Links, zwo, drei, vier Prozent?

Links & Rechts Hier wie da bestätigt es sich wieder: Die Konservativen halten zusammen, während sich die "linkere" Seite gegenseitig zerfleischt. Steht sie sich selbst im Weg?

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Links, rechts und die ominöse Mitte – gelten diese Labels noch und haben sie je gegolten, haben sie je Sinn ergeben? Diese Frage ist, wie immer, mit einem eindeutigen Jein zu beantworten. Die Rechten hören nicht gerne, dass sie rechts sind und die Linken finden andauernd andere Linke nicht links genug. Mittepartei wollen sie alle sein: Union, SPD, Grüne, FDP, selbst AfD. Nur die LINKE hält sich damit zurück - kein Wunder, die nennt sich schließlich die LINKE.

Nach einem kurzen Höhenflug der SPD durch den angeblichen Hoffnungskandidaten Schulz sind die politischen Mehrheitsverhältnisse in Deutschland in etwa wieder dahin zurückgekehrt, wo sie vor Schulz waren: Die SPD ist wieder relativ hoffnungslos, die Grünen finden kein Thema, das ihnen nicht sofort von Frau Merkel vor der Nase weggeschnappt wird, die FDP verplappert sich, die LINKE glänzt durch innerparteiische Uneinigkeit und die AfD scheint zumindest ihr Momentum erstmal verloren zu haben. Und schon steht die Kanzlerin wieder unangefochten als unschlagbare Favoritin für die Bundestagswahl da, von einigen Fluktuationen in den Umfragen mal abgesehen.

In Merkel geeint

Was die Konservativen stets schaffen, das ist Zusammenhalt. Von gelegentlichen verbalen Frotzeleien zwischen Merkel und Seehofer mal abgesehen, bleibt die Union ihrem Namen treu. Auf der anderen Seite des politischen Spektrums hingegen fordert Gysi Kompromisse und geht damit klar auf Konfrontationskurs mit Frau Wagenknecht, Frau Twesten schimpft über grüne Uneinigkeit und läuft zur CDU über, Stefan Weil wird als Genosse der Bosse geoutet und muss wegen Frau Twesten auch noch Neuwahlen einberufen - es ist ein Trauerspiel. Es sieht ganz danach aus, als würde nach der Bundestagswahl wieder alles beim Alten bleiben: FDP und AfD werden sich ins Parlament mogeln und die Union wird nicht zuletzt deshalb wieder eine Große Koalition anstreben. Jamaica würde das endgültige Todesurteil für die Grünen bedeuten und mit der AfD will gottseidank niemand reden. Merkel hat es wieder einmal geschafft, danach sieht es im Moment aus.

Dass das "linke Lager" (wozu ich hier extrem großzügig auch SPD und Grüne zähle) permanent an Stimmen verliert, liegt nicht zuletzt daran, dass es sich partout nicht einigen kann, wie sozial und wie links es sein möchte, und dabei kaum in der Lage ist, über Kompromisse überhaupt nachzudenken. Geschenkt, ein halb-linker Kompromiss ist auch nur ein fauler Kompromiss, der am Ende des Tages kaum Veränderung bringen würde, doch solange kein Atomkrieg, kein Bürgerkrieg, kein Meteoriteneinschlag oder der Zusammenbruch des Internets passiert, wird auch keine linke Revolution nur irgendeine Chance haben im gordischen Knoten der globalisierten Finanzherrschaft. Womöglich ist das einzige was uns bleibt momentan ein halb-linker Kompromiss. Doch das erscheint eben leider immer mehr genauso undenkbar.

Man kann sich dieses Phänomen derzeit besonders gut in den USA anschauen, einer Art Experimentierwiese der Politik des 21. Jahrhunderts. Die US-Amerikaner haben es geschafft, einen aufgeblasenen Volltrottel ins Weiße Haus zu wählen, gleichzeitig hat Bernie Sanders mit 47% der Primary-Stimmen beinahe die demokratische Nominierung geschafft. Seitdem sind jedoch zwei bedauernswerte Phänomene zu beobachten: Die Republikaner, die im Prinzip wissen, dass Trump nur ein inkompetentes Großmaul ist, stehen immernoch zu beinahe 80% hinter ihrem Präsidenten. Trump kann noch so viel katastrophale Tweets raushauen, noch so viel inkohärenten Unsinn in Interviews von sich geben und noch so viele legislative Angriffe auf seine eigene Basis fliegen - bis auf einen kleinen Teil der vermutlich übrig gebliebenen sogenannten moderaten Republikaner, hat er seine Fans hinter sich. Das reicht zwar im Landesdurchschnitt nur für abgründige 35% approval rating, aber es reicht auch, weiter durchzuziehen, was er - bzw. seine Hintermannschaft - vorhat: Steuern senken für die Reichen, mehr Kriegsausgaben, Amputation der Krankenversicherung, Ausstieg aus der Klimawandelpolitik, Einreisestopps für Muslime, 50% Kürzung der legalen Immigration, Bau der Mauer nach Mexiko. Auch wenn er bei einigen dieser Themen bereits Rückschläge erleiden musste, all diese Programme werden weiterverfolgt und früher oder später wird er sie zumindest zu einem großen Teil umgesetzt haben.

Demokratische Selbstzerfleischung

Während all das passiert, sieht sich Trump keiner geschlossenen Opposition gegenüber, sondern einem vollends verstrittenen Haufen aus Demokraten und Unabhängigen, die sich gegenseitig verbal gnadenlos zerfleischen. Der lächerlichen "Resistance" der Establishment-Demokraten hat sich Hillary Clinton nun mit einem sagenhaft nichtssagenden Slogan "Onward Together" angeschlossen, was weder ihr noch den Demokraten hilft, im Gegenteil: Sie ist weiterhin unbeliebter als Donald Trump und die Führungsriege des DNC um Nancy Pelosi zeigt sich Interview um Interview komplett beratungs- und reflexionsresistent. Auf die Frage, ob sie ihre Führungsrolle nicht abgeben sollte, fiel ihr nur "I am worth the struggle" und "I am a master legislator" ein. Gegen Bernie Sanders wird sich innerparteiisch wieder eingeschossen wie damals zur heißen Phase des Vorwahlkampfs, und mit Kamala Harris wird eine potentielle Präsidentschaftskandidatin für 2020 gepusht, die sich inhaltlich von Clinton nicht unterscheidet.

Verschiedenste Grass-Roots-Bewegungen, die dem Vorbild des Sozialdemokraten Sanders folgen (der sich ungeschickterweise nicht social democrat, sondern democratic socialist nennt und damit den Kommunistenvorwurf nur so auf sich zieht) – Medicare für alle (europäisches Krankenversicherungssystem), kostenlose öffentliche Hochschulen, Versteuerung von Aktienhandel, 15 Dollar Mindestlohn etc. – verlieren sich im gegenseitigen "ich bin linker als du"-Spiel. Während Justice Democrats progressive Kandidaten in Primaries gegen die Establishmentkandidaten der Demokraten ins Rennen schicken wollen und somit als eine Art linke Tea Party die Partei unterwandern und nach Sanders' Vorbild umkrempeln wollen, werden sie von Draft Bernie attackiert – eine Grupper, die Sanders aus der Partei abwerben und zur Bildung einer Drittpartei überreden will, da sie die Demokratische Partei am Ende sehen und unbekehrbar. Andere wiederum fordern, Bernie solle zur Grünen Partei von Jill Stein übertreten. Bei Elizabeth Warren, der klar zweitprogressivsten Senatorin, scheiden sich die Geister. Ihre Enthaltung bei der Vorwahl, sich für einen der zwei Kandidaten, Clinton oder Sanders, auszusprechen, was aller Wahrscheinlichkeit lediglich eine gut überlegte politische Kalkulation war, gilt für viele Progressive als Verrat und Schandtat, die nicht zu verzeihen ist.

Wenn man sich das Gezeter zwischen den linken Splittergruppen in den USA anhört, so gibt es in den USA nur einen einzigen amtierenden Politiker, der vielen gut genug ist: Bernie Sanders. Elizabeth Warren ist die Verräterin, Ro Khanna hätte mal früher auf ihre Seite kommen können, Tulsi Gabbard ist gut, aber noch zu jung um irgendwas reißen zu können. Aber mit einer einzigen akzeptablen Figur lässt sich keine Partei gründen, und erst recht keine Wahl gewinnen.

Wie links muss Links?

Hier in Deutschland wird ähnlich unnachgiebig geurteilt: Die einen sagen, nur Sahra Wagenknecht ist links genug, und Gysi wolle zu viele Kompromisse. Andere werfen ihr wegen einer Aussage zur Flüchtlingspolitik eine Torte ins Gesicht. Der Reinheitstest um die einzig wahre linke Gesinnung ist mittlerweile Realität. Dass dabei so ziemlich alle durchfallen ist nur logisch. Da muss man sich dann doch die Frage stellen: Wollen diese Menschen denn überhaupt etwas verändern? Oder wollen sie lieber außerparlamentarische Opposition sein, der kaum etwas übrig bleibt als zu schimpfen. Bringt uns das weiter als Gesellschaft? Als Menschheit?

Ich gebe es zu, ich weiß es selbst nicht: Wird es ohne einen großen Knall (siehe oben) überhaupt eine Chance geben, etwas an diesem eingefahrenen, global menschen- und planetfeindlichen System zu ändern? Sind alle Kompromisse sinnlos? Oder können wir doch das System ein bisschen unterwandern, damit wir zumindest nicht den kompletten Planeten in die Luft jagen, die letzten Spezies ausrotten und den Rest der Antarktis ins Meer rutschen lassen? Wollen wir – und ich verwende hier wieder das oft kritisierte "wir", get over it – lieber Union, FDP und AfD das Heft überlassen anstatt Rot-Rot-Grün mal zumindest eine Chance zu geben? (Ich gebe zu, Rot-Grün war ein ziemliches Desaster, aber wäre Schwarz-Gelb tatsächlich besser gewesen?)

War es wirklich klüger von vielen Amerikanern, im November 2016 lieber der Wahl fernzubleiben weil sie Frau Clinton auch nur für das geringere Übel hielten und sie partout nicht wählen wollten? Hätten wir jetzt mehr Krieg? Trump wurde vor der Wahl unterstellt, er wäre außenpolitisch besser als Clinton. Ist er das wirklich? Mit der Mother Of All Bombs, mit einer Zunahme von 500% bei Bombardierungen im Nahen Osten? Mit seiner schleichenden Eskalation mit Nordkorea? Wäre Clinton wirklich schlimmer gewesen? Hätte Clinton auch das Thema Klimawandel von der Agenda gestrichen und Kohle und Erdöl wieder neu gefördert? Hätte sie auch die Schulen weiter privatisiert und die Krankenversicherung noch schlimmer gemacht?

Ich sage nicht, dass ich eine klare Antwort darauf habe. Und ich sage auch nicht dass auf lange Sicht die Konservativen durchregieren zu lassen eindeutig wesentlich schlimmer ist, als mal etwas anderes zu probieren. Aber wenn man es gar nicht erst versucht, wird man es nie wissen.

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Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

Ernstchen

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