Im Fettnapf des Spottes

Übergewicht Sich über Dicke lustig zu machen, ist weiterhin en vogue. Das sollte es nicht. Auch nicht wenn es um Sigmar Gabriel oder Chris Christie geht.

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Auf mein Thai Curry wartend in einem Imbiss fiel mein Blick auf eine herumliegende BILD, und wie das so ist mit Scheußlichkeiten: Man kann nicht wegsehen. Dort, unter einem riesigen Bild über „die Opfer des DSDS-Gewinners“, stand ein winziger Text über eine Umfrage was den Menschen beim Umgang mit ihren Mitmenschen am meisten störe. Auf Platz eins lagen Körperausdünstungen, auf Platz zwei fettige Haare und als zusätzliche „Information“ noch, dass über 50% der Befragten sich daran störten wenn Mitmenschen übergewichtig sind. Da das eine BILD-Umfrage ohne Quellenangabe und weitere statistische Zahlen war, kann man das natürlich nicht ernstnehmen.

Und doch blitzt aus dem etwa sechszeiligen pseudojournalistischen Fragment etwas heraus, das mir immer häufiger auffällt: Der/die Übergewichtige ist vogelfrei für den Spott aller. Jeder noch so angesehene deutsche Kabarettist macht aus Sigmar Gabriel bei gefühlt jeder zweiten Erwähnung den „dicken Siggi“, jeder Witz über New Jerseys Gouverneur Chris Christie in den USA, auch von Leuten wie Jon Stewart oder John Oliver, baut einen Seitenhieb auf dessen Leibesfülle ein. Der Dicke ist der Faule, der Maßlose, der Peinliche, der Sich-Gehen-Lassende. In einem Kneipengespräch fiel neulich der Satz über Sigmar Gabriel: „Entschuldigung, aber wer sich so gehen lässt, der hat in einer verantwortungsvollen Position wie in der Politik nichts, aber auch gar nichts verloren.“ Klar, es ist kein zulässiges Zitat, es ist nun einmal aus einem Kneipengespräch.

Und doch blieb es hängen. Mein sofortiger Protest mag sicher auch damit zu tun haben dass sowohl ich selbst leicht übergewichtig (ein schönes semantisches Paradox) bin als auch einige meiner Freunde und Familienmitglieder nicht dem schlanken Schönheits- bzw. Fitnessideal entsprechen. Um Schönheit geht es hier dennoch wohl am wenigsten, auch nicht so sehr um Gesundheit. Es geht um Wohlstand und Überfluss. Der Dicke ist der Botschafter der Verschwendung, der nicht nachhaltigen Ernährung, ja der westlichen Ausbeutung der Ressourcen im Angesicht weltweiten Hungerleidens. Dazu kommen natürlich noch die banalen BILD-Aspekte: Dicke schwitzen mehr, nehmen mehr Platz weg, etc. Dass das Übergewicht ganz unterschiedliche Gründe haben kann, bleibt außen vor. Es gilt: Wer übergewichtig ist, ist legitime Zielscheibe von Spott bis Anfeindung.

Nun ist es durchaus begrüßenswert, dass sich die Ernährungstrends hin zu mehr regionalen Produkten, ökologischem Anbau, nachhaltiger Landwirtschaft und fleischarmerer Ernährung entwickeln, dass Themen wie das massenhafte Wegwerfen von Lebensmitteln in den westlichen Industrienationen in den Medien und sogar in der Politik aufgegriffen werden, dass gesunde Ernährung und Lebensweise in ist. Es hat aber eben auch Konsequenzen für Menschen die so aussehen als würden sie diese Entwicklungen nicht mitmachen wollen. Die Öko-/Vegan-/Regionalprodukte-Liga inszeniert sich – im Grunde natürlich zurecht – als diejenigen die es besser machen als die Burger- und Pizzafresser dieser Welt. Und oft sind es die Menschen in prekären Lebenssituationen, die sich größtenteils von Dreck ernähren und daher eine hohe Rate schon fettleibiger Kinder zu verbuchen hat. Dennoch wird diesen Familien oft vorgeworfen, sich einfach nur keine Mühe zu geben, und dass das Argument, faire, gesunde, ökologisch angebaute Lebensmittel seien für solche Lebensverhältnisse schlicht zu teuer, nicht gelte.

Dass die allermeisten übergewichtigen Menschen nicht glücklich mit ihren Körpern bzw. ihrer Lebensweise (muss kein direkter Zusammenhang bestehen) sind, dürfte klar sein. Dass das in manchen Fällen hauptsächlich daran liegt dass sie vom Rest der Gesellschaft eher abfällig beäugt werden, da das Schönheitsideal der Moderne und Postmoderne den schlanken Körper vergöttert im Gegensatz zu anderen Epochen der Weltgeschichte, auch das trifft sicher zu. Warum also gilt es als legitim, Übergewichtige zu verspotten, ja zu verachten? Solange jeder von uns seinen Teil dazu beiträgt, aktiv oder passiv, dass die Ressourcen dieser Welt immer knapper werden, dass der Klimawandel immer weiter voranschreitet, dass tausende Spezies jedes Jahr ausgerottet werden, dass in anderen Teilen der Welt Hunger und Elend herrscht, solange jeder von uns mit sich selbst Kämpfe auszutragen hat, solange sind die Übergewichtigen keinen Deut besser oder schlechter als die anderen und sollten auch so behandelt werden. Das soll nicht heißen, dass man ungesunde Ernährung, zu wenig Bewegung und Völlerei gut finden soll. Es soll nur heißen, so ungern ich die Bibel zitiere: Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

Ernstchen

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