Asternweg – Eine Straße ohne Ausweg

Asternweg Warum müssen die Anwohner im "Kalkofen" schmoren? Ein Kommentar über soziale Brennpunkte in Deutschland.

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Am 11.04.2015 zeigte der Privatsender VOX eine erschreckende Dokumentation über den Asternweg in Kaiserslautern, besser bekannt als „Kalkofen“ oder „Kalköfele“. Die Resonanz zur Sendung war überwältigend hoch, viele Zuschauer glaubten nicht, dass es sich tatsächlich um einen sozialen Brennpunkt in Deutschland handeln würde. Anbei der Link zur verpassten Sendung:

"Asternweg - Eine Straße ohne Ausweg"

Die gezeigten Schicksale erinnern stark an „Ghettos“ oder „Slums“, heruntergekommene Orte, denen eine hohe Armutsgefährdung zu Grunde liegt. Wäre man vor einigen Jahren noch davon ausgegangen, dass solche Problembezirke nur in unterentwickelten Ländern existieren würden, bekommt man als Zuschauer dieser Sendung ein ganz anderes Bild vermittelt. Die hohe Arbeitslosigkeit in der Wohnsiedlung am Asterweg zeigt die Schattenseiten unseres Wohlfahrstaates. Im Kalkofen scheinen andere Gesetze zu herrschen, als in gut situierten Großstadtvierteln. Das Leben der Anwohner vom Asternweg in Kaiserslautern ist beispielhaft für eine gescheiterte Sozialpolitik. An diesem Ort wohnen Menschen weit unterhalb der Armutsgrenze. Ohne Heizung und Dusche sind die Kalköfeler auf Lebensmittelspenden angewiesen. Selbst die Sozialarbeiter der Arbeitsbeschaffungsmaßnahme sind davon überzeugt, dass die alkoholabhängigen Männer keine Chance mehr haben, diesem Teufelskreis zu entrinnen. Wenn selbst jene Helfer jegliche Hoffnung auf Verbesserung der Lebensumstände ihrer Klienten verloren haben, wie mag es dann erst den Betroffenen gehen?

Asternweg oder Kalkofen ist überall in Deutschland

Während einige der gezeigten Menschen aufgrund verschiedener Schicksalsschläge abstürzten und letztendlich im Asternweg in Kaiserslautern landeten, gibt es auch Anwohner, die in diese Welt hineingeboren wurden. Im Interview zeigte sich sogar, dass sich diese Menschen mit ihren widrigen Lebensumständen arrangiert hatten. Sie fühlten sich wohl im Kalkofen und waren sogar stolz darauf, in diesem Ghetto geboren zu sein. Allerdings muss man an dieser Stelle auch anmerken, dass die Wohnungen im Asternweg keine normalen Mietwohnungen sind. Für ein geringes Nutzungsentgelt können die Anwohner hier wohnen, natürlich mit eingeschränkten Nutzungsrechten. Da mag es im ersten Moment auch nicht überraschen, wenn Großfamilien gezeigt werden, die ohne funktionierende Gasheizung oder Dusche leben müssen. Wirklich erschreckend daran ist jedoch, dass die heruntergekommenen, teils verschimmelten Baracken als Sozialwohnungen deklariert und vom Staat subventioniert werden, woraus sich ein Teufelskreis entwickelt. Die Anwohner haben aufgrund ihres niedrigen Bildungsniveaus kaum eine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt. Folglich bekommen sie Sozialleistungen, also einen Mindestsatz an Geld, der zum Leben reichen soll. In Kombination mit der vorhandenen Alkohol- und Drogenabhängigkeit führt dies zwangsläufig dazu, dass kaum noch Geld für Lebensmittel vorhanden ist. Einer der Betroffenen musste sogar seinen Strom abmelden, weil er das meiste Geld in Alkohol investiert hatte. Natürlich sind Alkohol- und Tabakwaren Luxusartikel, die nicht von den staatlichen Leistungen mitgetragen werden. Allerdings bedeutet die knappe Bemessung der Entgelte auch, dass selbst ein menschenwürdiges Leben unter diesen Umständen kaum noch möglich ist.

Endstation Asternweg: Der Kalkofen brennt weiter!

Obwohl die Sendung wirklich lobenswert ist, fehlt ein ganz entscheidender Punkt: Die Fehleranalyse! Es werden lediglich traurige Schicksale gezeigt, ohne die eigentlichen Wurzeln zu identifizieren. Man könnte der Sendung sogar unterstellen, dass hier absichtlich eine Atmosphäre kreiert wurde, die der restlichen Bevölkerung als Warnung aufleuchten soll. Dieser Gedanke wird auch darin bestärkt, dass immer wieder folgende Sätze fallen:

„Wird der Betroffene X ein Leben hinter Gittern führen oder gibt es für ihn noch eine Chance auf ein Leben in Freiheit mit Job...“

Schon allein diese Aussage ist ein Widerspruch in sich. Als ob dem Betroffenen geholfen wäre, wenn er im Niedriglohnsektor ausgebeutet und ebenfalls versklavt wird. Es scheint so, als ob es überhaupt keinen anderen Ausweg mehr gibt, außer Knast oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Hier ist auch der Logikfehler unseres Systems zu finden, der kaum Beachtung in der Sendung findet. Wir werden als Arbeitssklaven sozialisiert und durch ein Filtersystem geschickt. Wenn gesundheitliche Einschränkungen oder Kinderwünsche im Wege stehen, findet eine Selektion statt. Wurde man für zu lange Zeit ausgemustert, gibt es keinen Fahrschein mehr zurück. Was bleibt, sind Alkohol oder Drogen, um die Frustrationen zu kompensieren. Wem die Toren zur Qualifizierung und Arbeit verwehrt bleiben, und das obwohl ernsthaftes Interesse an einer Beschäftigung besteht, der muss als Bestrafung im Kalkofen schmoren.

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„Kalkofen“ zeigt Parallelen zu „Kalktown Stories“

An dieser Stelle folgt Werbung und mein persönliches Fazit, das vermutlich nicht jedermanns Geschmack ist. Aber als ich Samstagabend vier Stunden lang vom „Kalköfele“ berieselt wurde, musste ich zwangsläufig an meinen Debütroman mit dem Titel „Kalktown Stories“ denken.Es schien mir fast so, als hätte der Sender meinen Roman als Dokumentation verfilmt. Das liegt nicht nur an der Parallelität der Wörter „Kalkofen“ und „Kalktown“, sondern auch am Inhalt der Story. Doch im Gegensatz zum Sender zeige ich nicht nur das Elend dieser Problembezirke, ich versuche auch Lösungsansätze zu finden. Denn wir haben es hier mit einer Systemlogik zu tun, die grundlegende Fehlentwicklungen aufweist. Unsere Demokratie ist vom Großkapital ausgehöhlt und es ist nur noch eine Frage der Zeit bis der „Kalkofen“ am Asternweg tatsächlich wieder brennt. Eine kleine Elite steinreicher Menschen versucht krampfhaft ein System aufrechtzuerhalten, das einzig und allein das angesammelte Großkapital verteidigen soll. Die Einzelschicksale der Menschen in Europa und schließlich auch im Asternweg sind dieser Elite anscheinend egal. Hier liegt das eigentliche Übel der gescheiterten Existenzen verborgen. Unser Wirtschaftssystem kann nur funktionieren, wenn Lohnarbeiter konsumieren.

Doch wenn Lohnarbeiter aufgrund zunehmender Technokratisierung und vorhandener Systemfehler keine Lohnarbeit mehr finden, wie sollen sie dann noch angemessen konsumieren? Sind flächendeckende Lohnarbeit und Überkonsum in Bezug auf die Verknappung globaler Ressourcen überhaupt noch zeitgemäß? Wenn tatsächliches Interesse daran bestünde, diese Systemfehler zu beheben, könnte viel über Investitionen getan werden. Das Kapital zur Veränderung ist mit Sicherheit vorhanden, nur leider fehlt es immer genau dann, wenn fehlende Renditen zu Investitionshemmungen führen. Lässt sich das Geld nicht vermehren, taugt die Investition nichts. Nur schade, dass nicht die Investoren die Rechnung dafür tragen müssen, sondern die Menschen in den sozialen Brennpunkten, wie beispielsweise im Asternweg.

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Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

E. Sawyer

E. Sawyer (1990) ist das Pseudonym eines deutschen Autors.

E. Sawyer

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