Süße Trennungsklänge

Coldplay Die stets neidvoll belächelte Ehe zwischen Chris Martin und Gwyneth Paltrow ist vorbei. Und heimlich habe ich mich deswegen auf bessere Musik von Coldplay gefreut.

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Süße Trennungsklänge

Foto: Jason Kempin / AFP / Getty Images

Coldplay aus der Sicht des Jahres 2014 ist für mich eine sehr zwiespältige Angelegenheit. Als sie 2000 mit dem sporadisch hymnischen, aber im großen und ganzen fast schon zynisch-düsteren Parachutes auf der Bildfläche erschienen, liebte ich sie abgöttisch. Ihre extrem reduzierten Arrangements waren das totale Gegenteil der überarrangierten Songs, die ich zu der Zeit mit meiner Frickel-Popband Stew Art (!) fabrizierte und die kaum Emotionen transportieren konnten. Einerseits weil ich noch ein sehr unerfahrener Leadsänger war, der sich mehr auf gerade Töne als auf Ausdruck konzentrierte. Und andererseits weil die siebenköpfige Band so viele musikalische Neigungen versuchte unter einen Hut zu bekommen, dass ein durchaus sympathisches, aber gänzlich unfokussiertes Potpourri herauskam, vollgestopft mit Breaks und Instrumentalsolos.

Coldplay waren anders. Besonders auf ihrem zweiten Album A Rush Of Blood To The Head (2002). Da wurden Achtelnoten gespielt. "Politik", der Opener, ein Donnerschlag aus Achtelnoten, keine instrumentalen Eskapaden, nur ein wuchtiges Hämmern, das immer wieder abrupt endete um kurz darauf zu Chris Martins Mantra "Open up your eeeeeeeeeyes!" wieder hereinzukrachen. Oder "In My Place", an sich wohl sowas wie ein Softrock-Song, bei dem man aber förmlich die Blasen an den Fingern von Drummer Will Champion aufplatzen hören konnte, so drisch der auf sein Schlagzeug ein.

Es war keine große Kunst, aber es war effektiv und schmerzhaft direkt, auch die minimalistischen Momente auf Parachutes, wie "We Never Change" oder das beinahe schon gruselige "Spies". Und sie trafen einen Nerv. Sie wurden zu Festival-Headlinern, sie spielten ihren unwahrscheinlichen Tränenrock in Stadien. Das ging nicht spurlos an ihnen vorrüber. Eine völlig überproduzierte dritte Platte ohne jedes subtile Moment (X&Y, 2005), eine Celebrity-Hochzeit des Sängers mit einer Hollywood-Schauspielerin inklusive der Geburt einer Tochter, deren Name Apple ein gefundenes Fressen bot, Coldplay zu veräppeln. Und dann kam die Unvermeidliche Verpflichtung eines Starproduzenten, der - natürlich - auch schon mit U2 gearbeitet hatte, der Band der der Sound und die Massentauglichkeit Coldplays immer mehr glich.

Viva La Vida (2007) war zwar ein weitaus besseres Album als X&Y mit einer Menge guter Songs, aber es führte auch die Stadion-Gröhl-Woooooohoooooos in den Coldplay-Sound ein, so wie völlig blödsinnige Ideen wie eine Extraversion von Lost! mit einem Rap von Jay-Z. Und es führte zur Totalcoldplayifizierung des Mainstreampop und zur Totalmainstreampopisierung Coldplays. Nicht zufällig kam auf Viva La Vida und der Schwester-EP Prospekt's March in drei verschiedenen Songs der Satz "now my feet won't touch the ground" vor. Coldplay wurden happy. Das konnte nicht gutgehen. Langsam verschwanden sie aus meinem Blickfeld in die Ferne. Als mit Mylo Xyloto im Jahr 2011 eine Happy-Go-Lucky-Stadiongröhl-Songsammlung konfettischmeißender Qualität als nächstes Album kam, war Coldplay für mich endgültig vorbei. Ein einsamer Song, "Us Against The World", glimmte noch in der Ferne als kleiner Hoffnungsschimmer, doch ich glaubte die zehn Jahre zuvor geliebte Band mit den wenigen Ideen aber der eigenartig schroff-hübschen, fast kauzigen Direktheit an die Rihannas, Justin Biebers und David Guettas dieser Welt verloren zu haben.

Und so sehr ich auch die "früher war alles besser"-Fraktion unter Fans egal welcher Band prinzipiell ablehne, ging es mir just mit Coldplay so, dass ich "die alten Coldplay" wieder zurück haben wollte. Die mit Akustikgitarren und einer wackeligen, erkälteten, tiefen Stimme von Chris Martin, der "We live in a beautiful world" einst auf dem Opener von Parachutes so gar nicht überzeugt ächzte. Trotz angefügtem "Yeah we do, yeah we do". Dass das passieren würde, war weder wahrscheinlich, noch wäre es wohl den Bandmitgliedern zu wünschen gewesen. Genauso wenig wie mein heimlicher, fieser Gedanke "also dass diese Band nochmal was gescheites zustande bringt, müsste sich schon die Gwyneth Paltrow vom Chris Martin trennen".

Kurz darauf passierte just das. Und ein neues Album mit dem klar düsteren Titel Ghost Stories wurde angekündigt. Ich fühlte mich fast ein bisschen schäbig. Was dann kam, war der unerwartete Teil: Ein Song namens "Midnight" und ein dazugehöriges Video. Rein elektronisch, kein Schlagzeug, keine Gitarre, kein echter Bass, ein paar nach Klavier anmutende Sprenkler, sonst rein synthetisch, und auch die Stimme Chris Martins mit mehrstimmigem Vocoder hinterlegt. Absolut nicht die "alten Coldplay", eher die "ganz neuen Coldplay". Und der Song versprühte eine ganz eigenartige mysteriöse Stimmung, umso mehr noch unterstützt von dem ebenso ungewöhnlichen Video.

Und ich war begeistert! Zum ersten Mal richtig begeistert über irgendetwas von Coldplay seit fast sieben Jahren. Als kurz darauf die Single "Magic" nachgeschoben wurde, flachte die Begeisterung wieder etwas ab, und als noch ein bisschen später mit "Sky Full Of Stars" eine lupenreine EDM-Club-Haudraufnummer hinterherkam, die ebenso das kochende Stadion evozierte wie vor drei Jahren das irgendwie fürchterliche "Every Teardrop Is A Waterfall", war ich sauer. Aber dann flatterte diese kleine Live-Aufnahme herein. Und ich beschloss auf das Album zu warten und ihm eine Chance zu geben:

Das war es wohl was ich meinte ... die Stimme zerbrechlich, das Arrangement simple, aber wunderschön und eine tiefe Traurigkeit über allem. "You've got to find yourself alone in this world" ...

Und jetzt sitze ich hier seit vier Stunden und höre das neue Album rauf und runter und wieder von vorne und wieder von vorne und hab es schon in mein Herz geschlossen. Ja, es ist sehr elektronisch und nein, es ist nicht im geringsten vergleichbar mit der frühen Phase dieser Band. Doch es fließt, es nimmt einen mit an einen Ort des Schmerzes und der Heilung, es nimmt kein Blatt, keine komplizierte Metapher vor den Mund. Es ist direkt und schaut dir tapfer ins Gesicht, und kann doch seine tiefe Traurigkeit nicht verbergen.

Nicht alles finde ich gelungen und wie es einige Rezensenten im Internet schon anmerkten, es wirkt wie ein Chris Martin Soloalbum. Jonny Bucklands Gitarre kommt nur sehr spärlich zum Einsatz und echte Drums kommen quasi gar nicht vor, Will Champion muss wohl entweder die ganze Zeit auf E-Drum-Pads geklopft haben oder er hatte bei der Produktion dieses Albums frei und die Beats wurden programmiert. Lediglich Bassist Guy Berryman bekommt eine prominente Rolle im Soundmix. Aber wenn das Gesamtbild stimmt, ist das auch zu verschmerzen. "Ink" überzeugt mich nicht mit seinem halbherzigen Versuch, ein bisschen positive Stimmung in den Laden zu bringen mit einem nun ja depressiven Text gepaart mit recht gewollt upbeat getrimmter Soundsituation. Und nun ja, auf "A Sky Full Of Stars" hätte ich durchaus auch verzichten können, auch wenn ich viel besser klarkomme mit dieser Haudraufnummer als mit den Stadion-Gröhlorgien "Every Teardrop Is A Waterfall" und "Paradise" auf Mylo Xyloto. Aber wenn Chris Martin bei "O" (bzw. "Fly On", wie der Song eigentlich heißt) allein am tröpfelnden Klavier sitzt und leise unbeholfene Metaphern der Hoffnung in den Himmel haucht, dann ist das so wunderbar greifbar menschlich, dass man fast die Multimillionenmaschine, das Mainstreamprodukt Coldplay vergessen hat, zumindest vorübergehend.

Für mich persönlich ein ganz wertvoller Moment. Denn ich habe es bisher immer vermeiden können, etwas oder jemanden den ich je geliebt habe, irgendwann zu hassen. Bei Coldplay war ich kurz davor. Das Unglück konnte abgewendet werden, mithilfe einer sicherlich fürchterlich schmerzlichen Trennung. Schon wieder so ein zwiespältiges Gefühl ... Gute Nacht!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

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