Wider das Establishment

US-Primaries Bernie Sanders und Donald Trump triumphieren in New Hampshire. Wegweisend ist das noch nicht, aber ein klares Signal

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Wider das Establishment

Bild: Scott Olson/Getty Images

Es ist nicht mehr von der Hand zu weisen: Die US-Bevölkerung hat das politische und wirtschaftliche Establishment satt. Bernie Sanders gewann gestern mit 21,6% Vorsprung vor Mrs. Establishment, Hillary Clinton. Bei den Republikanern zog Donald Trump, der selbstfinanzierte Quereinsteiger, seinen Mitbewerbern davon und ließ dabei auch die neue Establishment-Hoffnung Marco Rubio weit hinter sich zurück. So wenig der Ausgang von New Hampshire tongebend für den Rest der Vorwahlen ist, so klar ist dennoch das Signal, dass sich seit 2008, als Hillary Clinton in NH noch Barack Obama schlug, viel verändert hat im Land.

Die Zustimmungswerte des Kongresses landeten zwischenzeitlich im einstelligen Bereich, und ein selbsterklärter demokratischer Sozialist liegt nun Kopf an Kopf mit der vor einigen Monaten noch als gesetzt gegoltenen Clinton. Die mediale Übersättigung mit dem demagogischen Schreckgespenst Donald Trump täuscht nun schon seit Monaten in den USA sowie international darüber hinweg, dass der eigentliche Ruck, der durch die USA geht, kein rassistischer, rechtsradikaler ist, sondern ein linker.

Die überwältigende Mehrheit der jungen demokratischen Wähler wünscht sich Bernie Sanders als Kandidat, erst in der Altersklasse 65+ lag Hillary Clinton in New Hampshire vorne. Und die Tatsache, dass auch der republikanische Frontrunner Trump sich gegen den Einfluss von Geld und Wirtschaft auf die Politik ausspricht und sich nicht von SuperPACs finanzieren lässt, spricht Bände für einen immer größeren Bruch zwischen Bevölkerung und lobbyfinanzierter Politelite.

So gigantisch das Trump-Monster auch die Bildschirme und Titelseiten dominiert, so sehr die Presse Bernie Sanders zunächst ignorierte, dann belächelte und mittlerweile teilweise direkt attackiert, so klingt es doch auch stark nach den Worten Mahatma Gandhis: "First they ignore you, then they laugh at you, then they fight you, then you win."

Für die nächsten Primary-Staaten Nevada und South Carolina wird Hillary Clinton in Umfragen noch ein komfortabler zweistelliger Vorsprung vorhergesagt. Nach Sanders' vor ein paar Monaten noch undenkbaren Ergebnissen in Iowa und New Hampshire kann Clinton sich aber mitnichten mehr in Sicherheit wiegen. Wenn Bernie Sanders nicht das Geld ausgeht, hat er eine realistische Chance, seine Konkurrentin aus dem Rennen zu werfen, wie es einst schon Barack Obama schaffte. Sanders hätte dies dann allerdings trotz krassem Gegenwind aus der eigenen Partei und der Presse, ohne finanzielle Unterstützung der Großwirtschaft und Hochfinanz und mit einem Programm geschafft, das sich einigermaßen radikal gegen den Status Quo der amerikanischen Politik stellt. Es wäre eine Sensation, die noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wäre. Bernie Sanders kann noch auf seinen größten Trumpf hoffen: Die offizielle Unterstützung der Senatorin Elizabeth Warren, des inoffizielle Maskottchens der "progressive left" in der Demokratischen Partei.

Dass Trump als GOP-Kandidat gesetzt ist, erscheint wahrscheinlicher denn je, trotz seines Fehlstarts in Iowa. Dass er gegen Hillary oder Bernie in der Präsidentschaftswahl gewinnen würde, ist aber so gut wie ausgeschlossen. Eine für beide Parteien unangemehme, für die Demokraten besonders kritische Unbekannte ist die mögliche Independent-Kandidatur von New Yorks Ex-Bürgermeister Michael Bloomberg. Er könnte dem demokratischen Kandidaten empfindlich Stimmen rauben und somit doch noch eine Trump-Präsidentschaft möglich machen. Das wäre eine Katastrophe. Doch selbst wenn Bernie Sanders die Sensation 2016 nicht schafft, die Zeichen in den USA stehen auf Wandel, nicht dem enttäuschenden Obamawandel, sondern echtem Wandel. 2020 könnte eine Elizabeth Warren vermutlich einen 60%-Triumph für das liberale, progressive Amerika einfahren. Das erzkonservative Fox-News-Amerika liegt im Sterben. Und die größte Lobbykratie der Welt hat sich zumindest schon einen empfindlichen Schnupfen geholt.

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Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

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