Ein Meer aus "Yeah!!!"

Massenverhalten Die Zuhörer von Joseph Goebbels und George Carlin könnten nicht verschiedener gewesen sein. Und doch verbindet beide etwas: Die Gewalt der Masse.

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Im Jahr 2008 starb der vermutlich beste US-amerikanische Stand-Up-Comedian unserer Zeit: George Carlin. Nachdem er in den 70er Jahren noch mit relativ harmloser Comedy die Bühnen Amerikas eroberte, wurde er in den letzten Jahren seines Wirkens zunehmend politischer, böser und kontroverser. Seine Anmerkungen zur Machtstruktur der USA – er benannte die großen Konzerne als Eigentümer des Landes, die Politik als reine Marionettengalerie und die Demokratie als bloßes Trugbild einer entrechteten, entmündigten Gesellschaft – waren ein Wendepunkt in der Geschichte politischer Comedy, hierzulande als politisches Kabarett klarer abgegrenzt (in den USA war alles stets Comedy, dort gab und gibt es keine Zwei-Klassen-Gesellschaft der Comedy).

Derzeit sorgen die Absurditäten der republikanischen Vorwahlen in den USA bei uns für Amüsement, Verachtung und Kopfschütteln. Sowohl der bizarre Unternehmer Donald Trump als auch der erzkonservative Fundamentalchrist Mike Huckabee sorgen mit – gelinde gesagt – menschenverachtenden Tiraden für aufbrausende Applausstürme, ob mit generalisierenden rassistischen Äußerungen zu mexikanischen Einwanderern oder antihomosexuellen Jubelveranstaltungen, die Ovationen des Publikums können einem einen kalten Schauder der Angst über den Rücken jagen.

Als Joseph Goebbels „Wollt ihr den totalen Krieg“ brüllte und das Publikum ihm in einer Kakophonie der Massenhysterie zustimmte, war das ein Mahnmal für die gesamte Menschheit. Soetwas dürfe nie wieder passieren, so war man sich nach dem zweiten Weltkrieg einig in der sogenannten zivilisierten Welt. Doch es geschieht immer wieder. Ob bei den republikanischen Vorwahlen 2012, als die Frage eines Moderators an einen republikanischen Kandidaten bei einer TV-Debatte ob er jemanden einfach verhungern lassen würde wenn er sich kein essen leisten könnte mit gröhlender Zustimmung des Saalpublikums quittiert wurde („Let them die!!“), ob bei dem wahrhaft grotesken Menschenauflauf bei der Freilassung einer Standesbeamtin namens Kim Davis, die keine gleichgeschlechtlichen Partnerschaften schließen wollte weil es ihren religiösen Überzeugungen widerspräche, ob bei Pegida oder den konkreten Protesten gegen Flüchtlingsheime hier in Deutschland.

Was hat das nun alles mit George Carlin zu tun? Carlin hatte vor fast 20 Jahren in seinem Bühnenprogramm "Back in Town" einen Teil eingebaut, indem er sich die Todesstrafe vorknöpfte. Er plädierte dafür, sie denen anheim kommen zu lassen, die es wirklich verdient hätten: Investmentbankern und dergleichen. Er steigerte sich in eine Tirade hinein, in der er verschiedenste Formen der Todesstrafe ausformulierte und vorschlug: Erhängen, Verbrennen, mit dem Katapult in eine Mauer schleudern, denjenigen eine kleine Atombombe in den Allerwertesten stecken … es war Satire. Harte, schwarze Satire, vorgetragen wie ein Agitator, brillant und doppel- und dreifachbödig. Unter anderem schlug er verschiedene Vermarktungsstrategien vor, wie diese Hinrichtungen live gesendet werden sollten und damit soviel Geld eingenommen würde to balance the fucking budget!

Was nun daran bemerkenswert war und immernoch ist: Das Puiblikum ließ sich aufschaukeln und jedem noch so absurd brutalen Hinrichtungsszenario frenetisch zustimmen. Die Leute im Publikum, vermutlich zu überwiegender Zahl „links“, gebildet und gegen Todesstrafe – man muss sich etwa das US-Pendant des Livepublikums von Volker Pispers vorstellen – johlten und brüllten bei jeder neuen Variante mehr und lauter. Es wurde kaum mehr gelacht, es war ein Meer aus Yeah!!! das Carlin entgegenschlug. Klar muss man berücksichtigen dass die Amerikaner als Livepublikum ein bisschen anders drauf sind als insbesondere die Deutschen bei einer Satireshow, aber Angst kann man da dennoch bekommen: Der Mensch als Individuum ist womöglich zu größeren Teilen „gut“ als dass er „schlecht/böse“ ist. Doch in der Masse ist der Mensch ein brandgefährlicher Schwarm, der zu allem fähig ist. Zumindest dazu fähig sich alles vorstellen zu können, oder allem zustimmen zu können. Alles auch zu tun? Das steht auf einem anderen Blatt, aber wenn selbst auf einer intelligenten Satireveranstaltung hunderte Menschen johlend verschiedensten Hinrichtungsmethoden applaudieren, solange es nur die „richtigen“ Leute träfe, dann muss uns das ein Warnsignal sein. Ein Warnsignal dass die Masse, dass Massenveranstaltungen, dass Massenbewegungen unheimlich gefährlich sind und ein geradezu menschenverachtendes Potential in sich tragen, dessen jeder einzelne sich stets bewusst sein sollte.

Das ist bereits in sich selbst eine wohl kaum zulässige Verallgemeinerung. Und schon deswegen trifft sie ins Schwarze.

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Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

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