Sieben auf einen Streich

US-Primaries Bernie Sanders hat die letzten sieben Vorwahlen klar gewonnen. Die Medien sehen seine Kampagne am Ende. Dafür räumen sie Ted Cruz Chancen gegen Trump ein. Es ist absurd

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Bernie Sanders in Phoenix, Arizona
Bernie Sanders in Phoenix, Arizona

Foto: Charlie Leight/Getty Images

"Wäre da nicht ein gewisser Milliardär aus Manhattan, Bernie Sanders' überraschende Stärke und Hillary Clintons relative Schwäche wären die politische Story des Jahres." - So schreibt es die Washington Post in einer ihrer seltenen Artikel, in denen Bernie Sanders nicht schlecht wegkommt. Wie wahr. Die mediale Übersättigung durch Donald Trump spielt klar Hillary Clinton in die Karten, dennoch ist die sträfliche Unterrepräsentierung Sanders' auch unabhängig von Polterkasper Trump ein offenkundiges Zeugnis für schlechte Pressearbeit.

Ob Absicht oder nicht, ist sicher von Fall zu Fall zu prüfen, dass Sanders und gerade auch sein überwältigender Erfolg gerade bei jungen Leuten sowohl für das politische als auch für das mediale Establishment eine Gefahr darstellt, ist allerdings eindeutig. Die jungen, alternativen Medien wie Mother Jones, The Raw Story oder The Young Turks geben sich enthusiastisch Mühe, die mediale Stummschaltung Sanders' durch die etablierten Medien aufzuzeigen und gleichzeitig Hillarys Doppelzüngigkeit und ihre klare Bevorzugung durch die demokratische Parteiführung zu entlarven. Noch ist es ein ungleicher Kampf gegen Windmühlen, doch Sanders' jüngste Erfolge sind unter diesen Vorzeichen geradezu - und dieses Wort gebraucht er ja selbst - revolutionär.

Sieben der letzten acht Primarys hat Sanders nun für sich entscheiden können, zuletzt gestern in Wisconsin, wo er Hillary mit 13 Prozentpunkten Vorsprung schlagen konnte, ein vergleichbar geringer Vorsprung verglichen mit den Ergebnissen in Alaska oder Hawaii, wo er beinahe 80% der Stimmen sammeln konnte. Clinton hat bisher in 18 Staaten gewonnen, Sanders in 15. Zählt man die Superdelegierten nicht mit, so hat Clinton auch nur noch etwa 20% Delegiertenvorsprung. Kontroversen um ihre hochbezahlten Reden vor Wall-Street-Bankern wie Goldman-Sachs und aktuelle FBI-Ermittlungen gegen sie, Sanders' Aufholjagd und ihre deutlich anzumerkende Dünnhäutigkeit weisen darauf hin, dass das Clinton-Camp nervös geworden ist. Selbst wenn sie die benötigte Delegiertenzahl erreichen sollte, ihre Politikmarke hat eine klare gelbe Karte bekommen. Das ist sowohl auf demokratischer wie auch auf republikanischer Seite ohne Zweifel.

Trumps Zenith scheint derweil überschritten, Ted Cruz hat die Aufholjagd begonnen. Zu beneiden ist die GOP nicht. Sie versucht, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Ihr Zustand ist noch zerrissener und desaströser als der der Demokraten. Dass jedoch Ted Cruz größere Chancen zugerechnet werden, Trump zu schlagen, als Bernie, Hillary zu schlagen, ist ebenso absurd, wie vorhersehbar. Trumps Vorsprung vor Cruz ist weit größer als der Clintons vor Sanders, aber die Establishmentpresse hat eben ihr ganz eigenes Narrativ.

Zuletzt präsentierte die New York Times eine geradezu erstaunliche Argumentation: Hillary Clinton hatte im Austausch mit einer Greenpeace-Aktivistin, die sie fragte warum sie sich immernoch von der Öl- und Gasindustrie mitfinanzieren lasse, die Contenance verloren und die Aktivistin angeblafft, dass sie "die Lügen des Sanders-Lagers leid sei". Die Greenpeace-Frau war zwar kein Mitglied des Sanders-Teams, sondern im Sinne von Greenpeace für Umweltschutz unterwegs, aber Sanders' Kampagne wirft Hillary durchaus ab und an die Verbandelung der Clintons mit den fossilen Energieerzeugern vor. Wie sind die Fakten? Direkt erhielt Clinton "nur" etwas über 300.000 Dollar von Öl- und Gaslobbyisten (Ted Cruz lag im Bereich von 2 Millionen), mit SuperPAC-Zuwendungen und dergleichen kommt am Ende jedoch eine Summe um über 4 Millionen US-Dollar heraus, die direkt und indirekt von der Öl- und Gasindustrie an Clinton geflossen sind. Und hier wird es interessant: Die New York Times bestätigt diese Zahl, hält die Millionen an das SuperPAC allerdings für irrelevant, da rein rechtlich die Kandidaten nicht im direkten Kontakt mit ihren SuperPACs stehen dürfen. Dass das schlichtweg eine bewusst naive Lesart des Verhältnisses zwischen SuperPACs und Kandidaten ist, ist das eine. Dass die NYT daraus schlussfolgert dass das Sanders-Team tatsächlich gelogen habe (sie vergab dazu "3 Pinnochios von 4 möglichen"), ist schlichtweg skandalös.

Und einen Streit um einen TV-Debattentermin in New York stellt die Washington Post so dar als habe sich das Sanders-Lager quergestellt, obwohl das Clinton-Lager zunächst sich gegen eine Debatte verweigerte "wenn Sanders seinen Tonfall nicht ändere" (Sanders ist der Kandidat auf beiden Seiten mit den allerwenigsten persönlichen Angriffen), später einen Termin während eines Fußballspiels vorschlug und am Ende Sanders dazu zwingen konnte, eine seiner Rallyes zu verschieben um den Debattentermin wahrzunehmen. "Bernie verliert seine Kissenschlacht gegen Hillary" titelte die New York Times. Ein Schelm, der hier Böses vermutet.

Dass die stiefmütterliche bis klar ablehnende Behandlung Sanders' durch die etablierten Medien mittlerweile durchaus vielen Menschen in den USA bekannt ist, liegt an den alternativen Medien, sowie den Satirikern wie Bill Maher, Stephen Colbert und Trevor Noah. Selbst die Late Night Game Show "@midnight" inszenierte eine brüllend komische Fake-TV-Debatte, nicht zwischen einem Trumpimitator und einer Clintonimitatorin, sondern zwischen einem Trumpimitator und einem Sandersimitator, der in seinem Abschlussstatement noch eine Nachricht an die Medien hatte: "I'm running for president. You can put me on TV from time to time."

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Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

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