Von hohen Rössern und Elfenbeintürmen

IntellekDuell Territorium, Lebensräume, Religionen? Vielleicht liegt ein Grundmotivator für menschliche Konflikte woanders: Im Kampf um die "intellektuelle Hoheit".

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Wenn ich in eine Unterhaltung gerate, in der es um philosophische Konzepte und Fragen geht, bleibt mir nichts übrig, als meinen eigenen stark begrenzten, sagen wir mal vulgärphilosophischen Wort- und Wissensschatz anzuwenden. Ich habe weder Philosophie studiert, noch habe ich zahllose Winternachmittage im Sessel am Kamin damit verbracht, die entsprechenden Bücher zu lesen. Und doch fasziniert sie mich immer wieder, die Philosophie, ist sie doch wohl die ursprünglichste wissenschaftliche Disziplin, obwohl sie ja im Wortsinn klar abgegrenzt ist von den Wissenschaften. Die Liebe zur Weisheit, so wird Philosophie übersetzt.

Doch oft ist von Liebe und Weisheit wenig zu verspüren in philosophischen Diskussionen (ich meine das weit gefasst). Meist aus einem einfachen Grund: Eine Gruppe von Teilnehmern hält eine andere Gruppe von Teilnehmern für zu unwissend um mitreden zu können bzw. dürfen. „Philosophieren“ ist für mich über das Leben und die Welt nachzudenken und zu sprechen, über Zusammenhänge und über Sinnhaftigkeit. Die Werke der Philosophen dabei auswendig zu kennen, hilft insofern – neben einem tiefen Einblick in das worüber sich Menschen seit Jahrtausenden Gedanken gemacht haben und daraus Schlüsse zogen – dass man gewisse Grundkonzepte vereinfacht formulieren kann. Als ich einer befreundeten Philosophiedissertantin neulich meine Weltsicht schilderte, konnte sie mir ein Label dafür bieten: Der Jamessche Pragmatismus. Prima. Kann ich etwas mit anfangen.

Mein Leben erzählt mir, von beiden Seiten der Medaille, eine Geschichte von intellektuellem Überlegenheits- und Unterlegenheitsgestus. Im deutschen Schulsystem, das mit Sonder-, Haupt-, Realschule und Gymnasium quasi intellektuelle Klassen definiert und klar voneinander trennt: Was haben wir gelacht über das „Ihr scheiß Gymnasten!“ eines Hauptschülers. Wie sehr steckte doch unsere Überlegenheit, moralisch wie intellektuell, in diesem Ausruf sozialer Ohnmacht. Und vor noch nicht allzu langer Zeit, während die „Deutschen“ die „Dichter und Denker“ waren, waren die „Juden“ offenbar nur dazu zu gebrauchen, die Buchhaltung zu machen, weil die sich außer mit Zahlen mit nichts auskannten. Später kristallisierte sich dann das Konzept Arier vs. Untermenschen heraus, eine Zuspitzung eines latenten Grundphänomens menschlicher Kultur. Im Kolonialismus traf „die Zivilisation“ auf „die Wilden“, mehr Tier als Mensch, die man aufgrund ihres klar unterentwickelten Gehirns genauso wie Rinder und Pferde als Nutzvieh versklaven konnte. Und die Frauen? Ließ man nicht studieren. Sie sollten nicht das Wissen und damit die intellektuelle Stufe der Männer erreichen, damit diese weiter über ihnen thronen und walten konnten. Und auch im „Jahrhundert“ des islamischen Fundamentalismus fällt uns aufgeklärten Abendlandchristen zur Gewaltbereitschaft vieler Muslime nur ein, dass der Islam eben noch ein paar Jahrhunderte jünger und damit unreifer sei, und dessen Jünger dementsprechend ebenso.

Viel wird geredet darüber dass die Religionen verantwortlich seien für die meisten Konflikte auf der Welt, für die meisten Kriege und Morde. Dabei gilt auch hier das zugrundeliegende Prinzip der Überlegenheit: Die Anhänger einer Religion sind die „Erleuchteten“, die anderer Religionen sind die „Ungläubigen“, die im Selbstverständnis der Religion somit „Unwissenden“. Das unterstellte intellektuelle Gefälle zieht sich durch alle Aspekte der Zivilisation. Im Extremfall erzeugt es eine Art Exklusivclub, den Elfenbeinturm der "Wissenden", der "Verstehenden", die mit den „Nichtwissenden“, „Nichtverstehenden“, mit den Naiven, den Unbelesenen, den „bildungsfernen Schichten“ nichts zu tun haben wollen. Ich als „scheiß Gymnast“ und Geisteswissenschaft studiert habender stehe vermutlich offiziell auf der Seite der "Wissenden". Und doch weiß ich dass ich nichts weiß. Oftmals wird mir vorgeworfen, keine Haltung zu haben bei manchen Themen. Dazu sage ich nur: Das ist Jamesscher Pragmatismus. Und gleich klingt es besser, nicht wahr?

Ich wünsche mir, auch hier in der Freitags-Community, die hohen Rösser in die Freiheit zu entlassen und von den Elfenbeintürmen herunterzuklettern. Wir können alle voneinander lernen. Wenn wir offen sind.

Ich sollte vielleicht erwähnen, dass ich die Begriffe "intellektuell" und "Philosophie" hier sehr weit gefasst verwende, also falls jemand gleich eine Diskussion über diese Begriffe anfangen will, versucht sie doch so zu lesen dass es insgesamt einen Sinn ergibt, dann sind sie genau so gemeint.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

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