President Sanders? Nicht mehr ausgeschlossen!

USA Hillary Clinton kommt in Bedrängnis. Sollte sich die Geschichte wiederholen und sie erneut von links überholt werden? Die Zeichen stehen gut

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Bernie Sanders am 17.1.2016 bei der letzten TV-Debatte vor der ersten US-Vorwahl, in der er gegen Hillary Clinton und Martin O'Malley antrat
Bernie Sanders am 17.1.2016 bei der letzten TV-Debatte vor der ersten US-Vorwahl, in der er gegen Hillary Clinton und Martin O'Malley antrat

Foto: Andrew Burton/AFP/Getty Images

Donald Trump dominiert die Medien wie lange kein US-Politiker mehr, auch wenn sicherlich streitbar ist ob man ihn überhaupt als Politiker bezeichnen sollte. All die bizarren bis faschistoiden Details seines Wahlkampfes die zu uns herüberschwappen spielen natürlich unserer latenten Amerikaverachtung (die selbstverständlich weiterhin mit einer großen Faszination gepaart ist) in die Hände. Dabei findet die eigentlich beachtlichere Entwicklung in der US-Politik hier in Deutschland kaum Beachtung: Bernie Sanders, selbsterklärter demokratischer Sozialist, hat reale Chancen, Hillary Clinton zu besiegen und beste Chancen in diesem Fall danach welchen republikanischen Gegner auch immer mit überwältigender Mehrheit rechts liegen zu lassen.

Bevor der 74jährige Senator aus Vermont ins Rennen um die demokratische Nominierung einstieg, war die Wunschkandidatin der linken Demokraten Elizabeth Warren, die jedoch früh klar machte, dass sie kein Interesse habe. Als dann der eigentlich parteilose Sanders seine Kandidatur erklärte war er zunächst eine Art Notlösung für diejenigen, die die eigentlich konservative, bankenfinanzierte und mit dem Dynastiemakel behaftete Hillary Clinton als Kandidatin verhindern wollten. Die Herzen schlagen in den USA ohnehin kaum für Clinton, obwohl sie seit ihres Wahlkampfantritts stets mit scheinbar unschlagbarem Abstand in den Umfragen führte. Sie gilt als kalt, berechnend, systemkonform. Bernie Sanders dagegen wettert gegen die Banken, will die Reichen besteuern um den Besuch staatlicher Universitäten kostenlos zu machen, will das Gesundheitssystem auf europäische Verhältnisse reformieren, will den unbegrenzten Einfluss des Großgeldes, der Wirtschaft, der Banken auf die Politik beenden. Er will nichts anderes – und das sagt er wortwörtlich in jedem seiner umjubelten Wahlkampfauftritte – als eine politische Revolution. Ein etwas zu großes Wort aus unserer Sicht, doch in den USA, wo es keine Krankenkassen gibt wie bei uns, wo Studenten nach ihrem Studium fünf- bis sechsstellig verschuldet sind, es sei denn sie kommen aus reichem Haus, wo es keine Elternzeit gibt, wo einzelnen Firmen Kongressabgeordnete und Gouverneure regelrecht kaufen können – in dieser Welt des aus den Fugen geratenen Kapitalismus in Reinform wirkt Bernie Sanders' Wahlprogramm wahrlich wie eine Revolution. Dass ein solch „radikaler“ Querkopf nun droht, Hillary Clinton tatsächlich zu überholen, ist die beste Nachricht aus den USA seit dem Ende der Regierung Bill Clinton, vielleicht seit Jimmy Carter.

Im zweiten Vorwahlstaat New Hampshire hat Sanders Hillary mittlerweile weit hinter sich gelassen, in einer Umfrage gar mit 27 Prozentpunkten Vorsprung. Über den ersten Vorwahlstaat Iowa gibt es noch widersprüchliche Umfragen: Einige sehen Sanders knapp hinter Hillary, eine sah ihn bereits auf dem Siegertreppchen. Landesweit liegt Sanders weiterhin hinter Clinton, doch der Abstand variiert in den Umfragen sehr stark: Bei IBD/TIPP liegt er nur noch 4% hinter Clinton, bei CBS/New York Times auch nur 7%, bei NBC/Wall Street Journal liegen allerdings noch 25 Prozentpunkte zwischen den beiden. Somit ist sehr schwer einzuschätzen wie hoch Sanders' Chancen stehen, tatsächlich die (bereits einmal gescheiterte) „Unvermeidliche“ zu schlagen.

Allein die Tatsache jedoch, dass er so nah dran ist, ist nicht nur ermutigend, sie ist sogar folgerichtig.

Es ist kein Zufall dass auf beiden politischen Seiten jeweils ein Außenseiter für Aufsehen sorgt und die Massen in die Stadien und Turnhallen überall in den USA lockt: Die Bürger der Vereinigten Staaten sind den Politikstil leid, der ihnen seit jeher um die Ohren gehauen wird. Das Washingtoner Establishment ist zu einem Schimpfwort geworden, der Kongress hat derzeit Zustimmungswerte in der Bevölkerung um etwa 11%, vor ein paar Monaten lagen sie gar bei 7%. Zum Vergleich: In den 90er Jahren lag diese Werte um die 50%. Nun kommen mit Bernie Sanders und Donald Trump zwei Originale ins Spiel, die sich beide nicht von SuperPACs ihren Wahlkampf finanzieren lassen – Trump nicht weil er ohnehin genug Geld hat und Sanders nicht, weil er es bewusst ablehnt und sich allein von Kleinspenden finanzieren lässt, was ausgezeichnet funktioniert – beide sind Querköpfe, die außerhalb des typischen Politsprechs reden, und beide auf ihre sehr verschiedenen Arten und Weisen authentisch sind.

Dass der Reality-Show-Populist Trump, der sich für keine ausgrenzende, faschistoide Äußerung zu schade ist, bei den frustrierten Republikaner-Wählern punktet ist nicht überraschend. Die sich stets verändernde Demografie in den USA macht den reaktionären Teilen des rechten Spektrums schwer zu schaffen. Trump beleidigt Frauen, beschimpft mexikanische Einwanderer, will die Einreise von Muslimen in die USA stoppen und bedient sich einer so einfachen bis einfältigen Sprache, dass die angstschwangeren Rassisten, die um ihre Alleinherrschaft bangen, ihre Fäuste in die Luft strecken und „USA! USA!“ brüllen. Es macht Angst, diesen Trump-Auftritten zuzusehen, bei denen auch regelmäßig Schwarze, Latinos, Muslime oder einfach „Nicht-Trump-Supporter“ achtkantig rausgeworfen werden, oft nachdem sie von Trunp-Fans zunächst attackiert und zu Boden geschlagen wurden.

Dass jedoch auf der anderen Seite der gemütliche Sozialisten-Großvater Bernie Sanders mit seinen Plänen zu einem europäischeren Amerika sich anschickt, der „bereits gesetzten“ Hillary Clinton die Tour zu vermasseln, ist durchaus ein wenig erstaunlich. So wie die Kurven der Umfragen derzeit ausschlagen, ist es nicht nur möglich, sondern sogar nicht unwahrscheinlich, dass die Wahl zum nächsten Präsidenten der USA „Bernie Sanders vs. Donald Trump“ heißen wird. Das wäre nichts weiter als eine Sensation. Sanders würde diese Wahl klar gewinnen und die USA hätten einen Sozialisten als Commander in Chief.

Einmal im Amt angekommen würde er vermutlich noch mehr Gegenwind im Kongress bekommen als Barack Obama, aber es ist auch nicht ausgeschlossen dass seine Popularität den Demokraten auch zur Zurückeroberung der beiden Kongresshäuser verhilft. Es sei uns allen zu wünschen. So sehr der vermeintliche Messias Obama die Welt und sein Land enttäuscht hat, es hätte schlimmer kommen können (wenn man einmal den verbrecherischen Drohnenkrieg für einen Moment beiseite nimmt). Weit schlimmer. Es könnte aber auch viel besser kommen. Bernie Sanders hat das Potential dazu. Ob er die Chance bekommt, es umzusetzen, ob er die Fähigkeit und den unbedingten Willen dazu hat, bleibt abzuwarten.

Zahlenquellen: RealClearPolitics

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Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

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