Lizenz zum Töten Unbewaffneter

US-Polizei Tausende Menschen protestieren in den USA gegen Polizeigewalt gegen Schwarze. Und weiße Geschworene sprechen die Schützen frei. Wie steht es mit dem Rassismus in den USA?

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Proteste in Ferguson nachdem ein Polizist den Teenager Michael Brown erschossen hat
Proteste in Ferguson nachdem ein Polizist den Teenager Michael Brown erschossen hat

Foto: Scott Olson/Getty Images

Die Vereinigten Staaten von Amerika sind ein eigenartiges Land. Voller Fast Food und Vergnügungsparks, voller Waffennarren und Jesus Freaks, voller Genmais und Fracking, voller Schönheitsoperationen und Geschworenengerichte. Und es ist ein tief gespaltenes Land. Die zwei politisch relevanten Parteien teilen sich die Wähler in etwa zu 50/50. Selbst die Medien tendieren dazu, sich klar in Lager aufzuteilen. Der ultrarechtskonservative Fernsehsender Fox News steht dem eher linksliberalen MSNBC gegenüber, die konservative Zeitung The Wall Street Journal der liberalen New York Times. Und seit ein Schwarzer namens Barack Hussein Obama Präsident der USA ist, sind die Lager sich spinnefeind wie nie zuvor. Obama erhielt in seinen bisherigen 6 Jahren als Präsident mehr als viermal so viele Morddrohungen als George W. Bush während dessen gesamter Amtszeit. Das von den Republikanern kontrollierte house of representatives im Kongress blockierte in den vergangenen vier Jahren so ziemlich alle legislativen Vorschläge der Obama-Administration. Der bisher als „Do Nothing Congress“ der Jahre 1947 und 1948 verabschiedete 906 Gesetze. Der aktuelle Kongress bisher 184. Und obwohl Barack Obamas Politik im Großen und Ganzen eher an die moderaten Republikaner wie Bob Dole erinnert und er in keiner Weise der liberal progressive ist, den sich viele Amerikaner gewünscht hatten als sie seinen Einzug ins weiße Haus im Januar 2009 feierten, so wird er doch vom politischen Gegner und dessen Medienvertretern auf eine Art und Weise verteufelt, dass sich in den letzten Jahren immer mehr die Frage aufgedrängt hat: Bringt ein schwarzer Präsident den zuvor mehr unterschwelligen Rassismus des rechten Flügels der amerikanischen Politik und Bevölkerung wieder völlig ans Tageslicht? Erlebt das amerikanische Volk gerade eine Art missglückten Exorzismus?

In den vergangenen Tagen und Wochen standen einige Vorfälle bei der amerikanischen Polizei im Zentrum des medialen Interesses: Die tödlichen Schüsse weißer Polizeibeamter auf unbewaffnete Schwarze. Zunächst drehte sich alles um den Fall Michael Brown, einem 18jährigen, der nach einem Handgemenge mit einer Polizeieinheit, währenddessen der erste Schuss abgegeben wurde, sich von deren Auto entfernte und daraufhin mit fünf weiteren Schüssen, unter anderem in den Kopf, niedergestreckt wurde.

Am 25. November dann entschied eine sogenannte grand jury, den Schützen, Darren Wilson, nicht anzuklagen. Nicht wie beim Fall Trayvon Martin, bei dem der zivile Todesschütze George Zimmerman zwar angeklagt, aber dann freigesprochen wurde, nein, der Polizist Wilson wurde nicht einmal angeklagt, obwohl er einen unbewaffneten Mann, der Augenzeugen zufolge sogar die Hände gehoben hatte, in den Kopf geschossen hatte. Die Proteste in Ferguson, Missouri daraufhin waren vorherzusehen, zumal nur drei Tage zuvor in Cleveland, Ohio ein – wie sich nun herausstellt, bereits in einer anderen Stadt als dienstuntauglich eingestufter – Polizist den Schwarzen Tamir Rice auf einem Spielplatz erschossen hatte, lediglich zwei Sekunden nach Eintreffen der Streife, die Hinweise auf einen möglicherweise minderjährigen Schwarzen mit einer Pistole, die möglicherweise eine Spielzeugpistole sein könnte, bekommen hatte. Nun, sie stellte sich tatsächlich als Spielzeugpistole heraus und Tamir Rice als 12 Jahre alt.

Als ob das nicht genug wäre, die Proteste anzuschüren, die sich immer mehr gegen willkürliche Polizeigewalt gegen Schwarze im Allgemeinen richteten und sich auf das ganze Land ausweiteten, befand eine weitere grand jury am 3. Dezember, dass der Polizist, der den ebenfalls unbewaffneten Eric Garner im Juli bei einer Festnahme erwürgte, ebenfalls nicht angeklagt werden soll. Dass just herauskam dass am Tag zuvor in Phoenix, Arizona ein weiterer unbewaffneter Schwarzer von einer Polizeieinheit erschossen wurde - die dachte er hätte eine Waffe in der Hosentasche, die sich aber als ein Fläschchen Schmerztabletten herausstellte - wird den Demonstranten überall in den USA vermutlich nur noch ein Kopfschütteln abringen.

Handelt es sich bei diesen vier Fällen (und das sind nur die aktuellsten) um klare rassistische Gewalttaten der Polizei gegenüber der schwarzen Minderheit? Klar ist das sicherlich nicht. In jedem Fall sind es Symptome einer fehlgeleiteten Polizeipolitik. Im Jahr 2013 kamen in den USA nach offziellen FBI-Zahlen insgesamt 461 Menschen ums Leben durch Polizeigewalt. Die reale Zahl ist vermutlich höher weil nicht alle Polizeidistrikte ihre Zahlen ans FBI schicken. Zum Vergleich: In Kanada sind es etwa 12 pro Jahr, in Deutschland ca. 4 pro Jahr. Mag das daran liegen dass der Beruf eines Polizisten in den USA so gefährlich ist? Nun? Im Jahr 2013 starben insgesamt 76 Polizeibeamte im Einsatz. Davon 49 in (Verkehrs-)Unfällen. Somit starben 27 Polizisten im Jahr 2013 durch Gewalttaten (die niedrigste Zahl seit 1961), die Zahl der durch Schusswaffen getöteten Polizisten ist sogar so niedrig wie zuletzt vor 126 (!) Jahren. Nichtsdestotrotz starben 461 oder mehr Bürger durch Polizeigewalt.

Dass die Zahl der Schwarzen unter den Opfern prozentual weit höher liegt als die von Weißen, dass die Zahl der Schwarzen in US-Gefängnissen mit 39,4 % (2009) bei mehr als dem dreifachen ihres Bevölkerungsprozentsatzes liegt (12,6 %), das mag alles auch damit zu tun haben, dass doppelt so viele Schwarze prozentual in Armut leben wie der amerikanische Durchschnitt (28,4 % zu 15,1 % im Jahr 2010, nur 9,9 % Weiße lebten in diesem Jahr in Armut) und daher eher in Gefahr sind, kriminell zu werden. Aber ist das selbstverschuldet?

Die USA mussten einen Bürgerkrieg anzetteln um die Sklaverei abzuschaffen. Und viele Menschen in den USA trauern anscheinend der „guten alten Zeit“ nach, die sie natürlich eigentlich gar nicht selbst erlebt haben. Sogar der Gouvernor von Texas, Rick Perry, lebte und jagte mit seinem Vater auf einer Ranch, an deren Eingangstor noch vor nicht allzu langer Zeit auf einem Felsen das Wort „Niggerhead“ prangte. Viele teils prominente US-Bürger machten in letzter Zeit mit rassistischen Bemerkungen auf sich aufmerksam: Die Fernsehköchin Paula Deen, der Basketballclubbesitzer Donald Sterling, der sagen wir einmal unkonventionelle Rancher Cliven Bundy. Und immer wieder bekommt man Videos zu sehen von Polizeigewalt, bei der Polizisten zu Schwarzen Dinge sagen wie „Ihr seid Tiere“.

Der Rassismus in den USA ist noch lange nicht auskuriert, und wie man bei den derzeitigen hitzigen Debatten zur Zuwanderungspolitik bemerkt, ist vielen Amerikanern eines nicht klar: Sie sind alle Zuwanderer. Die einen kamen früher, die anderen später, die einen waren schwarz, die anderen weiß, wieder andere braun oder asiatisch. Und keiner von ihnen sah so aus wie die amerikanischen Ureinwohner. Als das Motto der USA von melting pot zu salad bowl umgetauft wurde, war das eine kluge Beobachtung: Die Menschen in den USA sind nicht gleich. Sie sind so verschieden wie sie nur sein können. Und diese Erkenntnis nagt an der erzkonservativen weißen Bevölkerung, die gerne unter sich wäre. Und jetzt, wo ein (Halb-)Schwarzer Präsident ist, fühlen sie wie ihre Vormachtsstellung ihnen entgleitet. Sie kämpfen eine verlorene Schlacht. Aber die kann noch lange dauern. Die merkwürdige Häufung von tödlichen Schüssen von weißen Polizisten auf unbewaffnete Schwarze wirkt wie ein Symptom des gesamten Phänomens, der Umgang von Medien wie Fox News oder den Radiohetzrednern Rush Limbaugh und Glenn Beck mit den Protesten verstärkt diesen Eindruck leider nur noch.

Barack Obama hat mit seiner Präsidentschaft das Land nicht geeint wie versprochen, sondern noch weiter auseinanderdriften lassen. Das ist nicht seine Schuld. Aber es droht sein Vermächtnis zu werden. Derweil schießt die Polizei weiter. Wie ihr großer Bruder, die Weltpolizei USA. Und auch das droht Obamas Vermächtnis zu werden.

Quellen: The New York Post, The Huffington Post, The Guardian, The New York Times, Fox News, The Daily Show With Jon Stewart, The Young Turks, Fatal Encounters, (Wikipedia) und vieles mehr ...

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Geschrieben von

Ernstchen

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