So war das Hollywood-Jahr 2017

Kino Bessere Blockbuster, aber noch weniger neue Ideen außerhalb von Franchises. Das Kinojahr 2017, beschränkt auf Hollywood (mit einer Ausnahme)

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So war das Hollywood-Jahr 2017

Foto: decafinata/Flickr (CC BY-SA 2.0)

Nach einem eher durchwachsenen Kinojahr 2016 hat sich Hollywood im vergangenen Jahr etwas berappelt und vergleichsweise ordentlich abgeliefert. Die Konkurrenz durch die neuen „alternativen Studios“ Netflix und Amazon haben ihre Wirkung gezeigt, nicht nur durch ein großartiges TV-Serienjahr, als auch durch selbstproduzierte Kinofilme wie Okja und Bright. 2018 wird Netflix noch eins draufsetzen und mit „The Irishman“ Martin Scorseses neuestes Werk mit Robert DeNiro, Al Pacino und Joe Pesci sein prestigeprächtigstes Projekt seit den 90er-Jahren herausbringen. Dass Netflix mit Serien wie „Stranger Things“, „The Crown“, „The Handmaid's Tale“, „Ozark“, „Star Trek: Discovery“, „Black Mirror“, „The Punisher“, „The OA“ und vielen mehr seinen Ruf als derzeit bester Produktionsort für serielles TV-Entertainment auch im vergangenen Jahr wieder stark untermauert hat, ist ohnehin unumstritten und setzt damit die direkte Konkurrenz Amazon Prime durchaus unter Druck.

Doch was an Originalideen und Kreativität in TV-Serien investiert wird, davor scheut Kino-Hollywood mehr denn je zurück. Dieses Jahr gab es in den weltweiten Top 15 der erfolgreichsten Filme keinen einzigen, der keine Fortsetzung, kein Remake oder keine Verfilmung eines medial bereits in anderer Form vorhandenen Stoffes war. Erst auf Platz 16 findet sich der Pixar-Film „Coco“, der zwar starke Parallelen zu einem anderen Animationsfilm („The Book of Life“) hat, aber offiziell eine eigenständige, neue Geschichte erzählt. Doch die Fortsetzungen und Franchise-Einträge dieses Jahr sind durch die Bank solide mit wenigen wirklichen Enttäuschungen. Zwar ist „Star Wars: The Last Jedi“ unter Hardcore-Fans umstritten aufgrund einiger unerwarteter Wendungen und Charakterentwicklungen, doch als Film ist „The Last Jedi“ ein kompetenter, in Teilen sogar grandioser Schritt in die richtige Richtung für ein Franchise, das sich auszuleiern droht. Die drei Filme der Marvel-Studios („Guardians of the Galaxy Vol. 2“, „Spider-Man: Homecoming“ und „Thor: Ragnarok“) sind zwar alle recht leichtfüßig-komödiantisch ausgefallen und dadurch sehr schnell verdaut, doch sie unterhalten bestens. Mit „Wonder Woman“ ist dem konkurrierenden DC-Studio erstmals ein wirklich runder Film gelungen und Fox liefert mit „Logan“ den mit Abstand besten Film der X-Men-Reihe ab, der sogar Chancen auf Oscar-Nominierungen haben sollte, ebenso wie die phänomenale Fortsetzung des Science-Fiction-Kultfilms „Blade Runner“ von Denis Villeneuve, der es geschafft hat, einen besseren Film als das Original zu inszenieren. Die „Planet der Affen“-Reihe schließt ihre Caesar-Trilogie mit „War For The Planet Of The Apes“ würdig ab, auch wenn man sich ernsthaft fragen muss, warum Michael Giacchino als der neue John Williams gehandelt wird. Sowohl für „Rogue One: A Star Wars Story“ (2016) als auch „War For The Planet Of The Apes“ hat Giacchino teilweise regelrecht daneben gelegen. Auch seine Star-Trek-Titelmelodie für die letzten drei Filme war die schwächste der kompletten Kinoreihe der Science-Fiction-Reihe. Aber ich schweife ab.

Klar gibt es auch katastrophale Fehlschläge und Cashgrabs: Der fünfte Teil der „Pirates“-Reihe mit Johnny Depp ist nicht viel mehr als eine Übung in halbgaren Special Effects, ebenso wie der fünfte Teil der Transformers-Reihe, die ohnehin als audiovisuelle Körperverletzung verboten sein sollte.

Ein richtig gutes Jahr hingegen hatte – weiter gefasst – das Horror-Genre. Mit „Split“, dem triumphalen Comeback von M. Night Shyamalan, dem Remake des Stephen-King-Klassikers „IT“, dem Psychothriller „It Comes At Night“, der filmischen Allegorie „Mother!“ von Darren Aronofski, dem phantastischen Regiedebut von Jordan Peele, „Get Out“, einer weiteren sehr gelungenen Stephen-King-Verfilmung „Gerald's Game“, dem französischen Coming-Of-Age-Kannibalenfilm „Raw (Grave)“ und einigen anderen ist 2017 das beste Jahr für Horror seit langem, interessanterweise zum gleichen Zeitpunkt wie das erste Jahr der Trump-Präsidentschaft.

Etwas aufmerksamer suchen muss man hingegen nach den kleineren Dramen, den Indieperlen, die dieses Jahr in den USA beinahe alle zur Award Season, also im November und Dezember herauskamen, weswegen die meisten davon in Deutschland noch nicht einmal angelaufen sind. Hochgepriesene Dramen wie „Call Me By Your Name“, „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“, „The Disaster Artist“, „Darkest Hour“ oder „The Shape of Water“ können hier demnach leider noch nicht besprochen werden. Doch wenn man etwas genauer sucht, findet man dennoch ein paar Perlen, wie „Wind River“, „I Don't Feel at Home in This World Anymore“, „Super Dark Times“ und besonders „Colossal“ sind kleinere Filme mit fantastischen Schauspielern und hochemotionalen Momenten.

Doch kommen wir zu meinen Top 10 des Jahres 2017. Es ist ein etwas merkwürdige Liste, eben weil viele der presiverdächtigen Dramen hierzulande noch nicht gelaufen sind und daher in der Liste fehlen. Ich nehme jetzt einfach mal an, dass „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ von „In Bruges/Brügge sehen und sterben“-Regisseur Martin McDonagh, „The Killing of a Sacred Deer“ von Giorgos Lanthimos („The Lobster“) und „The Shape of Water“ von Guillermo del Toro ihren Weg auf meine Liste finden würden, hätte ich die Gelegenheit gehabt, sie schon zu sehen. But here we go …

10. „Super Dark Times“
Regie: Kevin Phillips
mit Charlie Tahan und Owen Campbell

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Ein hochspannendes Coming-Of-Age-Drama um die Nachwirkungen eines tödlichen Unfalls auf eine Gruppe Jugendlicher. Wie mein Geheimtipp des Jahres 2015, „Cop Car“, beginnt der Film mit mehr als einer Prise entwaffnenden Humors, bis einem jegliches Lachen im Hals stecken bleibt.

9. „Alien: Covenant“
Regie: Ridley Scott
mit Katherine Waterston, Michael Fassbender, Danny McBride

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Extrem umstritten und ein absoluter Flop an den Kinokassen, und doch ein phantastischer Eintrag in das Alien-Universum, besonders in Kombination mit dem ambitionierten, aber etwas hölzernen „Prometheus“. Eine Meditation über Götter und ihre Schöpfungen. Mit fiesen Monstern und Raumschiffen. Was will man mehr?

8. „It Comes At Night“
Regie: Trey Edward Shults
mit Joel Edgerton, Carmen Ejogo, Kevin Harrison Jr.

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Was völlig unsinniger Weise als Horrorfilm vermarktet wurde mit einem Titel, der darauf schließen lässt dass da nachts etwas kommt – was im Film jedoch gar nicht passiert – ist demnach ein polarisierender Film. Lässt man jedoch die Erwartungen weg, die durch den Trailer und den Titel ein tatsächlich völlig verkehrtes Bild abgeben, wird man belohnt mit einer erschütternd realistischen Konfrontation einer Familie mit ihrer eigenen Angst in einer unspezifizierten postapokalyptischen Situation. Das Finale des Films ist niederschmetternder als jede „Black Mirror“-Episode.

7. „Split“
Regie: M. Night Shyamalan
mit James McAvoy, Anya Taylor-Joy, Betty Buckley

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Eine Tour-de-Force für James McAvoy, der einen psychiatrischen Patienten spielt, der unter einer multiplen Persönlichkeitsspaltung leidet. 23 verschiedene Charaktere schlummern in ihm und eine 24ste ist dabei, zu entstehen. Nach „The Visit“, einem Found-Footage-Minibudget-Film mit dem sich Shyamalan ein bisschen vom Ballast der Lächerlichkeit befreien konnte, in die ihn seine letzten paar Filme (besonders „The Happening“ und „The Last Airbender“) manövriert hatten, zeigt „Split“, dass der Regisseur von solch Meisterwerken wie „The Sixth Sense“, „Unbreakable“ und – ja, ich meine das ernst – „The Village“ seinen Groove wiedergefunden hat. Und nach „The Witch“ und diesem Film ist klar, dass Anya Taylor-Joy eine große Karriere vor sich hat.

6. „Raw (Grave)“
Regie: Julia Ducournau
mit Garance Marillier, Ella Rumpf, Rabah Nait Oufella

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Okay, ich gebe zu, das ist kein Hollywood-Film, da er aber in den USA auch durchaus erfolgreich lief, lasse ich ihn gelten, denn er ist zu gut um weggelassen zu werden. Eine junge Frau aus einer Veganer-Familie geht an eine Tiermedizin-Hochschule und muss bei einem Initiationsritual rohes Fleisch essen. Mehr sollte man vielleicht gar nicht sagen, außer dass diese blutige Coming-Of-Age-Geschichte perfekt inszeniert ist und man den Blick nicht abwenden kann vom Spiel der faszinierenden Garance Marillier, auch wenn man wirklich nicht alles mit ansehen will, was in diesem Film passiert.

5. „Dunkirk“
Regie: Christopher Nolan
mit Kenneth Branagh, Cillian Murphy, Tom Hardy

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Nolans erster Kriegsfilm schildert die Rettungsaktion von Dünkirchen im zweiten Weltkrieg auf drei narrativen Ebenen, zu Lande, zu Wasser und in der Luft, und das auf eine Art und Weise die man – ja, es klingt abgedroschen – so noch nie gesehen hat, gesehen und gehört. Wenn die deutschen Sturzkampfbomber mit ihren eingebauten Sirenen auf die Soldaten am Strand stürzen, wenn sich Tom Hardy in der Luft Gefechte mit ihnen liefert, wenn eine Gruppe Soldaten in einem gestrandeten Boot eingesperrt sind, weil ein paar deutsche Soldaten am Strand Schießübungen auf das Boot machen, dann ist man so mitten drin im Geschehen und im Horror der Todesangst, dass selbst Spielbergs „Saving Private Ryan“ sich warm anziehen kann. Und die „Musik“ die Hans Zimmer hier beisteuert, ist schlicht brilliant.

4. „Logan“
Regie: James Mangold
mit Hugh Jackman, Patrick Stewart, Dafne Keen

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Ich sage es hier und jetzt: Der beste Superheldenfilm aller Zeiten. Ja, „The Dark Night“ ist hervorragend und die Avengers machen eine Menge Laune, aber „Logan“ ist einfach besser. Ein Western mit abgehalfterten, kranken, erledigten ehemaligen Idolen, die ihre letzten Kräfte sammeln um sicherzustellen, dass ihnen eine neue Generation nachfolgen wird. Hugh Jackmans Wolverine humpelt, säuft, blutet und brüllt, Patrick Stewarts Professor X leidet an Demenz und hat Anfälle, die durch seine psychokinetischen Fähigkeiten tödlich für sein unmittelbares Umfeld ausgehen können – es ist herzzerreißend, die einstigen Superhelden der X-Men-Serie zugrunde gehen zu sehen, und sowohl Jackman als auch Stewart geben ihre besten Auftritte 17 Jahre nachdem sie im ersten X-Men-Film zusammen die Kinolandschaft nachhaltig verändert haben. Ein Abgang mit Würde und der richtigen Portion Pathos. Und Blut. Viel Blut. Was für ein Abschluss.

3. „Colossal“
Regie: Nacho Vigalondo
mit Anne Hathaway, Jason Sudeikis, Dan Stevens

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Eine junge Frau, die dem Alkohol sehr zugeneigt ist, wird von ihrem Freund verlassen und kehrt vorübergehend zurück in ihren Heimatort, wo sie sich mit einem alten Schulfreund trifft. Währenddessen taucht in Seoul, Südkorea, ein riesiges Kaiju-Monster auf. Mehr sollte man erst gar nicht erzählen über diesen überaus merkwürdigen Film, der wie eine Komödie beginnt und dann ein paar Schwenks in ganz andere Genres macht, auf die man selbst mit diesem kleinen Teaser nicht vorbereitet ist. Anne Hathaway ist grandios als zynische Alkoholikerin, die auf eine heftige Probe gestellt wird. Die Prämisse klingt erstmal balla balla, aber sie funktioniert bis zum Schluss.

2. „Mother!“
Regie: Darren Aronofski
mit Jennifer Lawrence, Javier Bardem, Ed Harris

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Ich mag ja Filme bei denen man nur da sitzt und sich fragt „Was zur Hölle...?“. Denis Villeneuves „Enemy“ ist so ein Film. Und Shane Carruths „Upstream Color“. Darren Aronofskis „Mother!“ ist ein Film, der keine reale Geschichte erzählt. Zu Beginn wirkt alles nur ein bisschen merkwürdig, jedoch spätestens im dritten Akt wird es hier so abgefahren, dass man entweder den Kinosaal wütend verlässt oder – wie ich – ein breites, leicht wahnsinniges Grinsen bekommt. Jennifer Lawrence ist omnipräsent in permanenten Großaufnahmen und ist der Anker in diesem Film, in dem immer durchgeknalltere Sachen passieren, die später irgendwann sogar Sinn ergeben, wenn man sein Gehirn ein bisschen Freiraum außerhalb normaler Narrative gibt. Ein wahnsinnig unangenehmer Film. Und klar polarisierend. I loved it.

1. „Blade Runner 2049“
Regie: Denis Villeneuve
mit Ryan Gosling, Harrison Ford, Ana de Armas

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Es gibt derzeit eine Menge Fortsetzungen, die sich auf Filme beziehen die mehr als 10 Jahre alt sind. Die meisten davon scheitern spektakulär, besonders die völlig missratenen Comedy-Sequels „Zoolander 2“ und „Dumb and Dumber To“. „Star Wars: The Force Awakens“ schaffte den Spagat ziemlich gut, doch die beste Fortsetzung nach langer Zeit ist Denis Villeneuves „Blade Runner 2049“. Für mich persönlich übertrifft dieser Film sogar das Original. Als Fan von Villeneuve („Prisoners“, „Sicario“, „Arrival“) war ich ohnehin guter Hoffnung, und ich wurde nicht enttäuscht. Die Story ist – bis auf ein paar Kleinigkeiten – klever und perfekt inszeniert, die Schauspieler bringen 100% (Harrison Ford war bestimmt seit 25 Jahren nicht mehr so gut), die Visuals und insgesamt, was die Kamera von Roger Deakins uns für Bilder präsentiert ist schlichtweg atemberaubend. So wie „Mad Max: Fury Road“ oder „Interstellar“ oder „Gravity“, „Blade Runner 2049“ ist das Kino-Erlebnis des Jahres und sollte wirklich auf der größtmöglichen Leinwand genossen werden.

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Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

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