Es lebe der Spott

Satire Erdogan fordert die Einschränkung der Meinungsfreiheit und das ZDF zensiert Jan Böhmermann. Einen Zusammenhang zu vermuten wäre ja absurd. Aber ist Satire denn wichtig?

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Je suis Charlie. Waren wir das wirklich? Charlie? Während sich so ziemlich alle sehr einig waren, dass Mord und Totschlag keine angemessene Reaktion auf Mohammed-Karikaturen sind, spukte doch in einigen Köpfen der Gedanke „naja, sie haben es ja schon provoziert, sie wussten ja wie die radikalen Islamisten auf soetwas reagieren“. Von Salman Rushdies Satanischen Versen über die Mordanschläge auf Kurt Westergaard und Theo van Gogh bis zu Benghazi und Charlie Hebdo wurde uns das Bild vermittelt, dass der islamistische Fundamentalismus ausgesprochen empfindlich gegenüber Spott ist, um es mal sehr freundlich auszudrücken. Doch die Presse- und Meinungsfreiheit, hochgehaltene „westliche“ Werte, dürften niemals durch soetwas eingeschränkt oder infrage gestellt werden. Im Gegenteil! Und doch wurde den Menschen etwas mulmig zumute. Manche posteten die Titelseiten von Charlie Hebdo trotzig auf Facebook, andere trauten sich nicht einmal ein Like. Und wieder andere empfanden die französischen Karikaturen als recht billige Provokationen, denen sie kaum künstlerischen Wert beimaßen. Sie hätten es einfach bleiben lassen sollen, so konnte man es hier und da hören und lesen. Und ein paar Wochen später ließen sie es auch bleiben. Charlie Hebdo verkündete, den Islam nicht mehr verspotten zu wollen.

Nun hat Christian Ehrings Satireshow extra3 den türkischen Präsidenten verspottet und erstaunlicherweise dessen ganzen Ärger auf sich gezogen inklusive Forderung nach Beschränkung der Meinungsfreiheit in Deutschland, was völlig folgerichtig sofort noch viel mehr Spott verursachte. Memes wurden auf Facebook und sonstwo geteilt mit Bildern von Erdogan mit diversen Gegenständen und ähnlichem („Gewehrdogan“, „Hairdogan“, „The Fresh Prince of Bel-Airdogan“) und Deutschlands – zu Recht – unvermeidlicher „Chefsatiriker“ (Spiegel Online) Jan Böhmermann ließ sich zu einer kompletten Überspitzung hinreißen in seinem Neo Magazin Royale, als er dichtete „Pervers, verlaust und zoophil / Recep Fritzl Priklopil“. Da wurde es dem ZDF doch zu heiß und es löschte, angeblich in Einvernehmen mit Böhmermann, die entsprechende Sendung und Ausschnitte daraus sowohl in der eigenen Mediathek als auch überall auf YouTube wo der Ausschnitt auftauchte. Das ZDF lege äußersten Wert auf Qualität, hieß es.

Nun lässt sich sicherlich juristisch darüber streiten ob Böhmermanns Extremschmäh in diesem Fall die Grenzen der Satire hin zur Verleumdung überschritten hat und rechtlich nicht mehr einwandfrei abgesichert ist. Die Anstalt mit Max Uthoff und Claus von Wagner musste ja auch bereits einmal vorübergehend offline gehen nachdem Journalisten der Zeit die Sendung verklagt hatten. Doch die Frage ist nicht, ob hier eine rechtliche Grauzone betreten wurde. Die Frage, die in den sozialen Netzwerken gestellt wird, ist ob das ZDF den Schwanz eingezogen hat – möglicherweise staatlich verordnet – aus Angst vor diplomatischen Spannungen mit der Türkei. Und ob Böhmermann übers Ziel hinausgeschossen ist. Meine Antworten sind: Ja. Und ja. Letzteres ist aber irrelevant.

Darf Satire alles? Sie darf nicht nur, sie muss. Wenn uns an den sogenannten westlichen Werten wie Meinungsfreiheit wirklich etwas liegt, dann müssen wir Satire stets verteidigen, selbst wenn sie schlecht ist oder zu hart oder uns nicht in den ideologischen Kram passt. Doch wir müssen uns auch die Frage stellen, was manche Satire bewirkt. Dass in den USA sich momentan alle Comedians auf Donald Trump und dessen Fans stürzen ist logisch und unvermeidlich – und in vielen Fällen sehr sehr witzig. Wird es Trump Unterstützer kosten? Wohl kaum. Eher wird sich seine Gefolgschaft noch mehr radikalisieren und gegen den Rest des Landes aufstacheln lassen. Wird Erdogan aufgrund des Spottes aus Deutschland seine harte Linie etwas aufweichen? Erst recht wohl kaum!

Als Jon Stewart seine Daily Show letztes Jahr nach 16 Jahren beendete, sprach er in seiner letzten Show einigermaßen frustriert davon, wie sich in all dieser Zeit kaum etwas bis gar nichts zum Guten hin verändert habe. Volker Pispers, der uns nun auch mit seiner Rente gedroht hat, erzählt seit Jahren in seinem Programm, dass er seit Jahrzehnten über die gleichen Missstände in Gesellschaft und Politik spricht und sich seitdem nichts verändert habe. Die wohl optimistischste Lesart aus dieser Erkenntnis wäre wohl: Man stelle sich vor wie viel schlimmer alles geworden wäre, wenn die Satire nicht gewesen wäre! Die realistischere ist: Satire erreicht meist ohnehin nur diejenigen, die bereits ein offenes Ohr haben und aktiv Denkprozesse bei sich selbst einleiten. In den Fällen wo die Satire die wirkliche Masse erreicht, ist es meist nur die Reaktion auf die Satire, die zum Thema wird. Erdogans Reaktion, die Videolöschung des ZDFs und der Anschlag auf Charlie Hebdo sind weit mehr Menschen bekannt als die extra3-Sendung, Böhmermanns Gedicht oder die Titelbilder einer kleinen französischen Satirezeitschrift. Das ist schade, ja ärgerlich. Heißt das, die Satire hat versagt? Die Satire hat keine Chance? Die Satire ist nur, wie Pispers es in seinem Anfangsmonolog bei „Bis neulich...“ stets suggeriert, ein Streicheln über das Gewissen der Menschen, die sich zwar über Missstände im Klaren sind, aber nichts dagegen tun würden?

Nein. Die Satire ist in den letzten Jahren, sowohl hier als auch am anderen Ufer des großen Teichs, zum Journalismusersatz geworden. Bill Maher, Stephen Colbert, Jon Stewart, Trevor Noah, Georg Schramm, Volker Pispers, Max Uthoff, das sind Namen, denen große Glaubwürdigkeit beim Vermitteln von Fakten beigemessen wird, während die Skepsis gegenüber den herkömmlichen Nachrichtenvermittlern in Print und TV immer mehr steigt. Was in den USA „corporate media“, „establishment media“ oder „mainstream media“ genannt wird, heißt bei uns mittlerweile in bestimmten unangenehmen Kreisen „Lügenpresse“ - eine etwas unglückliche „Unwort des Jahres“-Wahl, die leider den Eindruck machte dass nur rechte Nationalisten Probleme mit der Presse haben.

Dass die Satiriker/Comedians/Kabarettisten zu reluctant heroes der Berichterstattung geworden sind, hat ihre Rolle in der Gesellschaft verändert und das Internet und die sozialen Netzwerke können ihre Reichweiten immens verstärken. Wie groß die Auswirkung dessen auf gesellschaftliche Entwicklungen ist oder sein kann, wird man wohl erst in einigen Jahren oder Jahrzehnten nachvollziehen können. Vielleicht wird man es auch nie nachvollziehen können. Genauso wie wir jetzt nicht wissen ob Pispers' oder Stewarts satirisches Engagement vollends im Rad der Zeit verpufft ist oder wir einfach noch ein Stück miserabler dran wären ohne sie. Sicher ist nur: Satire darf nicht nur, sie muss. Damit werden auch Trump, das ZDF, Erdogan und der IS leben müssen. Und weil ich natürlich ungern so zugespitzte Aufzählungen mache wie Jan Böhmermann, entschuldige ich mich gleich hier und jetzt beim ZDF. Nichts für ungut.

PS: Ich verzichte hier bewusst auf die korrekte Schreibweise des Namens Erdogan mit Sonderzeichen. Ich spreche das "g" auch als "g" aus. Das ist mein Protest. Ich bin sicher, Erdogan zittert bereits.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

Ernstchen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden