Startschuss für die "Antischule"

Bildung 2014 Vor einiger Zeit entstand hier die Idee zu einer Ergänzung zum klassischen Schulsystem, einer lebensnaheren Art "Antischule". Ein Versuch der kreativen Bündelung.

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In vielen Diskussionen sowohl im „wirklichen Leben“ als auch im virtuellen Forums- und Community-Dschungel komme ich immer wieder auf das Thema Schule, das Thema Bildung, das so herzzerreißend stiefmütterlich behandelt wird in Deutschland und anderswo. Die Problematik des fortwährenden Frontalunterrichts, der großen Klassen, des realitätsfernen Lehrstoffs, der zu spezialisierten Lehrkräfte ist vielen bekannt und schmerzlich bewusst. Als ich in der Kollegstufe auf einen Deutschlehrer traf, über den uns von Schulkameraden, die ihn in der Unterstufe erlebt hatten, Horrorgeschichten erzählt wurden, gingen mir erstmals die Augen auf, wie Unterricht auch gehen kann. Herr Friedel war ein eigenartig altmodisch wirkender Mann, der immer wieder sehr spielerisch mit seiner Stimme und der Aussprache von bestimmten Wörtern umging, der es schaffte, den Deutsch- und Geschichtsunterricht derart mit Anekdoten und Feinheiten anzureichern, dass wir ihn recht bald in unser kollektives Herz geschlossen hatten. Nicht herzlich, denn er war ein relativ reservierter Mann, aber sagen wir „intellektuell stimulierend“. Eine für uns neue Erfahrung in einer Schullaufbahn die von Informationen herunterrasselnden armen Säuen geprägt war, die sich sklavisch an einen stumpfsinnigen Lehrplan zu halten hatten und darüber hinaus kaum etwas bieten konnten außer die gelegentliche Zielscheibe für Spott.

Herr Friedel nutzte die Gelegenheit, in unserem Grundkurs Deutsch eine Gruppe Schüler beisammen zu haben, die mit seiner Art zu unterrichten einverstanden waren und ihn komplett respektierten, um den Frontalunterricht abzuschaffen. Er probierte immer wieder neues aus, Stuhlkreis mit jedes mal anderer Sitzordnung, Anfangsrunden darüber wie es wem grad so ginge, und dann eben gemeinschaftliches Erarbeiten der Themen die nur noch lose an den Lehrplan geknüpft waren. Zusätzlich organisierte er jeden ersten Dienstag im Monat einen Diskussionsabend in der Schulbibliothek, zu der jeder kommen konnte. Auch ein Freund von mir, der woanders in einer Berufsschule seinen Abschluss machte, kam regelmäßig vorbei. Themen wurden vorgeschlagen und dann diskutiert, manchmal wurde ein Thema zuvor festgelegt und man sollte sich vorher Informationsmaterial besorgen um dann genauer darauf einzugehen. Es ging um Atomkraft, Krieg und Frieden, die BILD-Zeitung, etc. Es war der Höhepunkt meines Schullebens. Und viele meiner Grundkurs-Kameraden sahen es genauso.

In den Diskussionen um die Schule, gerade hier in der Freitags-Community entwickelte sich in einem meiner „Demokrapitalismus am Ende“-Threads der Gedanke, die Schulen anzureichern mit einem Zusatzkonzept: Der „Antischule“. Einem zunächst Wahl“fach“ an einem Nachmittag, zu dem ein Nicht-Lehrer ohne die üblichen schulischen Abläufe und Einschränkungen, sich mit den Schülern zusammensetzt und sie über die Welt da draußen reden, ohne Lernstoff, ohne Klausuren, ohne Zensuren. Eine Ergänzung zum Wissenstrichter der Systemschule, einen Alternativblick auf die Dinge mithilfe eines Menschen, der die Welt nicht aus der Sicht des Lehrplans oder seiner antrainierten pädagogischen Standards sieht, sondern aus einer persönlichen, auch um eben die persönliche Sicht auf die Welt in den Schülern zu wecken, sie zu ermutigen sich mit Themen zu beschäftigen außerhalb der pubertätsinhärenten Adoleszenstragödien, durch das Weglassen allen Schulischens.

Ausgereift ist der Gedanke selbstverständlich nicht. Und da kommt nun die Freitags-Familie ins Spiel: Am 7. November wird wieder einmal ein Ehemaligentreffen an meinem alten Gymnasium veranstaltet. Ich würde zu diesem Termin gerne gehen und dem jetzigen Schulleiter eine kleine Lektüre in die Hand drücken mit einem Vorschlag für einen Pilotversuch an seiner Schule. Gefüttert mit dem Input den ich mir von Euch hier erhoffe. Vielleicht können wir gemeinsam Ideen sammeln, die das Konzept Antischule anschaulich und interessant machen, die der Gedankenwolke Antischule ein Gesicht, eine Kontur verleihen, durch die verstanden wird, was damit bezweckt werden soll. Natürlich nicht in konfrontativer „das Schulsystem ist Mist und wir machen jetzt alles anders“-Manier, sondern bewusst als Ergänzung aus dem berüchtigten „wirklichen Leben“, so individuell das auch je sein mag, je nach dem wer der „Antilehrer“ ist.

Ich würde mich über rege Beteiligung sehr sehr freuen und ich bin mir sicher dass so manches Elternteil, so manchen Lehrer, vielleicht auch Schulleiter, an meiner Schule eine Idee die in der Freitags-Community entstand, neugierig machen wird.

Es wird viel davon gesprochen dass Diskussionen in Online-Foren nutzlos sind weil sie nur (elitäres) Gerede sind und nichts bewirken „da draußen“. Schauen wir doch mal, ob es vielleicht doch geht!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

Ernstchen

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