaßen ab und zu mal wieder seine Stimme etwas brechen lässt. Der Closer „Up&Up“ schnappt sich die Harmonien von „Pure Shores“ (All Saints) und „Ordinary World“ (Duran Duran) und Noel Gallagher schaut für ein Solo vorbei, um den Song auf die epischen Dimensionen von „Champagne Supernova“ aufzublasen. Und natürlich darf am Ende die Zeile „Don't ever give up“ nicht fehlen. Message und so.

Dass Coldplay dabei versuchen, amerikanische Plastikpopmusikelemente einzustreuen, ist zwar relativ traurig, führt aber doch zu zwei positiven Überraschungen auf dem Album, das sich etwa zur Hälfte wie eine B-Seiten-Sammlung von „Mylo Xyloto“ anhört. Der vielerseits kritisierte Track „Hymn For The Weekend“ funktioniert erstaunlich gut und das trotz (oder gerade wegen?) der unvermeidlichen Beyoncé, weitaus besser als Rihannas Gastauftritt auf „Princess Of China“ vor vier Jahren. Die Tatsache dass Martin hier textlich mit den „Wir saufen und feiern uns durchs Wochenende“-Tropen der sogenannten Club-Banger spielt, aber die Harmonien des Songs nie ins kitschige Konfetti-Coldplay abrutschen, macht ausgerechnet diesen Song zum Highlight auf „A Head Full Of Dreams“. Martin treibt die Anbiederung an amerikanischen R'n'B-Pop auf die Spitze mit einem Hidden Track namens „'X' Marks The Spot“, einer rein elektronischen Nummer, wie sie auch von Drake oder Rihanna kommen könnte, komplett mit der merkwürdig tonlosen Gesangsmelodie, die bei diesen Hits vorherrscht. Und weil dort kein einziger typischer Coldplaymoment passiert, ist auch dieser Song irgendwie gelungen.

Und ja, gut, okay, die erste Single „Adventure Of A Lifetime“ hat ihren Charme. Und eine sich wahrlich ins Ohr hineinwürmelnde Gitarrenmelodie als Refrain, dass man Chris Martin den fürchterlich banalen „Feel my heart beating, you make me feel alive again“-Text fast vergeben mag. Wenn sie nur nicht dieses dämliche Video dafür gedreht hätten, in dem relativ schlecht gerenderte CGI-Affen herumtanzen und Gitarren zertrümmern und so einen Quatsch.

Ich bin befangen. Ich weiß das. Coldplay war zu einem bestimmten Zeitpunkt meine Lieblingsband. Das war vermutlich ab dem Moment, als ich erstmals den Song „Everything's Not Lost“ auf „Parachutes“ gehört habe. Ich hatte mich verliebt in die unglaubliche Reduzierung der Arrangements. Die vermeintlichen Gitarrensoli waren Melodien aus drei bis fünf Noten, mehr nicht. Der Stimme, dem Song, wurde so viel Platz gemacht wie nur irgendwie möglich. Das war beeindruckend und berührend. Irgendwann begannen Coldplay – besonders auf „X&Y“ und „Mylo Xyloto“, also die Alben mit den Xen und Ypsilonen – alles vollzumatschen und zuzukleistern und den Synthiemantel des Schweigens darüber zu legen, dass ihnen nicht mehr viel einfiel. Sie schafften es dennoch, stets eine Hitsingle mindestens pro Album abzuliefern. Und das werden sie wieder schaffen. Und natürlich kann man es Musikern auch nicht übelnehmen wenn ihnen mal nichts mehr einfällt. So ist das halt dann. Und ich höre schon die Stadien den obligatorischen „Oooohoooohoooohoooo“-Teil bei „Amazing Day“ mit gröhlen. Und viele werden dabei eine Gänsehaut bekommen. Und sich in den Armen liegen. Und wer will denn etwas gegen so etwas sagen?

Ich höre mir dann lieber wieder „Midnight“, „Spies“, „Amsterdam“, „Strawberry Swing“ oder „Chinese Sleep Chant“ an und versuche damit klarzukommen, dass Coldplay eben keine Musik mehr für Musikliebhaber macht.

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Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

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