Hillary, das Schlachtschiff gegen Trump?

US-Wahlen Nach der holprigen Trump-Show der GOP schlittert die demokratische Partei der USA bei ihrem Parteitag ebenso in Richtung Katastrophe. Derweil liegt Donald Trump vorne.

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Nachdem der Parteitag der Republikaner letzte Woche einigermaßen als Desaster bezeichnet werden konnte und die GOP dank Trumps mehr als kontroverser Nominierung eher einem Scherbenhaufen gleicht denn dem gewohnten zusammenstehenden konservativen Block, sollten die Demokraten es eigentlich leicht gehabt haben, diese Woche mit Hillary Clintons Kandidatenkür auf dem eigenen Parteitag als strahlende Sieger des Convention-Marathons hervorzugehen. Doch die Demokraten sind traditionell gespaltener als die GOP und so sind sie das auch im Jahr 2016.

Das Parteiestablishment präsentiert sich auf der Democratic National Convention in Philadelphia (NJ) betriebsblind, nach wie vor ahnungslos warum die Bernie-Sanders-Anhänger sich mit der nominierten Clinton so schwer tun, warum sie lautstark protestieren, warum sie politische Forderungen umgesetzt sehen wollen. Zum ungünstigsten Zeitpunkt für Team Clinton erfuhr die Welt durch Wikileaks, dass das Sanders-Lager recht hatte und die Parteiführung tatsächlich von vorneherein Hillary Clintons Kandidatur begünstigt wurde und teils haarsträubende Taktiken laut überlegt wurden, um Sanders' Kampagne zu schaden.

Doch von Konsequenzen für diese zweite Clinton-Email-Affaire ist weit und breit nichts zu sehen. Zwar wurde die Generalsekretärin Debbie Wasserman Schultz zum Rücktritt gedrängt, der von Sanders-Anhängern lange bereits Befangenheit vorgeworfen wurde, da sie einst 2008 Hillary Clintons Wahlkampfchefin war, doch direkt nachdem sie zurückgetreten war, wurde sie kurzerhand zur Ehrenvorsitzenden der nun startenden Clinton-Kampagne ernannt. Trotz dieser offensichtlichen Herablassung gegenüber dem Sanders-Team blieb dieser loyal, bekräftigte seine Unterstützung Clintons im Falle ihrer Nominierung am Mittwoch, zu der er selbst noch formhalber als Gegenkandidat antrat, und rief unter einem Gewitter von Buhrufen seiner Anhänger dazu auf, Clinton zu wählen um einen potentiellen Präsident Trump zu verhindern.

Während man im Netz überall von wütenden Bernie-Supportern lesen kann, dass Bernie „sich ausverkauft“ und die Bewegung „verraten“ habe und sie niemals Hillary wählen würden, ist die Zahl der Sanders-Fans, die Hillary die Wahl verweigern wollen, zum derzeitigen Zeitpunkt laut Umfragen bereits geringer als die Zahl der Hillary-Fans, die 2008 zum gleichen Zeitpunkt Barack Obama die Wahl verweigern wollten. Von einer massiven Bernie-Or-Bust-Bedrohung kann also nicht die Rede sein. Die offensichtliche Ausweichkandidatin Jill Stein (Grüne) kommt bei nationalen Umfragen gerade einmal auf 4-5 %, was zwar mehr ist als das angebliche Zünglein an der Waage, Ralph Nader, im Jahr 2000 für sich beanspruchen konnte (2,7 %), aber um die Hälfte weniger als der zweite Drittparteienkandidat, der derzeit antritt und von den Medien vollends ignoriert wird: Der Libertäre Gary Johnson kommt derzeit auf etwa 10% in den Umfragen. Zuletzt gab es im Jahr 1992 einen Drittparteienkandidat mit zweistelligem Ergebnis.

Dass die wahlberechtigte Bevölkerung sich im Jahr 2016 schwer tut, sich brav einem der beiden Großparteienkandidaten anzuschließen, liegt nicht an einer angeblich spaltenden Kampagne von Seiten Bernie Sanders' oder am Massenappeal der Libertarians, es liegt daran, dass mit Donald Trump und Hillary Clinton die derzeit unbeliebtesten Politiker der USA, ebenso die unbeliebtesten Präsidentschaftskandidaten der US-Geschichte, auf Seiten der etablierten Großparteien zur Wahl stehen. Und das Team Clinton macht es sich nicht gerade leichter, wenn es eine derart geheuchelte Pseudo-Rücktrittsaktion wie die von Debbie Wasserman Schultz inszeniert und noch dazu keinen Vertreter des progressiven Lagers - wie z.B. Elizabeth Warren - als Vizekandidaten aufstellt, sondern den blassen Standard-Demokraten Tim Kaine. Zu Beginn des demokratischen Parteitags führte Donald Trump im Durchschnitt (!) mit einem Prozentpunkt landesweit, in einigen Umfragen bis zu 8%. Proteste der Sanders-Anhänger gegen den Ausschluss von Sanders-Unterstützerin Nina Turner vom Rednerpult (trotz offiziell geplanten Auftritts) und 800 sogenannten Supervolontären für Bernie Sanders vom Parteitagsgelände, angeführt von diversen Prominenten wie Danny Glover, Susan Sarandon, Shailene Woodley und Rosario Dawson, werden von den klassischen Medien wie gehabt ignoriert, Barack Obamas Umarmung mit Hillary Clinton ziert die Startseiten und Titelblätter.

Zugegeben, Tag 3 des Parteitags machte mit den Redebeiträgen von Präsident Obama und besonders Vizepräsident Biden einiges wett, was in den Friede-Freude-Eierkuchen-Tagen zuvor schmerzlich fehlte: Wenn Hillary Clinton eine unbeliebte Kandidatin ist, kann sie nicht mit sich selbst punkten. Sie muss damit punkten, ihren Gegenkandidaten scharf anzugreifen und somit als das schlimmere Übel darzustellen. Angriffe auf Donald Trump waren an den ersten beiden Tagen der Convention Fehlanzeige. Erst als Tim Kaine, Barack Obama und Joe Biden sich an Donald Trump abarbeiteten, konnte man eine Chance erkennen, dass auch Hillary aus ihrem Parteitag einen Aufwind in den Umfragen (post convention bump) mitnehmen könnte.

Und doch sieht man dieser Veranstaltung an – und dazu muss man in die Tiefen der alternativen Medien einsteigen, die im Gegensatz zu den etablierten Presseinstitutionen ein weit komplizierteres und gespalteneres, weil detaillierteres Bild des Parteitags abgeben – dass Hillary nicht im geringsten auf der Zielgerade ist. Mit ein paar wenigen verbalen Zugeständnissen ans Bernie-Lager (Mindestlohn, Wahlkapffinanzierung, Krankenversicherung), von denen aber niemand sagen kann ob sie sie auch angehen wird, ist es nicht getan. In einem Artikel der ZEIT stand diese Woche „Clinton […] wirkte neben dem jungenhaften Obama stocksteif und eiskalt“. Das klingt oberflächlich, ist es aber nicht. Hillary Clinton wirkt auf die Mehrzahl der US-Bevölkerung wie ein Politroboter, der die Aufgabe „Politik“ regelkonform nach Schema F durchzieht. Ihre Favorability-Werte liegen bei -17,2 Punkten. Nur Trump liegt mit -21,1 noch niedriger. Sie wird derzeit sogar unglaubwürdiger eingeschätzt als der permanent Lügen und schlichten Unsinn verbreitende Trump, der erst zuletzt den demokratischen Vizekandidaten Tim Kaine mit einem republikanischen Politiker namens Tom Cain verwechselte und die russischen Geheimdienste dazu aufrief, Hillary's „verschwundene“ Emails zu hacken.

Die demokratische Partei der USA hat einen massiven Fehler gemacht: Sie hat voller Betriebsblindheit eine Kandidatin zur Wahl gepusht, die zwar name recognition wie kaum ein zweiter, jedoch kaum Rückhalt in der Bevölkerung hat. Sie hat sich politisch für Weiter-wie-bisher entschieden, was eigentlich klar republikanische Strategie war, als die GOP noch keine extremistische Züge angenommen hatte, anstatt den Wandel in der Bevölkerung wahrzunehmen: Besonders die jungen Generationen, aber nicht nur die, haben das Establishment satt, egal ob auf der republikanischen oder demokratischen Seite, egal ob im Fernsehen oder am Zeitungsstand. Hillary Clinton, Debbie Wasserman Schultz, CNN und MSNBC sind gestrig. Ein 74jähriger Atheist mit jüdischen Wurzeln wäre das Morgen gewesen, Bernie Sanders hat alles was er je in seinem politischen Leben getan hat, für das Wohl des Volkes getan oder zumindest aus dieser Überzeugung heraus. Ein zwingender Schluss, wenn man seine Karriere analysiert. Sollten die Demokraten tatsächlich verlieren und Donald Trump Präsident werden, wird in beiden großen Parteien ein Erosionsprozess beginnen, der unschön für alle Beteiligten werden wird. Die US-Bevölkerung ist schon einen Schritt weiter: Sie ist im Mehrparteiensystem längst angekommen, und sie will im Großen und Ganzen europäische Politik: Sie will gestärkte Sozialsysteme, Krankenversicherung für alle, kostenlosen Hochschulzugang, stärkeren Umweltschultz, weniger militärische Interventionen, staatlich finanzierten Wahlkampf und das Ende des Einflusses des Großgeldes auf die Politik. Durchschnittlich um die 70-80% der US-Bevölkerung befürwortet diese politischen Eckpunkte. Sie stehen alle in Bernie Sanders' Wahlprogramm.

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Geschrieben von

Ernstchen

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