"Lügenpresse", eine Scheuklappenentscheidung

Unwort des Jahres Von Pegida in den Mund genommen, auch von den Nazis geprägt, und doch verschleiert die Wahl von "Lügenpresse" zum Unwort des Jahres einen gefährlichen Trend.

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"Lügenpresse" war bereits im Ersten Weltkrieg ein zentraler Kampfbegriff und diente auch den Nationalsozialisten zur pauschalen Diffamierung unabhängiger Medien.

So lautet ein Kernsatz der Begründung der Jury aus Sprachwissenschaftlern, die jedes Jahr ein "Unwort des Jahres" küren und damit auf Missbrauch und Manipulation von Sprache hinweisen wollen. Heute wird der Begriff von der Pegida-Bewegung verwendet. Die Konsequenz, diesen Begriff für das Unwort des Jahres zu nominieren, ist logisch und stimmig. Sie übersieht nur einen wesentlichen Punkt:

Im Jahr 2014, speziell im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise, ist das Vertrauen der Bevölkerung in die vierte Macht im Staat, die Medien, immer mehr erschüttert worden. Das sonst eher aus den USA bekannte Phänomen, dass sich Leute ihre Nachrichten eher aus Satiresendungen als aus dezidierten Nachtichtensendungen oder Zeitungen holen, ist in Deutschland angekommen.

Der Eindruck wird immer deutlicher, dass der deutsche Journalismus immer mehr unter dem Druck der Sponsoren aus der Wirtschaft wie der Kooperationsbereitschaft der Politik (und im Angesicht des Untergangs der Printsparte) kapitulieren und kaum mehr hinterfragen, was Politik und Wirtschaft postulieren, sondern vielmehr nur noch wiedergeben. Die Medien als Sprachrohr der Macht, nicht (mehr?) als das Korrektiv der Macht, das sie eigentlich sein sollen: Die von der Jury erwähnten unabhängigen Medien.

Dass sich in diesem Zusammenhang die menschenverachtenden Kulturenhasser von Pegida mit einem ähnlichen talking point unters Volk mischen, ist aus deren Sicht natürlich sehr praktisch, können sie so doch Leute locken die vielleicht gar keine ausländerfeindlichen Rechten sind.

Doch die Wahl des Wortes "Lügenpresse" zum Unwort des Jahres wirkt nun wie eine Pauschalverteidigung der Medien, wirkt wie eine Warnung, die Presse ja nicht zu kritisieren. Und das ist eine Katastrophe. Denn wenn man den Gedankengang zuende führt, wird es ganz leicht, Kritik an den Medien als "Pegida-nah" oder "rechtsradikal" pauschal einzuordnen.

Dieses Unwort des Jahres kann wie ein Maulkorb wirken. Wir dürfen ihn uns nicht anziehen!

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Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

Ernstchen

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