Der Antiheld

Dokumentation Lil Peeps Leben verrät viel über den kaputten amerikanischen Traum. Erst durch seinen frühen Tod bekam seine Musik eine tiefere Bedeutung. Doch wer war dieser Mensch?

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Lil Peep
Lil Peep

Foto: Pascal Le Segretain/Getty Images

Am 19.11.2019 lief in Berlin die einzige Vorführung von „Everybody's Everything – Eine Dokumentation über Lil Peep“ im Kino. Mit nur 21 Jahren verstarb Lil Peep (bürgerlich Gustav Elijah Åhr) an einer Überdosis Fentanyl. Damit wurde er zum Sinnbild des gescheiterten amerikanischen Traums, in dem Todesfälle durch Opioide wie Fentanyl oder Oxycodon zum traurigen Alltag gehören.

Lil Peep war kein normaler Rapper oder Rockstar, er wollte ein völlig neues Musik-Genre kreieren, das sich in keine Schublade pressen ließ. Neben Rap und Emo-Trap, enthielten seine Songs auch Elemente von Post Punk und Indie Rock. Die oft gesampelt wirkenden Aufnahmen werden von Lil Peeps einzigartiger Stimme untermalt, was vielen Songs einen melancholisch anmutenden Strom von passiver Gedrücktheit verleiht. Damit eignet sich seine Musik auch als Instrument zum Verstehen und Aushalten einer Depression. Wer bereits selbst in ähnliche Gedankenwelten eintauchen musste, wird Lil Peeps Gesamtwerk auch noch zukünftig zu schätzen wissen.

Doch Lil Peep war viel mehr als ein Rettungsseil für depressive Außenseiter, die vom Weltschmerz überwältigt wurden. Letztendlich scheiterte er auch am Unverständnis seiner Mitmenschen. Die Tattoos in seinem Gesicht machten ihn zum lebenden Kunstwerk. So ließ er sich unter anderem die Aufschrift „CryBaby“ auf die Stirn tätowieren, was nicht nur der Titel eines seiner Songs war, sondern auch im Zusammenhang mit dem Syrien-Krieg stand. In der Dokumentation wurde deutlich, dass Lil Peep mit seiner Unangepasstheit gegen die Ungerechtigkeiten dieses Systems kämpfte. Er hielt den Kapitalismus für schlecht, merkte aber selbst, wie sehr er in kommerzielle Verpflichtungen eingebunden wurde. Denn mit dem Erfolg kam auch der Druck, permanent funktionieren zu müssen.

Nachdem er die Schule abgebrochen hatte und an die Westküste der USA gezogen war, um mit ziemlich kaputten Leuten abzuhängen, die ebenfalls Musik machten, wurde ihm seine Verantwortung bewusst. Er lebte zeitweise mit vielen Menschen in einer Art Junky-Haus, bot diesen Leuten ein Dach über den Kopf. Er bezahlte deren Lebensunterhalt und sagte niemals Nein, wenn sie seine Hilfe benötigten. Um ihn herum entstand eine schmutzige Zeltstadt, in der Obdachlose und Drogenabhängige auf der Straße am absoluten Existenzminimum lebten. Dieses Elend hautnahe mitzuerleben, prägte auch seine Musik und den damit verbundenen Weltschmerz. Lil Peep wurde während dieser Zeit so sehr vom einstürzenden Gefühl der Hoffnungslosigkeit überwältigt, dass er sich nicht vom Übel der spätkapitalistischen Auswüchse unseres Systems abgrenzen konnte.

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Melancholie und empathische Feinfühligkeit schwingen in vielen seiner Songs mit. Erst durch ihn wurde das schwere Gefühl der Depression wirklich erfahrbar. Seine Mitmenschlichkeit und grenzenlose Hilfsbereitschaft gegenüber den Schwachen und Ausgegrenzten machten ihn zum krassen Antihelden gegenüber den eigentlichen Propheten unserer Zeit, den starken Populisten und emotionslosen Narzissten.

Auf einer letzten Tour im November 2017 wollte Lil Peep seinen Leuten ein Abschiedsgeschenk hinterlassen. Durch gemeinsame Auftritte sollten diese Leute etwas von der Strahlkraft Lil Peeps abbekommen. Denn sein erstes Studio-Album war kurz davor, den Mainstream zu erobern. Sein Management legte ihm nahe, zukünftig neue Wege einzuschlagen und alte Bekanntschaften zurück zu lassen. Diese Botschaft sollte Lil Peep auf der letzten gemeinsamen Tour mit seinen alten Bekanntschaften verkünden.

Schließlich wurde Lil Peep am 15.11.2017 tot in seinem Tour-Bus aufgefunden. Dass er sich letztendlich nie von den alten Strukturen lösen konnte, um das Leben eines gefeierten Superstars genießen zu können, bleibt sein großes Vermächtnis. Denn erst durch seinen frühzeitigen Tod bekamen seine oft amateurhaft aufgenommenen Songs die Relevanz und Tiefe eines historisch bedeutsamen Künstlers. Wer Lil Peep verstehen will, muss sich mit seiner Geschichte auseinandersetzen und akzeptieren, dass es weltweit Verwerfungen und Ungerechtigkeiten innerhalb und außerhalb des kapitalistischen Systems gibt, die sich nicht einfach so wegschleifen lassen wie die weichgespülten Songs eines konformistischen Popstars.

Insofern bleibt Lil Peeps Vermächtnis eine wichtige Mahnung an die Gesellschaft. Er machte sich selbst zum Außenseiter, um den Ausgegrenzten und Schwachen auf dieser Welt eine Stimme zu geben.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

E. Sawyer

E. Sawyer (1990) ist das Pseudonym eines deutschen Autors.

E. Sawyer

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