To vote or not to vote, that is the question?

Bundestagswahl. Unter denen, die nicht wollen dass es in Deutschland weitergeht wie bisher, mehren sich Gedanken, aus dem herkömmlichen Mitbestimmungsprozess auszusteigen.

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Die Journalistin und Autorin Andrea Hanna Hünniger, "bekennende Nichtwählerin", bringt bei Maybrit Illner am vergangenen Donnerstagabend ein interessantes Bild: Für ihre Generation sei das Angebot des politischen Establishments in Deutschland so, als würde man einer Veganerin vier Fleischgerichte vorsetzen und die könnte sich ja dann "für das glücklich gestorbene Rind" entscheiden. (Weitere durchaus bedenkenswerte Zitate von ihr hier.)

Es ist ein symptomatisches Bild, das sich auch mit vielen anderen Protagonisten des Nicht-Wählens deckt. Im schlimmsten Fall (Moritz Bleibtreu) heißt das dann man könne sich mit keiner der Parteien hundertprozentig (!) identifizieren, was natürlich schlicht und einfach dämlich ist, wie soll soetwas auch funktionieren bei 80 Millionen Menschen und nur 30 zur Wahl zugelassenen Parteien. Andere formulieren es so, dass es nicht mehr möglich sei zu bestimmen welches nun das geringste Übel sei. Wieder andere sehen das politische System als gescheitert an, als erpressend und erpressbar, als Handlanger der Wirtschaft, als Parade von Egomanen die mit dem Wohl des Volkes nichts am Hut haben (wollen).

Die Frustration ist vielerorts verständlich. Als Rot-Grün 1998 an die Macht kam, war Wechselstimmung im Land. Doch die Schröder-Fischer-Regierung war keine Offenbarung, vieles was diese Koalition in ihren sieben Jahren vollbracht hat, hat sie empfindlich Wähler und Parteigenossen gekostet. Als danach zunächst die große Koalition und dann Schwarz-Gelb dran kamen, veränderte sich an der Grundhaltung deutscher Entscheiderpolitik auch nichts. Je deutlicher das wurde, desto mehr Menschen empfanden die Politik als nicht zum Wohle des Volkes, wie es über dem Reichstag steht, sondern zum Wohle der Wirtschaft, der Banken und Finanzmärkte. Kurz gesagt, es gehe nicht um Menschen sondern um Geld.

Es ist nicht zu erwarten dass sich an diesem diffusen oder auch konkreten Gefühl eines Teiles der Bevölkerung sich etwas ändert wenn eine andere Regierung die Geschäfte für vier Jahre übernimmt. Es ist auch kaum zu erwarten dass eine andere Regierung tatsächlich fulminant eine andere Richtung einschägt. Zu sehr haben die letzten Jahre gezeigt, wie einig sich die Parteien doch zu sein scheinen wenn es um Themen geht, die der Normalbürger in seiner Komplexität nicht erfassen konnte.

Es ist jedoch möglich, dass sich kleine Dinge zum Guten verändern. Die großen Dinge sind schwerfällig, sie brauchen ihre Zeit in die Köpfe hinein. Die Welt, mindestens die westliche, ist mittlerweile so interdependent, dass Alleingänge immer schwieriger werden. Das deutsche Vorpreschen im Ausbau erneuerbarer Energien (dafür ein ausdrückliches Danke an die Grünen, die das zu Schröder-Zeiten ins Rollen gebracht haben, wie auch den ursprünglichen Atomausstieg V1.0) ist eine mittlerweile leider nicht mehr so rühmliche Ausnahme, denn auch hier wird gebremst und quergeschossen was das Zeug hält. Eine Veränderung in der Gesellschaft, im Kapitalismus, in der Demokratie kann nur dann funktionieren wenn sich die Überzeugung um den Erdball gespannt hat. Und dazu braucht es Zeit. Auch Zeit der Frustration. Aber da müssen wir wohl durch.

In der Zwischenzeit bleibt uns leider nur die Minimalmitbestimmung im offiziellen Prozess übrig. Und auch wenn Andrea Hanna Hünnigers Bild teils zutreffen mag, es lässt etwas aus: Der Veganer kann sich sehr wohl für ein Fleischgericht entscheiden, bei dem es vegane Beilagen gibt. Er wird daran nicht verhungern. Ein Leberkäs mit Spiegelei, Schinkennudeln mit Käse überbacken, das wäre ausgeschlossen. Aber es gibt auch irgendwo für diesen Veganer ein paar Karotten, Kartoffeln oder Erbsen auf einem dieser Teller. Und so wählen wir am Sonntag nicht das geringste Übel, sondern die Partei, bei denen ein Aspekt im Vordergrund der politischen Diskussion steht, der uns selbst wichtig ist. Ist es der Datenschutz, die Freiheit des Netzes und ein erwachsener Umgang mit Zukunftstechnologie, so wähle man die Piraten. Ist es der höchstmögliche Mindestlohn und keine weitere Beteiligung an Kriegen und Euro-Rettung, dann ist es die Linkspartei (merkwürdigerweise die Partei bei der es scheinbar am meisten um Geld geht), ist es die Energiewende und der Umweltschutz, so wähle man die Grünen.

An sich ist es ganz einfach. Nur haben sich viele zu jeder Partei, oft zu ihrer früheren Lieblingspartei, schwarze Verfehlungslisten gemacht, Dinge die die Partei für immer und ewig "unwählbar" machen. Wenn man das tut, landet man irgendwann automatisch bei den Nichtwählern. Aber dass deine Partei es dir nie ganz recht machen wird, das ist simple Mathematik. Es einzufordern ist Größenwahn. Also lasst uns wählen gehen! Es macht vielleicht nicht glücklich, aber wenn man nur tut was einen selbst glücklich macht, ist man ja auch ein ziemliches Ar******* ... ;)

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Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

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