Hillary Clinton und die unentbehrliche Nation

American Exceptionalism Die leuchtende Stadt auf dem Hügel, die letzte und beste Hoffnung für die Erde, ein großartiges, selbstloses, mitfühlendes Land ... So sieht Hillary Clinton die USA.

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„American Exceptionalism“ ist ein nicht übersetzbarer Begriff. Einzigartigkeit trifft es nicht allein, das Adjektiv „exceptional“ wird beispielsweise für die Auszeichnung herausragender Leistungen bei Schülern verwendet, gängige Übersetzungen lauten „außergewöhnlich“, „besonders“, „begnadet“. Kein einzelner dieser Übersetzungsversuche trifft das Phänomen „American Exceptionalism“ genau, vielmehr eine Mischung aus all diesen Wörtern. Es steht für die Selbstwahrnehmung der USA als Sondernation, als besonders wichtige, besonders starke Nation, die Vereinigten Staaten als die Nummer Eins der Welt, früher einmal „God's own country“ genannt. Außerhalb der USA war dieser Begriff stets ein Synonym für die Arroganz der gefühlt einzigen Imperialmacht der zweiten Hälfte des 20. und des Beginns des 21. Jahrhunderts.

Ist es eine unzulässige Selbstwahrnehmung? Ist es nicht tatsächlich so, dass die USA wie kein zweites Land mit Kulturimperialismus und weltweitem militärischen sowie industriellen Interventionalismus den Planeten geprägt und verändert haben? Haben sich die USA ihren selbst verliehenen Sonderstatus nicht tatsächlich verdient, ob man das nun gutheißt oder nicht? In gewisser Weise ja. Würde dem militärisch wie wirtschaftlich aggressivsten und expansivsten Land der Welt etwas Demut und Zurückhaltung gut tun? Eine rhetorische Frage, über die der moderne Zyniker natürlich nur lachen kann. Denn was man kann, das tut man. Und absolute Macht korrumpiert absolut.

In diesem wunderbaren, besonderen, auserwählten Land schicken sich derzeit die zwei unbeliebtesten Gesichter amerikanischer Politik an, 2017 das Steuerrad von Barack Obama zu übernehmen. Commander In Chief, Herr/Herrin über die nuklearen Codes, das Zünglein an der Waage, das über Weltkrieg oder Weltfrieden entscheidet. Auf der einen Seite, der faschistoid anmutende selbstverliebte Drauflosquatscher Donald Trump, ohne Sinn und Verstand, ohne Plan und Ordnung stolpert er durch eine Kampagne, die er vermutlich gar nicht so geplant hatte. Seine Kandidatur war vermutlich lediglich ein Publicity Stunt und der überwältigende Zulauf, den er während der Vorwahlen erhielt, hat ihn dann quasi dazu gezwungen, das durchzuziehen. Es erwarten die Welt … irgendwelche neuen Gesetze bezüglich Einwanderung. Sehr viel mehr kann man nicht sagen über das Wahlprogramm eines Mannes, von dem man in jedem seiner improvisierten Redebeiträge und Interviews sofort heraushören kann: Dieser Mann hat nicht die geringste Ahnung wovon er spricht, geschweige denn von den Aufgaben des Präsidenten der USA.

Auf der anderen Seite: Der Darling von … niemandem. Bestenfalls des demokratischen Establishments. In einer aktuellen Umfrage unter registrierten Wählern in den USA liegen die Ablehnungswerte für Hillary Clinton derzeit bei 59% (Trump liegt quasi gleichauf mit 60%). Das ist ein Desaster für die ohnehin mehr als zweifelhafte amerikanische Demokratie.

Beide Kandidaten sind Garanten für Übelkeit wenn man sich ihre Reden anhört. Trump stammelt dummes Zeug vor sich hin und wiederholt permanent die gleichen paar Worte: „tremendous“ und „believe me“ und „nobody is better at [ … ] than Donald Trump“ (ja, er spricht von sich in der dritten Person). Hillary Clinton hingegen spricht in etwa so wie man sich derzeit einen Androiden vorstellt. Mit allen Menschen imitierenden Sprachmöglichkeiten programmiert, aber so überzeugend und gefühlsecht wie das Navigationssystem im Auto. Selbst wenn sie sich in ein Argument hineinsteigert und etwas lauter wird, wirkt es so als stünde im Teleprompter eine Variation der klassischen George-Lucas-Regieanweisung ("faster and more intense"): „Lauter und intensiver“. Wahrscheinlich steht das da tatsächlich.

Während nun die ganze Welt die Hände über dem Kopf zusammenschlägt und Panik macht wegen eines potentiellen Präsidenten Trump (dem vermutlich weit mehr Wert daran läge, einen riesigen TRUMP-Schriftzug über das Weiße Haus zu montieren als einen neuen Krieg mit irgendjemandem anzufangen), wird Frau Clinton medial meist als die vernünftige, naheliegende Kandidatin vorgestellt. Diejenige die Obamas Erbe verwalten und dem wenig hinzufügen würde. Rund um ihre Nominierung am Parteitag adoptierte sie noch regelmäßig diverse Punkte aus Bernie Sanders' progressivem Wahlprogramm, davon ist derzeit nichts mehr zu hören. Interviews hat sie seit Monaten nicht mehr gegeben, vermutlich weil jedes sofort auf ihre diversen Email-Skandälchen zu sprechen käme. Sie hält sich zurück aus den Schlagzeilen, denn sie weiß: Donald Trump wird schon selbst dafür sorgen dass er verliert und sie gewählt wird. Sicher nicht mit mehr als 50% der Stimmen, denn die zwei erfolgreicheren Drittparteienkandidaten Stein und Johnson kommen regelmäßig auf zusammen ca. 15%, aber eben doch vor Trump, der sich permanent selbst Fettnäpfchen aufstellt und mit geschwollener Brust und voller Inbrunst hineintritt, als hätte er die Regeln des Fettnapf-Spiels nicht verstanden. Die meiste Zeit kommt er sogar damit durch, weil seine „unübliche, unpolitikermäßige“ Sprache auf viele Menschen in den USA erfrischend wirkt, insbesondere wenn man sie mit Clintons Robotersprech vergleicht.

Nach einem momentanen Dämpfer für Trumps Kampagne, hat er sich derzeit wieder halbwegs gefangen und die Werte für Clinton purzeln langsam wieder in den Keller. Da hilft es auch nicht dass sie sich diese Woche zu dem zuvor beschriebenen Phänomen „American Exceptionalism“ aussprach, und das ausgerechnet vor dem erzkonservativen Veteranenverband „The American Legion“ (unter anderem berüchtigt dafür, zu fordern, Homosexuellen die Teilnahme an Pfadfindergruppen zu verwehren oder das Verbrennen der amerikanischen Flagge unter Strafe zu stellen). Wenn man sich anhört, oder liest, was Hillary Clinton zu diesem Thema sagt, wird einem klar, dass Hillary keine moderate Demokratin ist. Sie ist bestenfalls eine moderate Republikanerin im Schafspelz. Hier ist der Ausschnitt aus ihrer Rede, auf deutsch übersetzt:

Die Vereinigten Staaten sind eine einzigartige* Nation. Ich glaube daran, dass wir immernoch Lincolns letzte und beste Hoffnung für die Erde sind. Wir sind immernoch Reagans leuchtende Stadt auf dem Hügel. Wir sind immernoch Robert Kennedys großartiges, selbstloses, mitfühlendes Land. Nicht nur haben wir das größte und beste Militär, nicht nur ist unsere Wirtschaft größer als jede andere auf der Welt; es ist die Stärke unserer Werte und des amerikanischen Volkes, eines jeden der härter arbeitet und größer träumt und niemals aufhört zu versuchen, dieses Land und die ganze Welt zu einem besseren Ort zu machen. Und ein Teil dessen warum wir eine einzigartige* Nation sind, ist dass wir auch eine unentbehrliche Nation sind. Tatsächlich sind wir die unentbehrliche Nation. Überall auf der Welt schaut man auf uns und folgt unserer Führung. Meine Freunde, wir können uns so glücklich schätzen, Amerikaner zu sein. Es ist ein außergewöhnlicher Segen. Es ist der Grund warum so viele Menschen an so vielen Orten auch Amerikaner werden wollen. Aber es bedarf auch eines ernsthaften Verantwortungsbewusstseins. Die Entscheidungen die wir fällen und die Handlungen die wir vornehmen, ja auch die Handlungen die wir nicht vornehmen, beeinflussen Millionen, ja Milliarden von Menschenleben. Sie wissen das, Sie haben es gesehen. Nun, das wird besonders den Männern und Frauen offensichtlich sein, die die Uniform getragen haben. Sie werden sich wundern wie auch nur irgendjemand dem widersprechen könnte. Und doch hat mein Gegner in diesem Wahlkampf tatsächlich ganz klar gesagt, dass er findet, „American Exceptionalism“ wäre eine Beleidigung für den Rest der Welt. Als ausgerechnet Wladimir Putin unseren Exzeptionalismus kritisierte, stimmte mein Gegner ihm zu und sagte, ich zitiere: „Wenn man in Russland lebst, will man nicht hören dass Amerika einzigartig* ist.“ Nun, vielleicht will man das nicht hören. Das bedeutet aber nicht dass es nicht stimmt. (Hillary Clinton, Ohio, 31. August 2016)

Solange Menschen wie Hillary Clinton die zwangsläufigen Endprodukte angeblich demokratischer Systeme sind, wird die Welt nicht im Guten vorankommen. Solange Selbstüberhöhung, sei es bei Putin, Erdogan, Kim-Jong Un oder auch Clinton, Seehofer und Kaczynski, Grundvoraussetzung für hohe politische Ämter ist, wird Politik die Probleme der Welt nicht lösen können. Allein schon nicht, weil sie es gar nicht will. Bernie Sanders, Jill Stein, Ron Paul, Elizabeth Warren, auch Gary Johnson sind Politiker, die etwas erreichen woll(t)en. Nicht einen Posten, sondern eine bestimmte politische Philosophie, eine Richtung für die Zukunft. Außer Sanders, die durch den ganzen Clinton/Trump-Zirkus nunmehr verblassende Politsensation des jungen Jahrhunderts, hatte keiner je den Hauch einer Chance. So wird das nichts. Aber es gab Luftballons und Konfetti an den Parteitagen. Immerhin.

*exceptional

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Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

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