Seit dem Wahlkampf 2015/16 berichte ich nun regelmäßig über US-amerikanische Politik, gefüttert von einer seltsamen Mischung aus Faszination und Abscheu, Belustigung und Angst. Seit Trump im Amt ist, fällt es mir immer schwerer, punktuell besondere Ereignisse zu kommentieren, so viel passiert jeden Tag in diesem Land das mehr als jedes andere sich als Panoptikum für jegliche menschliche Neigung eignet. Vom absoluten moralischen Bankrott des Politikbusiness, besonders exemplarisch am Beispiel der Republikaner unter Trump verdichtet, bis zu ermutigenden, in Deutschland kaum vorstellbaren Graswurzelbewegungen wie dem Aufkeimen progressiver Politik von unten im Stil eines Bernie Sanders, der Justice Democrats und anderer Gruppierungen, oder der von Schülern aus Parkland initiierten Schusswaffenregulierungs-Bewegung bieten die USA eine Breite an Phänomenen, die derzeit bipolarer nicht sein könnten.
Dass Trump, nun etwas mehr als ein Jahr im Amt, bereits mehr als ein Dutzend seiner Top-Kabinettsmitglieder und -Funktionäre ausgetauscht hat, erinnert auf absurde Weise an den Catchphrase seiner Reality-TV-Show "The Apprentice": You're fired.
Ob nun vorgeblich freiwillig zurückgetreten oder öffentlich - z.B. per Tweet - entlassen, die "ethischen Säuberungen" in Trumps Weißen Haus, resultieren in einer sich immer mehr zum nepotistischen Hardliner-Gruselkabinett entwickelnden Führungsriege, zu der nun mit dem neuen Sicherheitsberater John Bolton der bisher härteste Kriegstreiber gestoßen ist. Bolton war der größte Befürworter des Irak-Krieges 2003, äußerte mehrfach seine Verachtung für die Vereinten Nationen und Internationales Recht und hat sich in letzter Zeit klar für einen - potentiell nuklearen - Erstschlag gegen Nordkorea ausgesprochen.
Gleichzeitig ist der Weggang von Außenminister Tillerson, Sicherheitsberater McMaster und auch Trumps Anwalt Dowd ein Hinweis darauf dass die Ratten das sinkende Schiff verlassen könnten, während Sonderermittler Muellers Schlinge sich fester zuzieht.
Noch traut sich Trump nicht, Mueller zu entlassen und prominente Republikaner wie Lindsay Graham sprechen sich bereits öffentlich dafür aus, über ein Amtsenthebungsverfahren nachzudenken, sollte Trump diesen Schritt tatsächlich wagen. Bei Trump kann man nie wissen, er hat oft genug bewiesen ein impulsiver Dickkopf ohne ausreichendes Verständnis für Konsequenzen zu sein. Und es wäre nicht das erste Mal dass ein Krieg begonnen würde um von einem Skandal abzulenken, daher ist die Nominierung des Kriegstreibers Bolton zu diesem Zeitpunkt wohl kaum Zufall.
Während jedoch die Nicht-Trumpwähler in den USA zusehends lauter ihre Sorgen und Ängste (bis hin zu regelrechter Panik) äußern, bleibt Trumps Basis ihrem Idol treu. 44% Zustimmung in der Bevölkerung hat der Präsident derzeit, das ist wenig verglichen mit den meisten seiner Amtsvorgänger, jedoch kaum höher oder niedriger als zu anderen Zeitpunkten seiner bisher 14 Monate im Amt. TV-Prediger huldigen dem "von Gott selbst erwählten" Messias, der die Diktatur der angeblich linken Medien und des politischen Establishments niederreißen soll, trotz Trumps nicht enden wollender Serie von Skandälchen, zuletzt die Geschichte seiner Affaire mit Pornodarstellerin Stormy Daniels, die bei demokratischen Politikern die Republikaner zu schäumend hasserfüllten Rücktrittsforderungen veranlasst hätten, während bei Trump die selbsternannten Hüter der christlichen Moral konsequent schweigen oder Ausreden erfinden. Dass Trump in der Zwischenzeit ausschließlich Erleichterungen für die reiche Oberschicht durchgeboxt hat und bis auf das Einreiseverbot für Menschen aus muslimischen Ländern und Steuersenkungen (hauptsächlich für Reiche und multinationale Konzerne) quasi keines seiner Wahlversprechen gehalten hat, scheint seine Wählerschaft ebenso nicht zu kümmern. Trumps "fake news"-Rhetorik hat das dreiste Lügen, das von den Republikanern und Fox News, Breitbart, Infowars etc. bereits vorher fleißig geübt wurde, salonfähig gemacht.
Zuletzt warf er Robert Mueller vor, sein Ermittlungs-Team bestünde nur aus Demokraten und wäre daher lediglich eine parteiische "Hexenjagd", wie er wiederholt in Großbuchstaben auf Twitter herauspolterte. Dabei ist Mueller selbst Republikaner, wie auch diverse andere Mitglieder seines Teams. Eine leicht zu falsifizierende Aussage also, doch Trumps Anhänger wurden so dazu erzogen, die Medien und deren Fact-Checking als Lügenpresse und Fake News abzutun, dass Trumps "alternative Fakten" sich in den Gehirnen der Trump-Wähler als "die echte Wahrheit" einbrennen.
All das bringt die Republikaner und all ihre ultrarechten Polterer allerdings auch dazu, Gegenwind wie von den Parkland-Schülern derart unverblümt und unbekümmert abzuwatschen ("Lesben-Skinhead!", "Alles Schauspieler!"), dass diese sich nur noch mehr aufgepeitscht fühlen und noch kompromissloser ihre Forderungen stellen und dabei die Mehrheit in der Bevölkerung hinter sich haben. Morgen findet der von den Schülern organisierte landesweite "March For Our Lives" statt, der gute Chancen hat, zur größten Demonstration in der Geschichte der USA zu werden und mit einem solchen Erfolg es auch zu schaffen, die vor der Waffenlobby durch die Bank stets kuschenden Gesetzgeber tatsächlich einmal unter richtigen Druck zu setzen.
Die Vereinigten Staaten sind polarisiert wie kaum je zuvor. Es ist derzeit alles denkbar: Dass Trumps Hardliner-Regime Kriege mit Nordkorea und dem Iran anzettelt. Dass Robert Muellers Ermittlungen Trump und seine engsten Vertrauten der unerlaubten finanziellen Geschäfte mit russischen (oder auch saudi-arabischen und israelischen) Oligarchen etc. überführt und es zu Neuwahlen kommt. Dass bei den Midterms im Herbst die Demokraten das Repräsentantenhaus oder sogar den Senat zurückerobern, Trumps Team dann zur "sitting duck" wird und Trumps Selbstsucht ihn in die Arme von demokratischen Gesetzgebern treibt. Alles ist möglich. Das ist einerseits erfreulich, andererseits furchteinflößend. Wir hier in Deutschland können kaum mehr als zuschauen und daraus lernen.
Kommentare 6
***** Eine Lageskizze, der im Grunde nichts hinzuzufügen ist. Und wo man im Grunde nicht weiß, was einen mehr besorgt machen soll: der Nero im Weißen Haus (über den zwischenzeitlich bis hinein in die Republikanische Partei Konsens darüber besteht, dass er meschugge ist) oder seine faktenresistente Wählerschaft in Heartland-Amerika.
Ich befürchte ebenfalls, dass dass auf einen klassischen Showdown zudriftet. Im schlimmsten Fall in Form eines Atomkriegs, im besseren zur Verschärfung der innenpolitischen Polarisierung bis hin zu einem vor-bürgerkriegsähnlichen Szenario. Ich denke, der letzte Zeitpunkt, in dem sich die beiden Amerikas – das reaktionäre und das tendenziell fortschrittliche – derart verfeindet gegenüber gestanden haben, dürfte so um 1850 gewesen sein. Wenn man zusätzlich dazu addiert, wie viel Knarren in dem Land zirkulieren, kann man sich fast ausrechnen, dass das kaum noch friedlich enden wird.
P. s.: Spiegel-Chef Klaus Brinkbäumer hat es in seinem neuen Buch Nachruf auf Amerika auf Amerika zwar etwas distinguierter formuliert. Wie das Wort »Nachruf« jedoch bereits impliziert, halten auch die Top-Liberalen von diesseits des Atlantiks die Situation für unheilbar verfahren.
Facebook lehrt: Wir werden alle hintergangen.
Zum Prinzip Facebook: wenn du schon nix taugst lass mich oder andere wenigstens aus dir Geld machen.
Das ist nicht verboten sondern in vielen Staats-Verfassungen verankert.
Prima Beitrag, der die innenpolitische Situation der US-Liberalen schoen breit darstellt und auch deutlich macht, dass Trump selbst von Republikanern inhaltlich kaum mehr gestuetzt wird. Er ist eben zumerfolgreichen brand geworden: the "DONALD".
Was daraus folgt ist im Grunde die einzige Frage, die am anderen Ufer der Teiche interessiert.
Hier, am pazifischen Teich, sind alle ueberzeugt, dass China den DONALD im "Griff" hat. Das halte ich auch fuer sehr wahrscheinlich. (Die Gruende lass ich jetzt mal weg.)
Am altlantische Ufer des Teichs ist die Sache wohl anders, weil Russland den "DONALD" derzeit als zahnlosen Angeber "vorfuehrt".
Konventionelle Kriege kann die US-Army derzeit gar nicht. Den Jungs fehlen die Leute&Waffen.
Atom-Krieg kann der Donald nicht ausloesen, ohne die USA zu zerstoeren.
Das wuerde nur den verbohrtesten Amaggedon-Evangelikalen passen. Doch DONALD ist von Israel affinen Kapitalisten umzingelt, die derzeit sehr gute Geschaefte machen (u.a.in Iran).
Das kann auch Bolten nicht aendern, selbst wenn er's wollte was ich bezweifle. (Gruende lass ich wieder weg).
Und Herr Muller ist als "Medien-Ereignis" nur brauchbar, solange seine "Ermittlungen" laufen. Der kann machen was er will, solange er keinen Bericht vorlegt.
DONALD ist ja schliesslich eine Serie, die braucht immer auch suspense.
Selbst wenn die Demokraten im Herbst den Kongress "erorbern", aendert das wenig. DONALD "regiert", wie schon Obama mit "Verfuegungen".
sog “konventonelle“ Kriege werden für die US-Streitkräfte derzeit mehr oder minder zuverlässig von Academi LLC abgewickelt.
Mit gleich einem Zusatznutzen: “das hatten wir garnicht bestellt“
In der Lagebeschreibung der heutigen USA fehlen meiner Ansicht nach die zunehmenden ökonomischen Gräben, die sich durch Trumps Steuerreform mittelfristig noch vertiefen werden. Dabei spielt es offenkundig keine Rolle, dass Trump selbst zur finanziellen Elite gehört und dass er in seinem Kabinett vorwiegend Milliardäre und Multimillionäre um sich sammelt, denn viel wichtiger als politische Inhalte ist die öffentliche Kommunikation, die den Gesetzen der Aufmerksamkeitsökonomie folgt. Und in der Tat sieht man, dass nicht nur us-amerikanische Medien, sondern zumindest die ganze westliche Welt über jedes Twitterstöckchen springt, das Trump tagtäglich hinhält. Und bei aller Kritik sieht man auch deutsche Konzernlenker, wie z.B. den Siemens-Boss, devot um Trumps Gunst buhlen ebenso wie Herrn Altmeier und die EU-Abgesandten, die um Verschonung vor Zöllen bitten.
Durch Pompeo und Bolton sehe ich nicht so sehr die Gefahr eines Krieges gegend Nordkorea als vielmehr die eines Krieges gegen den Iran, denn so könnte man die Allianz mit Israel und den Saudis stärken und gleichzeitig einen Verbündeten Russlands und Syriens schwächen oder am besten ausschalten. Und da in Kriegszeiten sowohl die Mainstreammedien als auch die Demokraten stets ihren nicht zu übertreffenden Patriotismus unter Beweis stellen, hätte Trump dann auch noch die Nation zumindest vorübergehend geeint.
Eine verantwortungsbewusste deutsche Bundesregierung könnte übrigens durchaus mehr tun als zuschauen und lernen. Sie könnte alle diplomatischen und ökonomischen Mittel nutzen, um sich der Kriegstreiberei entgegen zu stellen. Leider ist zur Zeit eine solche Bundesregierung nicht in Sicht.
Der Mann ist unberechenbar.