Kernschmelze in der US-Politik

US-Wahl Trump vs. Cinton. Die Präsidentenwahl in den USA ist im Endspurt endgültig zur Farce verkommen

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Kernschmelze in der US-Politik

Foto: Jason Connolly/AFP/Getty Images

Nichts geht mehr. Der US-Wahlkampf 2016 ist endgültig in den letzten Zügen zur absoluten Farce verkommen. Nicht dass für uns biedere Europäer der extravagante Pomp, das abstruse Flickwerk-Wahlsystem, die korrupte Kampagnenfinanzierung und die mediale Schlammschlacht nicht schon lange quasi rational nicht nachvollziehbar ist, dieses Mal setzen die USA ihrem selbstkreierten Monster die Krone auf. Nicht nur dass mit Donald Trump und Hillary Clinton die zwei im Volk unpopulärsten (manche würden sagen meistgehassten) Politiker des Landes zur Wahl stehen, noch dazu besteht die finale Phase der beiden Kampagnen nur noch aus Skandalen und gegenseitiger Anfeindungen. Man kann den Gesichtern im US-Fernsehen mittlerweile eine gewisse Panik ansehen, Panik wohl auch, dass die zwei Großparteien und die Medien selbst ihren großen Anteil daran haben dass es tatsächlich zu einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen einer etablierten Standardpolitikerin und einem offensichtlich sowohl unfähigen als auch brandgefährlichen Promi-Kasper gekommen ist.

Dabei schien das Rennen schon gelaufen. Das geleakte Video in dem Trump frauenverachtende Schweinereien von sich gibt, ließ vor drei Wochen seine Werte in den Keller rasseln. Clinton führte kurz darauf im landesweiten Umfragendurchschnitt mit bis zu 7,6 Prozentpunkten Vorsprung. In den letzten Tagen ist dieser Vorsprung zeitweise bis auf nur 1,3 % zusammengeschrumpft. Der Grund? FBI-Direktor James Comey schrieb – 10 Tage vor der Wahl – einen fragwürdigen Brief an republikanische Senatoren, in dem er feststellte, dass auf Anthony Weiners Laptop weitere Emails von und an Hillary Clinton gefunden wurden und relativierte damit seine öffentliche „Freisprechung“ Clintons kurz vor ihrer Nominierung beim Parteitag im Juli. Nichts ist bekannt über diese Emails, ob sie irgendwelche Sicherheitsvorschriften verletzt haben oder irgendetwas drinsteht das Frau Clinton in schlechtem Licht dastehen ließe. Nichts. Und doch hielt Comey es für notwendig, sie an die große Glocke zu hängen. Dass dahinter idealistische Motive zugunsten größtmöglicher Transparenz stehen ist geradezu auszuschließen. Comey, einen Republikaner, darf man hier durchaus unter Verdacht stellen, aus politischen Gründen gehandelt zu haben. Nun, wenn dem so war, es hat gewirkt. Zwei Tage vor der Wahl ist der Ausgang so ungewiss wie je zuvor. Die Medien genießen die Aufmerksamkeit und das Drama und schlachten es genüsslich aus, während das Volk die Augen verdreht und sich vor der Wahl zwischen Pest und Cholera sieht.

Der eigentliche Email-Serverskandal ist nicht wirklich einer. Doch was Wikileaks seit ein paar Wochen regelmäßig veröffentlicht – Emailkorrespondenzen zwischen John Podesta, dem Chairman der Clinton-Kampagne, und anderen demokratischen Funktionären und Vertretern der Presse – legt ein System offen, das den Amerikanern immer suspekter wird: Die enge Verbandelung zwischen Großkonzernen, Banken und dem politischen Establishment, deren Gallionsfigur Hillary Clinton in den Augen vieler US-Bürger ist, und das nicht zu unrecht. Dass die Dinge die hier aufgedeckt wurden und weiter werden keine Alleinstellungsmerkmale der Clintons sind, sondern systemische legale Korruption gang und gäbe ist, spielt hier keine Rolle mehr.

Dass die demokratische Partei bereits lang vor Beginn des Vorwahlkampfes sich auf Hillary festgelegt hatte und ihren größten Konkurrenten mit unlauteren Mitteln kleinhielt und ausbremste wo es nur ging, in Zusammenarbeit mit der Presse, ist nun keine Verschwörungstheorie mehr, es ist erwiesener Fakt. Und spricht man ihre derzeitige Wahlkampfmanagerin Donna Brazile darauf an, kontert sie nicht sonderlich überzeugend damit dass diese Informationen illegal gehackt wurden – natürlich von Russland – und dass das der eigentliche Skandal sei. Die innerparteiische Verschwörung zugunsten der ehemaligen First Lady, der ehemaligen Senatorin und der ehemaligen Außenministerin – die aus irgendeinem vermutlich völlig selbstlosen Grund jetzt auch noch Präsidentin werden will – ist nicht mehr zu leugnen und ist vermutlich auch kaum außergewöhnliche Praxis im Politikalltag sondern wohl eher das tägliche Geschäft.

Dass Hillarys Leichen im Keller ihr den Wahlkampf nicht einfach machen würden, hätte der Parteiführung klar sein müssen. Vielleicht war es ihr das auch. In einer der Mails aus den Podesta-Leaks wurde den Clintons lange vor den Primaries – und damit lange bevor Umfragen eindeutig klarmachen würden dass Bernie Sanders die weit besseren Chancen gegen Donald Trump gehabt hätte – ausdrücklich davon abgeraten weitere hochdotierte Vorträge vor Banken zu halten, weil Hillary das im Wahlkampf schaden würde. Clinton konnte sich glücklich schätzen dass ihr ärgster Konkurrent Sanders einen entschieden programmatischen Wahlkampf führte und sich bewusst gegen Attacken auf Hillary Clinton aussprach. Gleichzeitig wäre ihr diese programmatische Kampagne Sanders' beinahe um die Ohren geflogen, zumal der zunächst unbekannte Senator mit hochpopulärem Programm und den höchsten Vertrauenswerten aller Kandidaten ihr beinahe die Nominierung kostete, und das wahrscheinlich auch geschafft hätte, hätte die Parteiführung nicht alles darauf gesetzt, ihn subtil aber stetig zu sabotieren.

Nun bleibt dem Establishment sowie den demokratisch geprägten Sprachführern im TV und Social Media nichts mehr übrig als relativ panisch vor einer Trump-Präsidentschaft zu warnen und ein entsprechendes Weltuntergangsszenario zu zeichnen. Klar ist, Trump ist brandgefährlich und völlig unberechenbar. Trump könnte radikale Fundamentalchristen in den Supreme Court bestellen, er könnte seine Drohung von dem Bau der Mauer zu Mexiko wahrmachen, er könnte eine Art Davidstern für Muslime einführen, er könnte aufgrund von Tweets Kriege vom Zaun brechen, er könnte ein faschistisches Regime aufbauen. Das ist von Hillary Clinton nicht zu erwarten. Es ist von ihr aber auch nicht zu erwarten, dass sie an dem völlig aus dem Ruder gelaufenen System etwas ändert, von dem die Amerikaner nun endgültig die Schnauze voll haben.

Ein unvermeidlicher Nebeneffekt dieser katastrophalen Farce einer Wahl ist in dem Fall, dass sich die verschiedenen Seiten gegenseitig zerfleischen. Demokraten untereinander, Republikaner untereinander. Selbst die Verschwörungstheoretiker stehen sich so unversöhnbar gegenüber wie selten zuvor. Während Donald Trump für Glenn Beck eine Katastrophe darstellt, dreht Alex Jones völlig durch und faselt irres Zeug von Clinton und Obama als Dämonen die nach Schwefel stinken weswegen man ständig Fliegen um sie herumschwirren sieht. Der progressive YouTube-Newskanal The Young Turks wird krass angefeindet, weil dort zwar alle Seiten beleuchtet und kritisiert werden, gleichzeitig aber ziemlich eindeutig zur Wahl Clintons (und sofortigem Protest gegen sie, noch am Wahlabend, aber soweit wird meist nicht zugehört) als geringeres Übel aufgerufen wird, während ihr Unterkanal TYT Politics sich ausgiebig mit den Podesta-Emails beschäftigt und entsprechend den linken Clinton-Hassern eine Heimat bietet.

Dass die Drittparteienkandidaten Stein (Grüne) und Johnson (Libertäre) mittlerweile bei 2 bzw. 3 Prozent gelandet sind (nachdem sie kurzzeitig bis zu 6% bzw. 12% Zuspruch in landesweiten Umfragen genossen), macht eines klar: Die US-Bevölkerung hat nur eine Wahl zwischen Trump und Clinton. Die Drittparteien, die nach der Kür der zwei großen Kandidaten aufgrund ihrer Unbeliebtheit starken Aufwind genossen, verschwinden wieder, trotz einiger lauter Hardcore-Anhänger, in der Bedeutungslosigkeit. Das liegt hauptsächlich am Schreckgespenst Trump, aber auch wiederum am Wahlsystem der USA, das die kleinen Parteien stiefmütterlicher behandelt als fast jede andere westliche Demokratie.

Heute steht Hillary Clinton 1,8% vor Donald Trump im landesweiten Umfragendurchschnitt. Das bedeutet allerdings nicht viel. Wichtiger sind die Trends in den sogenannten Swing States oder Battleground States, besonders in Colorado, Florida, Pennsylvania, New Hampshire etc. Dort gehen Clintons Werte kontinuierlich nach unten und Trumps nach oben, nunmehr seit zwei Wochen durchgehend. Wenn man sich die Schlagzeilen der auf realclearpolitics.com aufgelisteten Presseartikel ansieht, erkennt man das Ausmaß der Katastrophe:

The End Is Nigh“

Obama's 'Hope & Change' Has Given Us 'Fear & Loathing'“

The Campaign We Didn't Deserve“

Why This Election Terrifies Me“

The First 100 Horrific Days Of a Trump Presidency“

America's Descent Into Banana Republican-ism“

Wir können vermutlich von Glück sagen, dass wir diesen Wahldienstag aus der Ferne betrachten können. Das amerikanische Volk, so sehr es auch Teil des Problems sein mag, ist nicht zu beneiden.

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Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

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