Informationen am Ende

Fake News Ein Redakteur der Titanic sorgt durch Satire für Chaos. Donald Trump lügt aus anderen Gründen und kommt damit davon. Das Zeitalter der Information geht zu Ende

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"Ein Scott Pruitt (US-Umweltminister, hier rechts im Bild) weiß sehr wohl, dass es einen menschengemachten Klimawandel gibt"
"Ein Scott Pruitt (US-Umweltminister, hier rechts im Bild) weiß sehr wohl, dass es einen menschengemachten Klimawandel gibt"

Win McNamee/Gettyimages

Informationszeitalter, haben sie gesagt. Dass dieses Zeitalter nur ein paar wenige Jährchen durchhalten würde, haben sie nicht geahnt. Nachrichten, Fakten, Statistiken, Informationen im ganz allgemeinen – ihr letztes Stündchen hat geschlagen. Danach herrscht Informationsanarchie. Das klingt düster und pathetisch. Und übertrieben?

Als Titanic-Redakteur Moritz Hürtgen diverse ihren Job eindeutig nicht ernstnehmende „Journalisten“ dazu brachte, sich und hysterische Anleger ordentlich zu blamieren, gab es weitläufig Protestbekundungen. Das sei keine Satire mehr, das sei unverantwortlich, tobten die, die offenbar den Sinn von Satire nicht verstanden haben. Hürtgen hatte über seinen Twitter-Account, den er als offiziellen News-Account des Hessischen Rundfunks (hr Tagesgeschehen) umdekoriert hatte, die Eilmeldung gepostet, Seehofer hätte das Unionsbündnis der CSU mit der CDU aufgekündigt.

Eine Aktion, die auch aus Jan Böhmermanns Redaktion stammen könnte. Diverse angeblich seriöse News-Outlets und Websiten zitierten den Tweet als legitime Quelle, wobei eine minimale Recherche die Quelle hätte entlarven können. Aber die Schnelligkeit, das Zuerst-Dasein, spielt heute eine größere Rolle als jemals zuvor. Und große, laute Schlagzeilen bleiben dann aber besser im Gedächtnis als deren kleinlaute Richtigstellungen auf Seite 5.

So etwas gab es schon immer, geschenkt. Jedoch sind in den letzten Jahrzehnten zwei Faktoren dazugekommen, die die Situation problematischer macht als je zuvor: Einerseits die Akzeptanz der Bevölkerung, dass sie unter dem Deckmäntelchen der Wahrheit oder „Reality“ nach Strich und Faden angelogen werden, und andererseits der mittlerweile beinahe umfassenden Möglichkeit, jedes Medium zu fälschen oder zu manipulieren. Reality TV hat uns zunächst echte Gerichtsfälle bei Barbara Salesch gezeigt, dann nachgespielt, dann völlig frei erfunden. Und die Zuschauer haben es gemerkt. Es spielte aber keine Rolle. Man gewöhnte sich daran, dass „Reality“ auch nur eine Fabrikation war. Die Truman-Show und die Matrix bereiteten die Menschen darauf vor, zu akzeptieren dass im Prinzip alles erstunken und erlogen sein könnte … und sie es trotzdem schlucken würden. Die blaue Pille der Indifferenz.

Ein bisschen Hollywood

Vor einiger Zeit wurde eine tolle neue Technik präsentiert, mit der beispielhaft das Gesicht von George W. Bush per Gesichtsanalyse etc. ferngesteuert werden konnte. Es sollte eine Consumer-Technologie werden, hieß es. Jeder kann bald Donald Trump oder Thomas Gottschalk seine eigenen Texte sprechen und dabei Grimassen ziehen lassen. Ist doch witzig! Gleichzeitig werden verstorbene Schauspieler wie Peter Cushing in „Rogue One: A Star Wars Story“ wieder (zwar noch deutlich als Effekt erkennbar) zum Leben erweckt und ältere Leinwandhelden wie Michael Douglas in „Ant-Man“ oder bald Robert de Niro, Joe Pesci und Al Pacino in Martin Scorseses „The Irishman“ beinahe zu 100% überzeugend um Jahrzehnte verjüngt.

Es ist beeindruckende Technologie, die sich momentan nur sehr teure Hollywood-Produktionen leisten können, aber dass ein Staat vor solchen Manipulationen nicht zurückschrecken würde, wenn er einen Vorteil darin sähe, ist wohl auch klar. Dass Stanley Kubrick die Mondlandung von Neil Armstrong und Buzz Aldrin gefilmt hatte und der Flug der Apollo 11 nie wirklich stattfand, hält sich nicht ohne Grund hartnäckig als eine der populärsten Verschwörungstheorien. Doch im Vergleich zu den 1960er Jahren wäre es heute ohne weiteres möglich, Kim Jong Un oder Donald Trump bestimmte Worte per Videomanipulation in den Mund zu legen.

Im kleineren Rahmen bekommt man solche Fälschungen immer wieder mal mit. Als Angela Merkel und die Bürgermeisterin von Paris von einer ultraorthodoxen jüdischen Zeitung aus dem Gruppenfoto des Trauermarschs in Paris herausretuschiert wurden beispielsweise. Oder das virale Video in dem Kim Jong Un Donald Trump einen Zettel mit einem darauf gezeichneten Penis auf den Rücken klebt. Doch wir müssen uns darauf vorbereiten dass es mächtige Individuen, Konzerne, Regierungen gibt, die viel Geld investieren werden, Dinge zu vertuschen, zu manipulieren, zu fabrizieren. Die Dolchstoßlegende könnte einen gefälschten nachträglichen Videobeweis bekommen.

Im Alexandria unserer Zeit

Die aktuelle Riege der Republikanischen Partei der USA übt sich bereits in dreisten Falschaussagen, deren klar dokumentierte Nachweise sie im Anschluss noch dreister als Fake News bezeichnen. Selbst wenn man sie klar im Fernsehen genau das sagen sehen und hören kann, was sie kurz darauf vehement abstreiten, je gesagt zu haben. Trumps GOP hat das Spiel mit der Lüge perfektioniert und es innerhalb von einer handvoll Jahren geschafft, die komplette Medienlandschaft, wie auch die wissenschaftlichen Community, in den Augen großer Teile der Bevölkerung als Wahrheitsträger zu diskreditieren. Dass beide Bereiche da selbst einen Anteil daran tragen, verursacht durch mangelnde Bodenhaftung bei Behauptung uneingeschränker Wahrheitsautorität und dementsprechenden Auftretens, ist klar. Doch der systematische Delegitimisierungsversuch durch – in diesem Fall - die Ultrakonservativen ist das eigentliche Verbrechen. Denn ein Scott Pruitt (US-Umweltminister) weiß sehr wohl, dass es einen menschengemachten Klimawandel gibt, er leugnet dies nur im Auftrag der Fossilen Brennstoffindustrie. Donald Trumps schottischer Golfplatz an der Küste hat extra Flutdämme bauen lassen, und doch leugnet er die Gefahr des steigenden Meeresspiegels.

Diese Leute haben verstanden: In Zukunft wird es immer einfacher werden, beim dreisten Lügen davonzukommen. Jede Falschaussage wird sich in Wort, Ton und Bild wiederum fälschen lassen, beinahe jeder Mensch (zumindest in der westlichen Welt) wird ohnehin permanent abgehört, vom Smart TV, von Alexa, von der Google Spracherkennung, vom der NSA, also gibt es vermutlich auch genug Audio um beispielsweise meine Stimme zu fälschen. Irgendwann werden Fotos, Videos und Tonaufnahmen vor Gericht nicht mehr als Beweismittel zulässig sein, weil es zu einfach geworden sein wird, solche zu fälschen oder fabrizieren. Im Internet, das einst als Demokratisierung der Information gefeiert wurde, wird es immer sowohl die Wahrheit als auch die Lüge geben und es liegt dann am individuellen User, zwischen den beiden Konzepten unterscheiden zu können. Wahrscheinlich ist dabei, dass eine große Faktenskepsis entstehen wird, die die Menschen dazu bringt, sich nur noch in kleinen Kreisen zu bewegen, wo sie die Situationen noch selbst beurteilen können. Eine kleine Guerilla-Faktenbewegung wird versuchen, längst vergessene oder angezweifelte Tatsachen wieder subversiv unters Volk zu bringen. Vermutlich dabei: Moritz Hürtgen von der Titanic.

Technologie und menschliche Dreistigkeit machen es möglich: Wir steuern auf das Alexandria unserer Zeit zu: Unsere große Bibliothek des Wissens wird im Feuer der Manipulation verschwinden. Und sollte unsere Spezies diesen Moment überleben, fangen wir dann eben wieder von vorne an. All of this has happened before, and will happen again …

Das klingt düster und pathetisch. Und übertrieben?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

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