Risse in der Lobbykratie

US-Primaries Die konzerngesteuerte Lobbykratie ist im US-Vorwahlkampf ein großes Thema: Bei Bernie Sanders, Larry Lessig ... und Donald Trump!

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Die US-amerikanischen Vorwahlen sind für uns hier auf der anderen Seite des Großen Teiches ein Amüsement, eine Freakshow. Von Milliardären gesponserte, vor Pathos triefend und Attacken strotzende Werbevideos, die mit tatsächlichen politischen Wahlversprechen so viel zu tun haben wie die BILD mit investigativem Journalismus, dazu pompöse Kandidatendebatten im Fernsehen, in denen die „Journalisten“ die Kandidaten zu ihrer Haltung zu Gott befragen, Skandälchen, Kleinkriege auf Twitter … im Angesicht dieser US-Wahlmaschinen erscheint uns unsere eigene Beinahe-Demokratie in Deutschland wie ein Paradies der Sachlichkeit. Und gleichzeitig finden viele hier genau das sterbenslangweilig. Die Wahl zwischen Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier? Die Wahl zwischen Angela Merkel und Peer Steinbrück? Von Steinbrücks Mittelfinger in der Süddeutschen einmal abgesehen sind die Bundestagswahlen in Deutschland, verglichen mit den USA, ein Schnarchfest. Gerhard Schröder und Edmund Stoiber hatten noch ein gewisses Maß an Aufregung in den Wahlprozess gebracht, doch seit Angela Merkel unsere Kanzlerin ist, ist die Politikverdrossenheit immer mehr gestiegen.

Heißt das nun, dass die Menschen keine Inhalte, sondern Persönlichkeiten lieber wählen würden? Die Begeisterung über Barack Obama im Jahr 2008 legte das nahe. Allerdings gibt es in den USA auch die Möglichkeit den Kandidaten der jeweiligen Partei zu wählen bevor dieser in den Kandidaten der anderen Partei ins Rennen geht. Derzeit hat die republikanische Partei 17 Kandidaten und die Demokraten 5, wenn man einmal von der Noch-Nicht-Ganz-Kandidatur Larry Lessigs und Joe Bidens absieht. Und die Entscheidung, wer der jeweiligen Kandidaten ins finale Rennen geht, hat fundamentale Auswirkungen auf die Politik der jeweiligen Partei. Hier in Deutschland wird der Kandidat bzw. die Kandidatin schlicht festgelegt, es wird ohnehin die Partei gewählt und nicht der Kanzler bzw. die Kanzlerin. Nun fällt es leicht, verächtlich über das amerikanische System mit seinen lediglich zwei Parteien und seinem lobbyfinanzierten Wahlkampf zu reden. Doch die Primaries der beiden Parteien bieten etwas, das in Deutschland so nicht möglich ist: Eine Auswahl an Vertretern von politischen Ideologien, Ideen und Vorhaben.

Im Angesicht eines Clowns wie Donald Trump, einer angepassten wirtschaftslobbyhörigen Hillary Clinton oder eines ultraerzkonservativen Christenpastors wie Mike Huckabee klingt das wie ein naiver Traum, doch wenn man genauer hinsieht, kann man zwischen all dem Krach und dem Pomp und den lächerlichen Anfeindungen durchaus Kandidaten erkennen die für etwas stehen und nicht unbedingt Sklaven ihrer Geldgeber sind. In den allermeisten Fällen sind solche Kandidaten chancenlos, so wie der libertäre Ron Paul, der dreimal für das Amt des Präsidenten kandidierte und stets weit abgeschlagen auf einem der hintersten Plätze landete, nicht zuletzt auch aufgrund grober Ignoranz der Medien. Doch dieses Mal gibt es gleich drei mehr oder weniger unabhängige Kandidaten, die das System Lobbykratie offen anprangern: Bernie Sanders, Lawrence Lessig und … Donald Trump.

So durchgeknallt und selbstverliebt uns Donald Trump auch erscheint, er ist bei weitem kein typischer amerikanischer Konservativer. Momentan führt er in den Umfragen im republikanischen Feld mit weitem Abstand und das nicht weil er für populäre Politik steht (das wäre eher Bernie Sanders), sondern weil er das komplette Wahlsystem auf den Kopf stellt und sich einen feuchten Kehricht – nein, sagen wir Scheißdreck – darum kümmert, was man als Politiker und Präsidentschaftskandidat sagen sollte oder nicht. Er wird geliebt für seine große Klappe, er ist der Anti-Mitt-Romney: Er gibt an mit seinem Reichtum, landet bei Veranstaltung separat mit seinem eigenen TRUMP-Helikopter, beleidigt Parteifreunde und Journalisten (und Menschen bei Fox News) und weigert sich stets, sich zu entschuldigen: Trump hat immer recht. Und während Sanders und Lessig auf der demokratischen Seite auf ihre Weise gegen die Lobbykratie Wahlkampf machen, macht Trump sie auf Trumpsche Weise zum Thema. Bereits mehrmals hat er nun den Mechanismus, der hinter Citizens United steht, offen ausgesprochen: Er nimmt kein Geld von Lobbys an, sagt er, erstens weil er es nicht brauche, und zweitens weil er genau weiß dass diese dann im Gegenzug etwas von ihm wollen und fordern werden. Er wisse dies, weil er genau das selbst gemacht habe, er habe den meisten der anderen Kandidaten Geld gegeben, um von ihnen Gegenleistungen zu bekommen. The system is broken sagt Donald Trump. Doch solange das so ist, werde er es natürlich zu seinem Vorteil nutzen.

Es erscheint grotesk, aber möglicherweise werden Trumps Auslassungen sogar mehr zu einer öffentlichen Meinungsbildung gegen Citizens United führen als die sachlichen Kampagnen von Bernie Sanders und Lawrence Lessig. Sie könnten sogar eine Kandidatur Sanders' mehr Nährboden verschaffen als dieser selbst erreicht hätte. Gut möglich dass Lessigs Kandidatur, so sie denn zustande kommt, Sanders wieder wertvolle Stimmen abnehmen wird, doch das ist noch Kaffeesatzleserei. In jedem Fall ist das Rennen um die US-Präsidentschaft 2015/2016 bereits jetzt deutlich geprägt von Kritik am bestehenden Lobbykratiesystem. Selbst Hillary Clinton, ein Synonym für Establishment, kritisiert öffentlich den extremen Einfluss von Geldgebern auf die Politik.

Donald Trump ist der größte Alptraum der Republikaner. Wird er zum Kandidaten gekürt, wird er erstens sein eigenes Ding machen und zweitens gegen welchen demokratischen Kandidaten auch immer definitiv verlieren. Wird er nicht zum Kandidaten gekürt, stellt er sich womöglich als Independent auf und nimmt der GOP damit wichtige Stimmen ab, was ebenfalls einen Sieg der Demokraten besiegeln würde. Und was insgesamt noch viel schlimmer für die Republikaner ist: Donald Trump ist befreundet mit der Clinton-Familie und an der Spitze aller Umfragen. Sie können nur hoffen dass Trump vor der Nominierungswahl seine Kandidatur zurückzieht und einem anderen Kandidaten sein Vertrauen ausspricht. Nachdem er jedoch bereits gefühlt alle seine Gegenkandidaten als loser, stupid, dummies oder schlicht incompetent bezeichnet hat, erscheint ein Endorsement seinerseits unwahrscheinlich.

Die Wahl 2016 in den USA verspricht, spannend zu werden. Hillary Clinton führt zwar das demokratische Feld weiterhin weitestgehend an, mit etwa 20 Prozentpunkten vor Bernie Sanders, der meist auf etwa 25-30% der Stimmen kommt. Jedoch hat er sie in New Hampshire bereits überholt (44 zu 37, eine Woche zuvor war die Stimmverteilung noch umgekehrt) und seine Auftritte werden von mehr Menschen besucht als die aller anderen Kandidaten. Vor einer Woche kamen 27.500 Menschen zu einer seiner Rallys in Los Angeles und 28.000 nach Portland, Clintons Besucherzahlen liegen meist bei etwa 5.000. In einem knappen halben Jahr bis zu den Primaries kann noch ganz viel passieren. Bei den Republikanern muss noch ganz viel passieren.

Nach der ersten TV-Debatte auf Fox News konnte Donald Trump seine Position verteidigen, die zuvor als aussichtsreichste Kandidaten gehandelten Scott Walker und Jeb Bush mussten Platz 2 und 3 dem schwarzen Gehirnchirurgen Ben Carson und dem erzkonservativen Tea-Party-Kandidaten Ted Cruz überlassen. Außer Trump ist bei der GOP noch überhaupt kein Frontrunner zu erkennen. Selbst der halbwegs ernstzunehmende Halblibertäre Rand Paul (Sohn des dreimal erfolglosen Ron Paul) ist auf die hintersten Plätze abgerutscht und ein christlicher Fanatiker wie Mike Huckabee konnte sich trotz – oder gerade wegen – seiner heftigen Aussagen zum Militär und zur Abtreibung verbessern.

In Deutschland läuft es wohl auf ein ungleiches Duell zwischen Angela Merkel und Sigmar Gabriel hinaus: Zwei uninspirierte Konsens- und Machtpolitiker, zwischen die bestenfalls ein Blatt Papier passt. Hier hat die Bevölkerung keine Gelegenheit, die Kandidaten mitzubestimmen. Uns bleiben nur die Kleinparteien um in irgendeiner Form mit etwas oder jemandem zu identifizieren auf der politischen Bühne. Doch auch da sitzt weder ein Donald Trump zur allgemeinen Belustigung, noch ein Bernie Sanders für vernünftige, sachliche, zukunftsorientierte, soziale Politik: Gregor Gysi kandidiert nicht mehr.

Die neuesten Umfragen gibt es hier: http://www.realclearpolitics.com/epolls/latest_polls/

Und eine Initiative gegen Citizens United gibt es hier: http://www.wolf-pac.com/

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Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

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