Unterschätzt: Die Geister die sich schieden

Filmtipps #3 Teil drei meiner Filmreihe. Diesmal geht es um Filme, die zu Unrecht von der Kritik verschmäht wurden, empfohlen von Ernstchen, M.A.

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Der Schein trügt – "The Village" ist kein Horrorfilm sondern eine Sozialstudie und eine Liebesgeschichte
Der Schein trügt – "The Village" ist kein Horrorfilm sondern eine Sozialstudie und eine Liebesgeschichte

Foto: Screenshot, Youtube

Die Onlineportale Metacritic, IMDb und Rottentomatoes bieten dem geneigten Kinogänger und Filmaficionado unter anderem Zahlen. Zahlen zwischen 0 und 100, die die Bewertung gesammelter Kritiken zu den jeweiligen Filmen zusammenfassen in einer praktischen Skala. Analog dazu werden auch die Bewertungen von Besuchern des jeweiligen Portals gesammelt und ein Durchschnitt daraus errechnet (auch von 0-100 oder 0-10). In manchen Fällen gehen Kritikerbewertungen und Userbewertungen weit auseinander, in anderen liegen sie dicht beieinander.

Im Folgenden soll es um drei Filme gehen, die teils sowohl von Kritikern als auch Usern unterdurchschnittlich bis schlecht bewertet wurden, die ich jedoch für ausgezeichnet halte und denen ich eine größere Fangemeinde wünschen würde.

1. "The Million Dollar Hotel" (2000)
Directed by Wim Wenders
Starring Jeremy Davies, Milla Jovovich & Mel Gibson

Metacritic: 25 (critics) / 7,6 (user)
Rotten Tomatoes: 26 (critics) / 68 (user)
IMDb: 5,9 (user)

In einem heruntergekommenen Hotel in Los Angeles lebt ein Haufen psychisch labiler Quasi-Obdachloser, die ohne Krankenversicherung nicht in einer psychiatrischen Klinik aufgenommen werden konnten. Als eines Tages der verschmähte Sohn eines Medienmoguls vom Dach des Hotels in den Tod stürzt, wird Special Agent Skinner (Gibson) vom FBI geschickt um den Mord oder Selbstmord aufzuklären.

Das mag vielleicht die Rahmenhandlung sein, die eigentliche Geschichte jedoch ist die vom jungen "Idioten" Tom Tom (Davies) und seiner Liebe für Eloise (Jovovich), eine völlig unschuldige Liebe in einem Mikrokosmos beschädigter Individuen. Die typische FBI-Mordaufklärungs-Rahmenhandlung prallt auf eine Welt die komplett anders funktioniert und Skinner hat zunächst seine Mühe, sich in dem Kuddelmuddel durchgeknallter Verlierer der Gesellschaft zurechtzufinden. Wobei sich immer mehr herauskristallisiert, dass auch Skinner ein Freak ist, möglicherweise ein größerer als alle Insassen des Hotels.

Dieser Film ist laaaaaangsam und leise, er lebt von Atmosphäre und der eigenartigen Sympathie die man für den merkwürdigen Haufen empfindet, der durch die FBI-Ermittlungen zusammengeschweißt wird und sich zum ersten Mal wichtig und wahrgenommen fühlt. Jeremy Davies spielt den Protagonisten Tom Tom so charismatisch und so empathisch dass man ihm überallhin folgt. Seine Stimme ist meist nur ein Flüstern und sein Gebaren ist das eines Kindes, und doch ist er das emotionale und auch moralische Herz dieser Community. Es ist schwer zu beschreiben warum mich dieser Film so fasziniert, dass ich ihn regelmäßig wieder anschauen will. Wim Wenders und die sensationellen Schauspieler (Peter Stormare als ein alter Hippie der sich für das verleugnete fünfte Mitglied der Beatles hält, sieht aus und klingt wie ein heruntergekommener, besoffener John Lennon) in Kombination mit der Musik, die zum Teil von Bono und U2 beigesteuert wurde, erschaffen ein kleines, dreckiges, aber unglaublich charmantes Universum, das man irgendwie gerne einmal besuchen würde.

Die Kritiken sahen das zum überwiegenden Großteil anders, selbst Mel Gibson nannte den Film "boring as a dog's ass". Doch wie man hier auf den Filmportalen sieht, war das Publikum durchaus anderer Meinung. Der Unterschied bei Metacritic ist besonders eklatant und das ist sehr beruhigend.

2. "Tideland" (2005)
Directed by Terry Gilliam
Starring Jodelle Ferland, Brendan Fletcher & Jeff Bridges

Metacritic: 26 (critics) / 6,5 (users)
Rotten Tomatoes: 29 (critics) / 64 (users)
IMDb: 6,6 (users)

Die etwa 10jährige Jeliza-Rose (Ferland) lebt mit ihren Junkie-Eltern in einem heruntergekommenen Appartment. Als ihre Mutter an einer Überdosis stirbt, reist sie mit ihrem heroinsüchtigen Vater (Bridges) zur verlassenen Farm ihrer Großeltern, wo nach kurzer Zeit auch er an einer Überdosis verstirbt. Komplett auf sich allein gestellt in einer fast menschenleeren Gegend vertreibt sie den Schrecken und die Einsamkeit soweit es ihr möglich ist, indem sie mit ihren mitgebrachten Puppenköpfen in eine Phantasiewelt entflieht.

Dieser Film ist wahrlich ein ganz besonders merkwürdiger Film, in dem ganz abscheuliche Dinge passieren, besonders als sie eine Art Nachbarin kennenlernt, mit deren geistig behinderten Sohn sie sich angefreundet hat. Und doch hat der Film eine ganz eigene Schönheit, eine beinahe märchenhafte Schönheit. All die schrecklichen Dinge die dem jungen Mädchen passieren, prallen meist an ihrem eigenen, kindlichen Schutzschild ab, dem Schutzschild der Phantasie und des Geschichtenerzählens. Jodelle Ferland spielt das Mädchen furchtlos und stark, eine Überlebenskünstlerin im Inferno die staunen, lachen und vor Freude springen kann trotz der eigentlich desaströsen Situation.

Auf der DVD beginnt der Film mit einem einleitenden Statement von Terry Gilliam, in dem er darauf hinweist dass viele Menschen diesen Film überhaupt nicht mögen werden, und dass ihm das bewusst sei. Er ermutige aber allen Zuschauern, alles zu vergessen was sie als Erwachsene gelernt haben und den Film mit den Augen eines Kindes zu sehen. Hier ist dieses Intro:

Dass Terry Gilliam ein Meister seiner ganz eigenen Ästhetik ist, hat er bereits mit unzähligen Filmen wie Brazil, Time Bandits, 12 Monkeys oder Fear And Loathing In Las Vegas bewiesen. Tideland drehte Gilliam in einer Drehpause seines Geldprojektes The Brothers Grimm, ein schwacher Film auf den er selbst offenbar so wenig Lust hatte, dass er ihn für ein paar Monate unterbrach, um in der Zeit mit einem vergleichsweise winzigen Budget diesen Film zu drehen, völlig unbeeinträchtigt von den Erwartungen großer Studios. Doch das Ergebnis war so weit entfernt von Hollywood, dass es einige Jahre dauerte bis der Film tatsächlich in die Kinos kam. Und selbst dann nur in ganz wenigen Kinos. Sehr schade. Denn so gewöhnungsbedürftig seine Vision ist, so kompromisslos und atemberaubend schön ist sie gleichzeitig.

3. "The Village" (2004)
Directed by M. Night Shyamalan
Starring Bryce Dallas Howard, Joaquin Phoenix, Adrien Brody, Sigourney Weaver & William Hurt

Metacritic: 44 (critics) / 6,0 (users)
Rotten Tomatoes: 43 (critics) / 57 (users)
IMDb: 6,5 (users)

Im 19. Jahrhundert ist ein Dorf von der Außenwelt abgeschnitten, da in den Wäldern um das Dorf unheimliche Wesen hausen, die kein Betreten der Wälder dulden. Das Dorf lebt trotz der Bedrohung und Isolation aber friedlich und einigermaßen glücklich. Doch in der jüngeren Generation wächst die Neugier über die Außenwelt. Als ein junger Mann (Phoenix) beginnt, sich in die Wälder zu trauen, beantworten die Waldwesen diesen "Vertragsbruch" mit Schmierereien an Hauswänden und gehäuteten Tierkadavern. Eines Tages besteht jedoch medizinischer Notstand und die blinde Ivy Walker (Howard) will sich auf dem Weg durch die Wälder in die nächste Stadt begeben um dort Medizin zu besorgen.

Es fiel mir gerade relativ schwer, diese kurze Zusammenfassung zu schreiben, nicht nur weil man bei den ersten vier Filmen des mittlerweile komplett erfolg- und offenbar auch motivationslos gewordenen M. Night Shyamalan aufpassen muss nicht zu viel zu verraten. Soviel sei jedoch gesagt: Die überraschenden Wendungen, die seit The Sixth Sense ja Shyamalans Markenzeichen waren, sind in diesem Film zwar auch vorhanden, sie sind aber nicht wichtig.

Wichtig ist: Dies ist kein Horrorfilm. Einige der Trailer für The Village suggerierten das leider und das ist wohl auch der Grund dafür dass dieser Film schlecht bei Publikum und Kritikern ankam. Dies ist eine Sozialstudie, eine Liebesgeschichte, eine Coming-of-Age-Geschichte und die Geschichte einer unheimlich starken Frau, die sich gegen alle Widrigkeiten und Ängste stemmt und sich - blind - auf den Weg ins Unbekannte macht. Und sie ging mir so nahe, dass ich den Film gleich mehrmals im Kino ansehen musste.

Die Musik von James Newton Howard und die wunderbare Bildsprache von Roger Deakins (u.a. No Country For Old Men) erzeugen eine ganz besondere Art von Sehnsucht bei mir. Sehnsucht vielleicht nach einer weniger komplizierten Welt, einer unschuldigeren Welt. Dieser Film hat sich in meinem Herz festgesetzt und wird wohl immer in meiner ewigen Top10 bleiben. Das ist natürlich meine ganz persönliche Sache. Aber ich würde ihn trotzdem jederzeit jedem Menschen ans Herz legen, der Phantasie hat, ein großes Herz, Empathie und ... Sehnsucht. Nach etwas was man selbst nicht ausdrücken kann.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

Ernstchen

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