Elitenpranger und der kleine Mann

Steuern und Empörung Der kleine Mann soll mal sein scheinheiliges Maul halten, sagt sinngemäß Ludwig Greven in der ZEIT. Ich finde, er soll das Maul halten. Jawoll.

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Ludwig Greven (ZEIT) hat sich den "kleinen Mann" vorgeknöpft, der sich maßlos empört über Steuerhinterzieher/-innen wie Uli Hoeneß oder Alice Schwarzer, aber nach der Bundesgartenschau massenweise Blumen für seinen eigenen Garten einfach aus der Erde rupft. Der scheinheilige, opportunistische, heuchlerische "kleine Mann", der jede Gelegenheit selbst am Schopf packen würde wenn er durch kleine Illegalitäten sich selbst einen Vorteil verschaffen kann.

Oh, natürlich hat Greven recht: Wer von uns kann denn behaupten noch nie nie nie nie nie jemals eine Ordungswidrigkeit begangen oder eine gesetzliche Regelung nicht korrekt beachtet zu haben. Es beginnt im Prinzip beim ersten km/h über der zulässigen Geschwindigkeit mit dem Auto.

Und er hat natürlich auch recht: Prominente müssen keine besseren Menschen sein. Er sagt aber auch dass der "kleine Mann" die "Elite" auf moralinsaure Art und Weise verachte. Und hier wird es interessant.

Der gesellschaftliche Grundkonflikt seit mindestens der Erbauung der ersten Städte in den ersten frühen Hochkulturen ist der zwischen den haves und den have-nots. Also zwischen Reich und Arm, zwischen mächtig und ohnmächtig. Und stets war die reiche Seite zahlenmäßig weit geringer als die arme Seite. Und die sogenannte Mittelschicht eiert irgendwie zwischen beiden Welten umher. Sie leistet sich per Leasing einen Sportwagen, kann aber keine Millionen auf ein Schweizer Konto schieben. Die Mittelschicht spielt Elite und ist es doch nicht. Sie ist eine durch Kredite und Ratenzahlungen verblendete Masse, die glaubt die süßen Früchte der Elite schmecken zu können und dabei weitgehend übersieht, dass sie doch völlig machtlos ist. Und dass sie eigentlich in dauernder Angst vor den Statusverlust lebt (dafür gibt es ja die Unterschicht, als Vogelscheuche). Es gibt aber diese wachen Momente. An denen die Mittelschicht wieder merkt dass es gar keine Mitte gibt.

Die Occupy-Aktivisten in den USA haben die Welt in die 1% der Reichen und Mächtigen und die 99% des kompletten Restes aufgeteilt. Bei uns früher gab es den Begriff "die oberen Zehntausend". Ich glaube die Occupy-Aktivisten haben ein paar Kommastellen vergessen. 0,01 % zu 99,99 % wäre wohl zutreffender. Uli Hoeneß ist einer der mächtigen Reichen. Wir können an sich nichts gegen ihn tun. Wir sind komplett machtlos. Wir können nicht einmal eine Partei wählen die rigoros Millionen-Steuerhinterzieher hinter Gitter bringt, wir sind nämlich auch noch zu blöd dazu! Ja, wir sind machtlos und blöd, wir reiben uns auf in unseren eigenen Konflikten.

Und wir verehren die Elite außerdem! Sie wird uns von den Medien als Glamourwelt präsentiert, hunderttausende Fußballfans liegen Hoeneß zu Füßen, hunderttausende Feministinnen liegen Alice Schwarzer zu Füßen. Dabei haben beide etwas getan, das wir nur als schamlose Raffgier bezeichnen können, begünstigt durch das Gefühl dass man sich als Millionär/-in alles erlauben kann, dass man über dem Gesetz steht. Denn Geld ist mächtiger als das Gesetz. Wir sind empört weil die die sowieso von allem genug bzw. zuviel haben, sich nicht einmal an die solidarischen Grundregeln der Gesellschaft halten wollen.

Wer polterte über die "spätrömische Dekadenz" der HartzIV-Empfänger und fordert dauernd Verschärfungen der Sanktionen für eben diese? FDP. Die Besserverdienenden. Wer sagte vor laufender Kamera "Es ist wirklich blöd, aber ich zahle volle Steuern"? Uli Hoeneß.

Ich habe kein Mitleid mit am Pranger stehenden Elitemenschen. Denn sie haben auch keines mit uns. Das ist fürchterlich polemisch und undifferenziert von mir. Aber ich lasse das jetzt so stehen.

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Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

Ernstchen

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