Vom Ernst, wichtig zu sein

Medienschau Ein flüchtiger Blick auf die Websites der gängigsten Nachrichten-Pressevertreter, gepaart mit einer unzulässigen Lust an pars-pro-toto, und fertig ist der Medienatlas D.

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Was treibt unsere Mainstream-Medien an? Profitgier? Politische Verstrickungen? Wirtschaftliche Verstrickungen? Oder doch der gute alte Journalismus mit dem Ziel das Volk zu informieren, aufzuklären, Hintergründe zu beleuchten, aufzudecken, ja anzuprangern? Als "Lügenpresse" zum Unwort des Jahres gewählt wurde, gab es durchaus kontroverse Diskussionen darüber, ob dieses Wort mit schmutziger Vergangenheit und durch Pegida auch schmutziger Gegenwart nicht vielleicht kontraproduktiv als Unwort sei, da seine Ernennung einer Reinwaschung der Presse gleichen könnte. Worüber man sich jedenfalls weniger Gedanken machen muss, sind tatsächliche Lügen in den Medien. Denn was wesentlich stärker ausgeprägt ist und weit mehr Konsequenz nach sich zieht, ist die Auswahl dessen was dem Leser präsentiert wird. Was sind die wichtigsten Nachrichten?

Ein aktueller Blick durch die geläufigen Nachrichtenportale im Internet am heutigen Samstag, den 2. Mai 2015, gibt ein wenig Aufschluss. Nichts davon ist sonderlich überraschend, es sich einmal mehr vor Augen zu halten, ist dennoch der Rede wert.

Der Spiegel titelt diese Woche mit dem BND-Skandal in der Printausgabe. Das Webportal bietet da herzlich wenig, erst unten im Politikressort unter ferner liefen. Der Boeing-Dreamliner ist Thema Nummer eins, ein deutscher Professor, der bei den schweren Erdbeben in Nepal ums Leben kam, und - natürlich - der königliche Nachwuchs. Die frischgebackene Prinzessin ist das Hauptthema bei BILD und Stern, nur bei der TAZ fehlt das Thema wohltuend gänzlich, was aber auch daran liegen mag, dass die taz.de-Seite nicht so minütlich aktualisiert wird wie die meisten anderen. Die Wahl im Vereinigten Königreich ist oft noch ein Thema, Fußball natürlich, und der Machtkampf bei Volkswagen. Wichtig - im Sinne von von höchster Informationspriorität - ist all das weniger. Der BND-Skandal und das Gerangel um TTIP wären zwei deutlich relevantere Themen, und doch müssen sie auf die billigen Plätze, wenn sie überhaupt erwähnt werden.

Und damit kommt die eigentlich vielsagendste Beobachtung: Position eins, der erste Aufreißer auf den Webportalen, ist grundverschieden und sagt womöglich viel mehr über das jeweilige Blatt aus als alles andere. Die TAZ beschäftigt sich mit der Polizeigewalt-Debatte in den USA und den aktuellen Ausschreitungen in Baltimore, passend zum gestrigen 1. Mai, der ja vielerorts in Deutschland als Kampf zwischen Linken und der Polizei simplifiziert wird. Der Stern bannert in einer journalistischen Umnachtung doch tatsächlich das royal baby als Position eins.

Die FAZ bietet einen wahren Augenöffner: Einen Kommentar zur angeblichen Hysterie um die Praktiken der Geheimdienste, in dem Jasper von Altenbockum (es gibt wirklich erstaunlich viele Adelstitel im deutschen Journalismus) sich recht verächtlich über die Menschen auslässt, die die Aushöhlung der Grundrechte durch den Überwachungsstaat als problematischer empfinden als die Bedrohungen durch Russland und den IS. In einem ähnlichen Manöver stellt sich die Süddeutsche auf Position eins hinter Sigmar Gabriels Pläne für einen "TTIP-Gerichtshof". Um 15:30 Uhr war der Aufhänger dann gänzlich verschwunden und tauchte nur noch unter "Leser lesen gerade" auf.

Was beim Thema TTIP insgesamt faszinierend ist, ist dass sowohl Politik als auch die Presse nicht akzeptieren will, dass die Bevölkerung TTIP komplett ablehnt. Es geht nicht darum, es transparenter zu gestalten, nein, es geht darum es nicht einzuführen! Selbst in den USA regt sich der Widerstand in der Bevölkerung gegen das parallele Trans-Pacific Partnership (TPP).

Auf der Startseite der WELT prangt ein etwas merkwürdiger Artikel über einen Araber, der zum Christentum konvertiert ist und jetzt auf der Flucht vor seiner Familie in Deutschland um Asyl sucht, aber abgelehnt wird. Die ZEIT wiederum startet mit einem Kommentar darüber wie sich die Politiker in Deutschland vor der Wahrheit drücken. (Danach kommt bald das Thema BND und außerdem ein Bericht über viele tote Zivilisten bei einem US-Angriff in Syrien. So sehr ich Joffe und Bittner verachte, die Zeit bleibt mir inhaltlich doch größtenteils sympathisch. Im Vergleich.)

Macht man diesen Kurzschluss mit, den ich hier ausprobiere, dann ergibt sich aus all diesen Beispiel ein folgendes Bild:

- Die TAZ positioniert sich gegen Staatsgewalt.
- Die FAZ stellt sich hinter die Geheimdienste und den Überwachungsstaat.
- BILD und Stern machen Pöbelbelustigung mit den Royals.
- Spiegel Online setzt auf ein eher willkürlich gewählt scheinendes Wirtschafts-/Technologiethema und verzichtet auf sein großes Printthema zum BND-Skandal.
- Die Süddeutsche stellt sich hinter Gabriel und somit auch hinter das TTIP.
- Die WELT schreitet voran mit der Angstmache vor "den Arabern".
- Die ZEIT befasst sich mit der politischen Scheu vor der Wahrheit.

Würde man jetzt fürchterlich polemisch werden, könnte man eine solche Zusammenfassung für den nicht ganz so mündigen Bürger verfassen: Wenn ihr Unterhaltung wollt, Ablenkung vom schnöden Leben, dann lest BILD oder Stern. Wenn ihr Ausländer hasst, dann lest die WELT. Wenn ihr reich seid und Konzerne leitet, lest Süddeutsche und FAZ. Wenn ihr euch halbwegs interessiert zeigen wollt an den Zusammenhängen in der Welt, dann lest die Zeit, notfalls noch den Spiegel und wenn ihr außerdem morgens beim aufwachen dran denkt dass ihr links seid, dann lest die TAZ.

Es ist keine ermutigende Bilanz unserer Mainstream-Presse. Aber es war ja auch nichts anderes zu erwarten. Worum geht es heute auf Freitag.de? Der redaktionelle Teil beschäftigt sich mit Protestkultur und Nepal, die Community mit der BND-Affäre. Ist okay.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

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