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TV-Duell Es mag völlig überflüssig für unsere politischen Meinungen hier sein und doch ist es inszeniert als Kernstück des Wahlkampfes. Und was inszeniert wird, ist real.

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Ein sauberes Unentschieden in der medialen Instant-Wiederkochung des just gesehenen ist es, dieses TV-Duell, das Mutterschiff des amerikanischen Wahlkampfes. Aber ich wollte doch gar nicht so zynisch beginnen.

Wahlkampf ist inzwischen schon lange mehr eine Disziplin der Medien denn eine Disziplin der Parteien. Abgesehen von den kleinen Ständen mit den Luftballons zu denen niemand geht und den Plakatwänden, die schon am ersten Tag keiner mehr sehen kann und die mit vandalistischer Lebensfreude regelmäßig beschmiert werden, findet der Wahlkampf in den Redaktionen statt, in den Foren, in den Kommentarseiten und auf Twitter. Die Hashtags fliegen uns um die Ohren, sofern wir bei dem Phänomen Twitter nicht auf Komplettdurchzug geschaltet haben. Auf #schlandkette hat die Welt offenbar sehnlichst gewartet. BILD-Online titelt - mit einem großen Bild von Merkel, einem mittelgroßen von Stefan Raab und einem winzigen, fast nicht mehr erkennbaren Steinbrück - das Opium-Fazit für das Volk: "Was bleibt vom TV-Duell? Raab und #schlandkette" (BILD.de)

Doch die Redaktion bemerkt etwas eigenartiges: In den Kommentaren - ich spreche hier wie gesagt von BILD.de - ist die Rede von Steinbrück. Er kommt gut weg. So verschwindet bald das Bild auf dem Steinbrück fast unsichtbar war. Auch die Kette geht von Bord ... Nun heißt es vielmehr "Keiner schlägt den Raab". Also beginnen wir doch bei Stefan Raab.

Man kann von ihm halten was man will, er hatte stets das Talent, "Scheiße zu Gold zu machen". Und so sehr er ein miserabler Prominenten-Interviewer war und ist in seiner Fingerübung TV Total (nur noch untertroffen von Gottschalk bei Wetten Dass?), heute abend wurde Stefan Raab gebraucht. Klöppel, Illner und auch (zu geringerem Teil) Will waren so in ihrem hermetischen Fernsehjournalisten-Kokon eingewickelt, dass der Zuschauer kaum Möglichkeit hatte eine Identifikationsfigur zu finden. Die Kandidaten geben das ohnehin nicht her. So war es Raab mit seiner erfrischend - mich schaudert es vor dem folgenden Wort, aber mir fällt partout kein passenderes ein - frechen Ungehaltenheit, der sozusagen "für die Bürger" sprach, fragte, nachbohrte und es sichtlich genoss, Frau Merkel einmal recht unsanft auf ihren Redezeitüberschuss hinzuweisen. Er stellte nicht zwingend wichtigere Fragen als die drei anderen hochkorrekten (im Fall Peter Klöppel angewidert gelangweilten) Moderatoren, aber die Verve mit der er bohrte, verlieh den 90 Minuten den Eindruck als ging es wirklich um etwas, als wäre diese Sendung nicht einfach nur ein eher nerviges Testbild.

Testbilder wurden uns auch danach zu Hauf vorgeführt. Blitzauswertungen von Meinungsäußerungen "aus dem Volk" in schicken langweiligen Balkendiagrammen in rot und schwarz mit solch illustren Bewerungkriterien wie "sympathisch", "glaubwürdig", "angriffslustig" und natürlich - der Klassiker - "besser als erwartet". Und dann wieder die unterschiedlichen Ergebnisse, wie man sie von den Hochrechnungen kennt: Bei ARD Steinbrück leicht vorne, beim ZDF Merkel klare Siegerin. Als dann im ZDF auch noch mit Andrea Nahles und Hermann Gröhe über Sieger und Verlierer im Duell geredet wird, schalte ich ab. Nein, auch nicht hinüber zu Jauch, wo Stoiber und Steinmeier sitzen und was die zu sagen haben werden, ebenso den Unterhaltungs- und Überraschungswert von einem grauen Novembermorgen hat. Zum "Glück" ist auch noch Paul Breitner geladen. Bei der Menge an Fußballmetaphern im Wahlkampf und in der politischen Rhetorik wie auch Berichterstattung sicherlich folgerichtig (bin auch nicht frei davon, siehe unten).

Die Internetportale schmeißen mit Kommentaren und Live-Tickern um sich. In den Kommentaren darunter wird widersprochen, ganz gleichgültig welcher Tenor der schnellstmöglich herausgestolperte Artikel (ja ich weiß ich tue das auch gerade) auch haben mag. Zusammengefasst ergibt sich ein ganz arg spannendes Unentschieden in einem politischen Freundschaftsspiel, in dem es um nichts geht.

Der oder die einzelne bildet sich ohnehin ihr eigenes Urteil, möchte man meinen. Denn im Gewusel der medialen Hin-und-Hers und der Mal-so-und-mal-sos ist Meinungsbildung eine Nebelfahrt. Und so ist es doch erstaunlich, dass die BILD Steinbrück den "Sieg" zuspricht, wenn auch gleichzeitig ein unnachahmlicher BILD-Kommentar folgen muss: "Merkel ließ Steinbrücks Attacken lässig abPEERlen." Nun ja.

So schmerzlich es ist, insgesamt liefert BILD.de die interessantesten Erkenntnisse: Die Onlineleser unseres so verhassten Feindblattes scheinen doch positiv überrascht zu sein von Steinbrück, dort wird auch mächtig gegen Merkel gepoltert, dort in dem Blatt das Urban Priol stets "Hofberichtbestatter" nennt. Und: Jeder fünfte Kommentar endet mit den Worten "und deshalb wähle ich AfD". Das nun ist interessant! Eine neue Art von Wahlkampf? Sich in Foren einloggen und schreiben dass man eine bestimmte Partei wählt, und das so oft dass die Leute denken es wäre eine von vielen Leuten ernstgenommene Alternative? Perfide. Aber nicht dumm. Nur auf Kosten der "Dummen". Wie so vieles in diesem Land.

Was mir am Ende dieses medialen Overkills bleibt, den ich mir natürlich selbst angetan habe, ist der Eindruck des Duells selbst. Ich habe einen Steinbrück gesehen den ich weiterhin nicht wählen will, aber der zum ersten Mal den Eindruck machte, dass er diesen Job (Kanzler) wirklich machen will. Und ich habe gesehen dass ich ihn hunderttausendmal lieber als Kanzler hätte als unsere präsidiale Schlandkettenträgerin aus Worthülsistan. Aber das ist keine Kunst. Und es reicht auch nicht dafür die SPD zu wählen, längst, längst nicht. Aber seine Umfragewerte nach oben gehen zu sehen, würde mich trotzdem nicht belasten, im Gegenteil.

Bevor Frau Präsidentin Merkel uns allen noch einen schönen Abend wünschte und ich nach dem Brecheimer suchte, sagte sie etwas das sie als Grund für ihre Wiederwahl versteht: "Sie kennen mich." Aber genau das ist doch das Problem ...

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

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