Schauspielsolo: Das große Kammerspiel

Filmtipps #2 Teil zwei meiner Filmreihe. Hier sind vier Filme, die von einer einzelnen Figur getragen werden, empfohlen von Ernstchen, M.A.

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In meinem ersten Teil der Filmtipps waren wir bereits sehr nahe an dem was ich nun vorstellen will. Die vier Filme wurden klar getragen von einer Hauptfigur um die sich alles drehte. Es gab keine Nebenplots mit Nebenfiguren, Jennifer Lawrence, Jake Gyllenhaal, Brit Marling und Scarlett Johannson waren die Protagonisten und bis auf ganz wenige Ausnahmen in jeder einzelnen Szene der Filme.

Nun ab es aber in den letzten Jahren auch einige Filme, die komplett von einer Figur getragen werden, bei denen (bis auf ein paar kurze Momente in "127 Hours" und ein paar Videoübertragungen in "Moon") nur ein einziger Mensch im Film zu sehen ist. Gleichzeitig eine große Herausforderung für sowohl Schauspieler als auch Filmemacher, einerseits den Film komplett alleine zu tragen und auf der anderen Seite den Film so zu gestalten dass das Publikum sich nicht beginnt zu langweilen als handelte es sich um einen langen Monolog. Diese vier Filme wissen ihre Beschränkungen hervorragend zu nutzen und als Freiheit zu verstehen.

1. "Moon" (2009)
Directed by Duncan Jones
Starring Sam Rockwell

Sam Bell (Rockwell) nähert sich dem Ende seines dreijährigen Vertrages als Aufseher einer Mineralabbaustation auf dem Mond. Außer ihm befindet sich dort nur noch eine K.I. namens GERTY (Stimme von Kevin Spacey). Als er bei einer Außenmission auf der Oberfläche plötzlich halluziniert, kollidiert sein Fahrzeug mit einer der Mineralabbaumaschinen, woraufhin er auf der Station wieder das Bewusstsein erlangt, allerdings ohne Erinnerung an den Vorfall. Als er jedoch zufällig verdächtige Kommandos von GERTY mitbekommt, macht er sich auf die Suche nach dem Fahrzeug, das sich immernoch am Ort des Zusammenstoßes befindet.

Das Spielfilmdebut von David Bowies Sohn Duncan Jones ist ein Science-Fiction-Kammerspiel im allerbesten Sinn. Typische Sci-Fi-Elemente wie Isolation und physische wie psychische Grenzgänge, wie auch der sehr an HAL 9000 aus "2001: A Space Odyssey" erinnernde GERTY machen "Moon" zu klassischer "harter" Science Fiction, diejenige die die großen Fragen stellt, die fragt was es bedeutet Mensch zu sein. Sam Rockwell, bisher kaum in Hauptrollen bekannt, trägt den Film mühelos und Jones macht eine auf dem Papier wie Fingerübung in Sci-Fi klingende Geschichte magnetisch und unwiderstehlich.

2. "All Is Lost" (2014)
Directed by J.C. Chandor
Starring Robert Redford

Ein älterer Mann (Redford) ist mit seinem Segelboot "Virginia Jean" allein im Indischen Ozean unterwegs. Als während er schläft seine Yacht mit einem herumtreibenden Container kollidiert und dabei seine Instrumente und Funkgeräte zerstört werden, beginnt ein Kampf gegen die Elemente.

Robert Redford war 77 Jahre als, als er diesen Film drehte. Es ist spektakulär was der Schauspielveteran nur mithilfe von Gestik und Mimik 106 Minuten lang bewerkstelligt: Abgesehen von einem Anfangsmonolog und einem Funkspruchversuch spricht seine Figur, von der wir weder Namen noch Vorgeschichte kennen, in diesem Film nur noch zwei Worte - "Help!" und "Fuck!" - und trotzdem ist "All Is Lost" so fesselnd und so emotional wie ein Survival-Thriller nur sein kann. Und Redfords Figur erinnert in ihrer Besonnenheit und Unbezwingbarkeit an Anthony Hopkins' Charles Morse im 90er Thriller "The Edge" ("Auf Messers Schneide"). Was Cuaróns "Gravity" im Weltraum war, ist "All Is Lost" auf hoher See, nur mit mehr Gravitas und ... nun ja, realer.

3. "Locke" (2014)
Directed by Steven Knight
Starring Tom Hardy

Ivan Locke (Hardy), ein Baumanager und Familienvater, steigt am Vorabend seines größten Bauprojektes in sein Auto und fährt los. Während seiner Fahrt ins Ungewisse telefoniert er pausenlos, mit seinen Vorgesetzten, seinen Mitarbeitern, seiner Frau, seinen Kindern und mit einer weiteren Frau, um auf irgendeine Art und Weise einer Situation in die er sich selbst gebracht hat, konsequent zu begegnen und dabei zu versuchen, so wenig wie möglich dabei zu zerstören.

Mehr sollte man zum Plot dieses unwahrscheinlichen Filmes lieber nicht sagen. Dieser Film treibt das Konzept der Solo-Performance auf die Spitze. Man hört zwar die Stimmen am Telefon, aber der gesamte Film spielt ausschließlich in Tom Hardys Auto. Er sitzt ... und fährt. Es bleiben ihm kaum Möglichkeiten physisch zu agieren, er ist auf Stimme und Gesicht beschränkt. Für Filme wie diesen wurde die Bezeichnung "tour de force" erfunden. Zu Beginn kann man sich beim besten Willen nicht vorstellen wie man 90 Minuten lang das Innere eines Fahrzeugs ansehen kann und dabei nicht irgendwann folgerichtig einschläft. Doch irgendwann knabbert man an seinen Fingernägeln und murmelt permanent "Ach du Scheiße" vor sich hin. Es ist sensationell. Und Tom Hardy ist in seiner ausgesprochen subtilen Performance ebenso sensationell. Es würde so viel dafür sprechen, die Beschränkung der schauspielerischen Möglichkeiten voll auszunutzen mit großen Ausbrüchen und einer emotionalen Achterbahnfahrt in Stimme und Mimik. Doch Hardy zeigt seine Achterbahnfahrt in klein, unterdrückt, sich zusammenreißend, und das macht es umso glaubwürdiger und: unmittelbarer, so paradox das klingt. Ganz klar ein filmisches Experiment, aber eines das mehr als aufgeht. Einer der besten Filme des Jahres 2014.

PS: Dass der deutsche Verleih dem Film namens "Locke" den "deutschen" Titel "No turning back" verpasst hat, ist einmal mehr Grund zum amüsierten Stirnrunzeln.

4. "127 Hours" (2010)
Directed by Danny Boyle
Starring James Franco

Extrem-Hiker Aaron Ralston rast mit seinem Mountainbike durch den Canyonland National Park in Utah. Nach einer kurzen Begegnung mit zwei jungen Frauen beginnt er in den Blue John Canyon hinunterzuklettern. Als er einmal nicht genug aufpasst, löst sich beim Abstieg ein großer Felsbrocken und klemmt Ralstons rechten Arm in einer Felsspalte ein. Ralston hat kein Handy dabei und ist mutterseelenallein in einer unbewohnten Gegend, nur ausgestattet mit einer Videokamera, Kletterausrüstung, einem Taschenmesser und etwa einem Liter Wasser. Und der Felsbrocken lässt sich nicht bewegen.

Fairerweise sollte wohl angemerkt werden, dass dieser Film ein bisschen abweicht von den Vorgaben dieses Teils meiner Filmtipps, da durchaus einige Szenen mit mehreren Schauspielern vorkommen, sei es die Szene mit den zwei Mädels, denen er einen unterirdischen Pool zeigt, oder im späteren Verlauf einige Rückblenden und Visionen, die der eingeklemmte Kletterer hat. Nichtsdestotrotz fällt der Film für mich in die selbe Kategorie.

Danny Boyle knöpft sich die wahre Geschichte von Aaron Ralstons Tortur und seiner Selbstbefreiung auf typische Boyle-Weise vor: Mit schnellen Schnitten, bunten Bildern, Split-Screens, lauter Musik. Doch er narrt uns nur. Ab dem Moment als Ralstons Arm eingeklemmt ist, sehen wir ein nerven- und herzzerreißendes Psychodrama eines viel zu selbstsicheren Abenteurers, dessen gesamte Existenz auf die Probe gestellt wird. James Franco spielt den Extremsportler mit mitreißender Arroganz und aufrichtiger Tragik, mit selbsterhaltendem Sarkasmus und unbändigem Überlebenswillen. Die direkt von Ralstons echten Videoaufzeichnungen inspirierten Videoszenen sind das Herzstück dieses Filmes. Und doch, wenn Doyle sich erlaubt, den gesamten Werkzeugkasten eines Filmemachers vor unseren Augen auszuschütten und einzusetzen, dann wirkt auch das nicht fehl am Platz oder unpassend gegenüber der Story, nicht einmal als gegen Ende des Films ein Song der isländischen Band Sigur Rós unsere Tränendrüsen strapaziert - im Gegenteil. Ein fantastischer Film.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

Ernstchen

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