Die Katze aus dem Sack

Wilco Die US-amerikanische Rockband Wilco hat ein neues Album veröffentlicht. Auf ihrer Website. Kostenlos. Es heißt "Star Wars". Und hat eine Katze auf dem Cover. Im Ernst

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Als Radiohead 2007 ihr Album „In Rainbows“ nach einwöchiger Ankündigung ohne weitere Promotion auf ihrer Website als Download veröffentlichten, mit dem Extra-Gimmick, dass man so viel oder so wenig wie man wollte zahlen konnte, drohte der Gimmick zunächst die Musik zu übertönen. Glücklicherweise war „In Rainbows“ ein derart hervorragendes Album, dass es letztlich über die große Story um den ungewöhnlichen Vertriebsweg siegte. Seitdem haben zahlreiche andere Acts ihre neuen Platten auf diese oder andere Art im Internet veröffentlicht. Beyoncé stellte ihr letztes Album ebenso ohne Vorwarnung auf ihre Website. U2 ließen Apple ihr Album „Songs of Innocence“ direkt in die iTunes-Mediathek aller iTunes-Nutzer aufspielen (und kassierten dafür eine Menge Prügel). Björk veröffentlichte ihr Album „Biophilia“ gar als multimediale interaktive App. Eine der ersten Bands, von denen ein Album seinen ersten Weg zu den Hörern über das Internet fand, war Wilco, die 2001 ihr Album „Yankee Hotel Foxtrot“ auf ihrer Website als Stream anboten, weil ihre Plattenfirma das Album (ihr bisher bestverkauftes) für unvermarktbar hielt und es nicht veröffentlichen wollte. Wilco kaufte damals dem Label die Aufnahmen ab und stieg aus dem Vertrag aus. Nach 10 Jahren beim Jazzlabel Nonesuch veröffentlichten Wilco 2011 ihr achtes Studioalbum auf ihrem nun eigenen Label dBpm. Jetzt können sie also wirklich alles tun worauf sie Lust und Laune haben. Und just dies ist am vergangenen Freitag geschehen.

In einem knappen Facebook-Post verkündete Frontmann Jeff Tweedy dass es ab sofort ein neues Wilco-Album gebe. Auf ihrer Website. Kostenlos. Und es habe den Titel „Star Wars“. Und eine Katze auf dem Cover.

http://cdn4.pitchfork.com/news/60420/a9dc3944.pngDie Kombination eines kostenlos im Netz veröffentlichten Albums, dem Titel und dem Cover ist wahrscheinlich der großartigste Aprilscherz aller Zeiten. Es wirkt zunächst wirklich wie ein Scherz, besonders wenn man das 75-sekündige erste, instrumentale Stück „EKG“ angehört hat. Disharmonisch wird auf diversen Gitarren herumgehackt, zweimal kommt ein Krautrockbeat dazu, als sich die Gitarren himmelwärts sägen und dann ist der Spuk auch schon vorbei. Das kann ja heiter werden. Als großer Fan der merkwürdigeren Songs von Wilco, habe ich mir schon ein bisschen ins Fäustchen gelacht. Die letzten drei Alben („Sky Blue Sky“, „Wilco (The Album)“ und „The Whole Love“) waren im großen und ganzen recht freundliche, poppige Angelegenheiten, nur selten blinkte die Edginess der zwei Großwerke „Yankee Hotel Foxtrot“ und „A Ghost Is Born“ durch. Doch während „The Whole Love“ trügerisch mit einem Sound- und Lärmmonster („Art Of Almost“) begann, nur um dann zu den freundlicheren Klängen der beiden Vorgängeralben weitestgehend zurückzukehren, ist „Star Wars“ ein richtiges Biest geworden.

„More...“ hat zwar einen fast schon unverschämt zum Mitgröhlen animierenden Refrain, die Gitarren sind allerdings im völligen Freiflug, sie lärmen und krachen und jaulen und knattern durch den Song, bis sie den zweiten Refrain fast völlig in Noise ersaufen lassen. Großartig! Spätestens mit Track 3, „Random Name Generator“, ist klar wohin die Reise diesmal geht, und vor allem wohin sie nicht geht: In die melancholische Schönheit vergangener Tage. Die Gitarren laufen allesamt durch fette Fuzz-Effektpedale, die drei Gitarristen Jeff Tweedy, Pat Sansone und Nels Cline sind kaum voneinander zu trennen, so verschwimmt die Gitarrenwucht zu einem Großen Ganzen, John Stirratts Bass und Glenn Kotches Drums rumpeln herrlich, vom Mikael Jorgensens Keyboards ist kaum etwas zu hören. Nicht undenkbar, dass auch er sich für dieses Album eine Gitarre hat umschnallen lassen. „The Joke Explained“ kommt als eine Art verschollener Bob-Dylan-meets-David-Bowie-Song vorbei, Tweedy jault die sensationellen Textzeilen („I cry at the joke explained“, „It's a staring contest in a hall of mirrors / It always ends in a tie“, „If I had known I would have never believed“) wie Dylan zu Zeiten von „Stuck Inside Of Mobile With The Memphis Blues Again“ dass es eine wahre Freude ist.

„You Sattelite“ ist einer dieser Songs, in denen Wilco dem gemeinen Zuhörer erstmal die Zunge rausstrecken. Die Gitarren rollen im 4/4-Takt auf zwei Akkorden vor sich hin und schaukeln sich immer weiter hoch, während Glenn Kotche mit seinem Schlagzeug im Walzertakt einen erstmal völlig desorientiert, bis eben die Gitarren und Tweedys elliptische Vocals dem Song doch eine Art Struktur verleihen, die sich in den letzten zwei Minuten zu einer Gitarrenwand hochschraubt, die zuletzt auf „A Ghost Is Born“ ähnlich zu vernehmen war. Danach passt natürlich bestens, den „normalsten“ Wilco-Song dieser nur 34 Minuten kurzen LP direkt folgen zu lassen: „Taste The Ceiling“, der einzige Dad-Rock- oder Alt-Country-Song auf „Star Wars“ - ich kann den Albumtitel immernoch nicht fassen. Ein trügerischer Einwurf. „Pickled Ginger“, ein formidabel rumpelndes Stück Uptempo-Glamrock voller wirrer Gitarre-meets-Kaoss-Pad-Einwürfe vom Genie/Wahnsinn namens Nels Cline und einer schon kaum mehr als Gitarre erkennbaren Fuzzguitar als Fundament des Songs bis Kotche den Song zu seinem abrupten Ende prügelt. Macht sehr viel Spaß, ist aber … zu kurz! Ähnlich auch „Where Do I Beginn“, ein zunächst einsamer kleiner melancholischer Tweedy-Song, der am Ende in einer Kakophonie aus vorwärts und rückwärts abgespielter Schlagzeugtakes und mehrstimmigen Gitarrenausrufezeichen mündet und dabei auch zu früh ausblendet. Man möchte einfach gern mehr davon hören. Frechheit.

In den letzten drei Songs wird die Angelegenheit etwas entspannter. „Cold Slope“ marschiert wie ein ZZ Top Song, bricht aber zweimal aus in einen wunderbaren, wieder sehr kurzen Refrain. Das folgende „King Of You“ hat das gleiche Tempo und die gleiche Tonart, ist aber weit weniger interessant und blubbert eher so vor sich hin, hinterlässt aber keinen bleibenden Eindruck. Doch dann kommt der Schlusspunkt, „Magnetized“. Keyboards! Sogar Piano am Ende! Die bewusst monotonen Strophen werden durch Pausen von völliger Stille immer wieder unterbrochen, bevor dann ein Finale, das auf „Abby Road“ gepasst hätte, das Album derart rund abschließt, dass man sich zwar ärgert dass es gar so kurz ist, sich das verrückte Zeug aber sofort nochmal anhören will.

Die stärksten Songs ihrer nun 20jährigen Bandgeschichte sind die Songs auf „Star Wars“ nicht geworden, eher ein willkommener Ausbruch aus der hübschen Alt-Country-Popwelt der letzten drei Alben hin zu einem aufmüpfigen, zynisch-zornigen Album voller Krach und Hommagen an Großhelden der 60er- und 70er-Jahren, dargeboten in so einer frischen Energie, dass man nicht umhinkommt zu vermuten dass die sechs Workaholics von Wilco beim Aufnehmen dieser 11 Songs immensen Spaß gehabt haben müssen. „Star Wars“ also. Und Katze. Ich fasse es nicht. Es wird Zeit dass ich wieder ein Konzert dieser Band besuchen gehe.

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Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

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