Nun ward der Sommer unseres Missvergnügens!

Klimawandel Die höchste je in Deutschland gemessene Temperatur, die schlimmste Dürre in Kalifornien seit 1.200 Jahren, und ein Schneeball im Senat. Das Klima als Kontroverse

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Glauben auch nicht an den Klimawandel: Eisberg mit Jünger
Glauben auch nicht an den Klimawandel: Eisberg mit Jünger

Foto: KIRILL KUDRYAVTSEV/AFP/Getty Images

In einer wunderbar zynischen Polemik im Guardian über eine dritte Startbahn beim Flughafen Heathrow kapitulierte am 5. Juli der britische Comedian Stewart Lee:

Langsam aber sicher muss ich der Business Community zustimmen: Es gibt keine Zeit für Aufschübe. Lasst uns die Startbahn bauen. Lasst uns die Erde erdrosseln. Bringen wir's hinter uns, denn was kann schon verhindert werden, das von den mächtigen Göttern des Business bezweckt wird? Beschleunigen wir unseren Untergang! Unsere Kinder sollen die letzten ihrer armseligen Art sein, ersparen wir ihren ungeborenen Nachkommen jedes weitere Leid. Wir werden das Nilpferd nicht retten. Wir werden nicht einmal den Igel retten. Wie sollten wir denn dann die Welt retten können?

Wenn man es jedoch schafft, sich von billigen Sentimentalitäten frei zu machen, eröffnet sich eine andere Perspektive: Wie aufregend und faszinierend wird es sein, der Welt dabei zuzusehen wie sie unbewohnbar wird! Da lohnt es sich fast schon, sich noch einen gesunden Lebenswandel zuzulegen um die nächsten 60 Jahre noch zu erleben und zuzusehen wie alles geopfert wird. Wie viele Menschen haben schon die ehrfurchtgebietende Gelegenheit, Zeuge eines solchen Spektakels, Zeuge des Endes von allem zu sein?*

Auch in der Wissenschaft gibt es bereits Stimmen, die besagen, dass wir unser Ende bereits besiegelt haben und es zum jetzigen Zeitpunkt zu spät ist, noch dagegen zu steuern. Zwar wird in allen dieser Szenarien der Planet nicht komplett zerstört und auch die Menschheit nicht komplett ausgerottet, und doch sind in diesen Variationen der Zukunftsimagination die Tage der menschlichen Zivilisation gezählt. Nicht zwingend nur aufgrund des Klimawandels, auch das Aufbrauchen der Ölreserven und weltweite Nahrungsmittelversorgungsknappheit gelten als nicht unwahrscheinliche Auslöser einer mittleren Apokalypse.

Während also manche bereits meinen, es sei zu spät die ganz große Katastrophe noch zu verhindern, während die G7 im Juni sich auf ein paar Klimaziele einigen konnten, mit denen sogar NGOs wie Greenpeace einigermaßen zufrieden waren, nach dem heißesten Jahrzehnt seit Beginn der Wetteraufzeichnung, ist derzeit der Widerstand gegen die „Idee“ des menschengemachten Klimawandels gefühlt so stark wie nie zuvor.

Der Vorsitzende des Umweltausschusses des US-Senats (!), James Inhofe, wurde im vergangenen Winter einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, als er im Senat einen Schneeball auspackte um ohne große Worte zu verlieren diesen Schneeball als Beweis dafür anzuführen dass der Klimawandel eine Lüge ist. Der Vorsitzende des Umweltausschusses! Im Prinzip sind es in den USA große Teile der republikanischen Partei und der konservativen Medien, die den Klimawandel als liberales Umweltlobby-Schauspiel abtun und das setzt sich in der Bevölkerung fort. Selbst hier in Deutschland, in einem Land in dem die Partei „Die Grünen“ sieben Jahre lang als Juniorpartner regiert hat, ist mittlerweile das Thema Klimawandel wieder kontrovers. Selbst die Grünen scheuen teils vor ihrem Kerninhalt zurück, vielleicht auch weil sie das Gefühl haben, sie würden „nerven“. Früher hatten sie darauf gezählt. Auch darauf, zu nerven.

Wenn man heute in die Kommentarspalten zu verschiedensten Artikeln zum heißen Sommer 2015 schaut, wird der Eindruck einer gespaltenen Bevölkerung zum Thema Klimawandel erneut deutlich, auch wenn solche Kommentarbereiche natürlich ihr ganz eigenes Ökosystem darstellen, frei von jeder statistischen Auswertbarkeit. Was dabei nicht überrascht, ist ein Mangel an differenziertem Denken, auf beiden Seiten des Spektrums. Hier sind drei Beispiele, direkt von der ersten Seite des Kommentarbereichs zum SpiegelOnline-Artikel über einen Rekordtemperaturwert von 40,3° C in Kitzingen:

1. Was werden die Leugner des Klimawandels denn nun als Erklaerung anbringen (ausser, dass es schon immer einen Wandel gegeben hat), nachdem die "wissenschaftliche Erkenntnis", dass es in den letzten 15 Jahren zu keiner globalen Erwaermung gekommen ist, sich als falsch herausgestellt hat (Wahrscheinlich produziert von den Weinberg-Lobbyisten). Vielleicht verweisen sie darauf, dass Deutschlands kaelteste Seeen sich in Bayern befinden.

2. Wenn man davon ausgeht, das es 1983 40,2 Grad heiss war beträgt der Anstieg der Spitzentemperatur innerhalb 30 Jahre. 0,1 Grad. Wenn das so weiterginge, bräuchten wir für wetere 2 Grad 600 Jahre. [...]

3. Das war vorhersagbar, dass vor COP21 in Paris noch irgendwo eine Schlagzeile mit einem Hitzrekord her musste. Wer einen Thermometer auf einen sonnenbeschienenen Stein legt, kann an einem heissen Tag leicht 60ºC und mehr messen. Meteorologische Stationen werden zunehmend umbaut mit wärmeabsorbierenden und reflektierenden Mauern und Asfaltierungen. Da wird sich doch schon irgendwo eine Station finden, die in so einer heissen Zeit wie jetzt 1/10 Grad mehr hergibt als der bisherige Hitzerekord. Erfolg gehabt! Die Schlagzeile ist gesichert. Ob aber im freien Feld ausserhalb der Stadt unter wirklich standardisierten Messbedingungen der bisherige Hitzerekord überhaupt erreicht worden wäre, sei dahingestellt. Aber der Alarm um die angeblich zunehmende Erderwärmung ist wieder einmal gerettet.

Diese drei Kommentare, kombiniert mit Inhofes Schneeball, fassen im Prinzip alles zusammen was in dieser Debatte schiefläuft. Inhofe argumentiert, dass es ja wohl kaum globale Erwärmung geben kann, da er einen Schneeball hat. Kommentator 1 sieht in einer Rekordtemperatur einen klaren Beweis für die globale Erwärmung. Beide Argumente sind Unsinn, pars pro toto funktioniert nicht in diesem Teil der Wissenschaft. Kommentator 2 hingegen stellt eine absurde Rechnung auf, die allerdings auch ein Problem der prognostizierenden Wissenschaften darstellt: Eine Entwicklung wird beobachtet, in Zahlen gefasst und dann in die Zukunft weiterberechnet. Prognosen (mit detaillierten Zahlen) über das Wetter im Jahr 2065 sind reine Kaffeesatzleserei und die Wissenschaft würde sich einen Gefallen tun, solche „Zukunftsberechnungen“ vorsichtiger zu formulieren. Kommentar 3 bringt nun die Komponente Verschwörungstheorie mit ins Spiel, hier nicht sonderlich konkret, es scheint als würde hier nur auf die Sensationsgier der Presse angespielt. Andernorts gibt es immer wieder die „Theorie“ dass der menschengemachte Klimawandel lediglich eine Lüge der Umweltlobby sei, ihre neuen Technologien, von Regierungen unterstützt und subventioniert, an den Mann zu bringen und dabei die traditionellen Kraftwerke und Energiequellen zu verdrängen.

Immer wenn dieses „Argument“ auftaucht, wird es etwas schwierig. Nicht für mich, nicht für die meisten Menschen, die ein gewisses Vertrauen in die Wissenschaft mitbringen. Aber für die Sache. Denn wenn die eine Seite damit argumentiert dass die andere Seite den Klimawandel als Hoax abtut, weil die Industrielobby der Dreckschleuder-Energielieferanten sie in der Tasche hat, und auf der anderen Seite damit argumentiert wird dass die Umweltlobby die Klimawandelseite in der Tasche hat, dann stehen zwei Korruptionsvorwürfe gegenüber. Der gesunde Menschenverstand kann einem der zwei Vorwürfe eine immens höhere Wahrscheinlichkeit zuordnen und es gibt auch diverse Studien und Berichte zur Lobbyarbeit der schmutzigen Energie, doch lässt sich in dieser Zwickmühle nur schlecht mit „meine Verschwörung stimmt aber im Gegensatz zu deiner“ argumentieren.

Auch das Argument der Rekordtemperaturen, dem Ansteigen von extremen Wetterphänomenen und der Werte der Wetteraufzeichnung wird oft abgetan. Das Klima verändere sich stetig, heißt es dann, und die Klimawissenschaftler änderten auch ständig ihre Meinung. Erst sollte eine neue Eiszeit kommen, dann globale Erwärmung, dann doch nicht überall wärmer, sondern alles krasser … und dass der Mensch daran Schuld ist, sei noch überhaupt nicht bewiesen. 97% aller wissenschaftlichen Abhandlungen zum Klima (die zum Thema menschengemachter Klimawandel Stellung beziehen) sind sich darüber einig, dass der Klimawandel erstens stattfindet und zweitens menschengemacht ist. Man spricht hier ganz offiziell vom Climate Consensus. Und doch glauben in den USA weniger als die Hälfte der Bevölkerung dass es einen Konsens innerhalb der Wissenschaft zum Klimawandel gibt. Der Kommunikationsstratege Frank Luntz schrieb der republikanischen Partei 2002 die folgende Memo:

Wenn die Bevölkerung glaubt dass die Wissenschaft sich einig ist, wird sich ihre Einstellung zur globalen Erwärmung dementsprechend ändern. Aus diesem Grund müssen Sie weiterhin das Fehlen vollständiger wissenschaftlicher Sicherheit zum Hauptthema in der Debatte machen.* (The Guardian, 2013)

Aus den 3% Skeptik innerhalb der Wissenschaft wurden so quasi mehr als 50% in der US-Bevölkerung. Wenn man lange genug argumentiert, dass der Funken des Zweifels besteht, so ist dieser Funken irgendwann genauso groß wie der … ähem, Waldbrand der Wahrheit: Derzeit kämpft Kalifornien mit der schlimmsten Dürreperiode seit 1.200 Jahren. Das ist wieder nur so ein Indizienbeweis der für sich allein keinen Wert hat. Und selbst wenn man alle Rekordwerte, Extremwetterhäufungen und dergleichen immer in einem Ordner bei sich hat, um sie als gebündelten Beweiskatalog vorzulegen, wird man damit immernoch nicht bei allen Menschen durchkommen. Vor allem nicht damit dass der Klimawandel menschengemacht ist.

Oft bleibt einem dann nur noch eine Argumentationsweise:

Siehst du diesen Planeten? Siehst du wie wunderschön er ist? Siehst du den Regenwald, die Wüste, das ewige Eis? Siehst du Delfine, Löwen, Elefanten, Kolibris, Libellen, Katzen, Hunde, Eintagsfliegen, Seepferdchen? Hörst du die Nachtigall singen, den Hahn krähen? Siehst du den Sonnenuntergang gespiegelt im Meer? Den Ausblick vom Gipfel des Berges? Siehst du den Eiffelturm? Die Pyramiden? Den Grand Canyon? Die Osterinseln? Schmeckst du den saftigen Pfirsich? Die scharfen Chilischoten? Das herzhafte Steak? Die knackigen Karotten? Das leckere kühle Bier? Wäre es nicht völlig logisch, alles dafür zu tun dass dieser Planet nicht mit lauter Gift vollgepumpt, alle seine Ressourcen ausgeschöpft und seine Lunge abgeholzt wird? Sollten wir nicht die Gelegenheit nutzen, in Energie zu investieren, die keine Erde verbrennt, keine Luft verpestet und keine Fische und Vögel in Ölteppichen verenden lässt? Ist es so schwer, einfach mal das Richtige zu tun? Die Oberfläche des Planeten hat sich durch den Menschen radikal verändert. Der Mensch hat die Wälder, die auch in unseren Breiten flächendeckend wuchsen, abgeholzt um Getreidefelder zu pflanzen, er hat Inseln aus dem Ozean gehoben, er hat Straßen und Städte errichtet, er hat Tiere umgezüchtet um ihm zu dienen, er hat sie eingezäunt und ausgeweidet … Ist es so schwer, sich vorzustellen dass der Mensch auch etwas mit dem Klima angerichtet hat? Und auch wenn ein Zweifel besteht, ist es nicht besser wir haben dem Ökosystem mehr gutes getan als nötig war als umgekehrt? Wenn du am eigenen Leib erleben willst was der Mensch für einen Effekt auf die Umwelt hat, dann mache eine Reise nach China. Geh in eine der Metropolen, in den man nur noch mit Masken oder an Sauerstoffautomaten außerhalb der Gebäude atmen kann. Wenn du mir dann immernoch sagst dass der Mensch harmlos ist und keine schlimmen Auswirkungen auf das Ökosystem hat, und man dementsprechend auch nichts unternehmen sollte um die Welt ein bisschen sauberer zu machen, dann werde ich schweigen, denn dann fällt mir nichts mehr ein.

*übersetzt aus dem Englischen

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

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