Mit 17 redet man eben so daher und drauflos: über Sterbensarten, den Unterschied von romantischer Liebe und Sex, Zwangsheirat in Indien, das Verglühen der Erde in ein paar Millionen Jahren und darüber, wie voll süß es ist, wenn der Junge, auf den man einen Crush hat, noch was vom Türaufhalten versteht. Die 17-jährige Paula (Elisabeth Wabitsch), groß, dunkle Locken und Augenbrauen, die eine tolle Kurve zeichnen, redet ein bisschen anders, überlegter, nicht so daher. Im Französischunterricht erklärt sie einmal mit großer Ernsthaftigkeit, aber ganz ohne Pathos, was für Madame Bovary die Liebe bedeutet. Später, bei einem Sprachwettbewerb in Wien, hat sie viel über Proust zu sagen: dass für Proust das Anwesende viel weniger faszinierend sei als das Abwesende, dass Proust zeige, warum die Liebe genau die trifft, die man nicht haben kann, und die Liebe schwindet, wenn man hat, was man begehrt. Dass Proust außerdem eine gute Dosis Eifersucht empfahl, weil er wusste: Die Gewohnheit ist der Tod der Liebe.
Paula lebt im niederösterreichischen Lanzenkirchen im Bezirk Wiener Neustadt-Land, als Externe geht sie dort ins Internat. Es ist nicht so, dass Paula in dieser Welt nicht zu Hause wäre, aber man könnte sie sich auch gut woanders vorstellen: in einem Film von Mia Hansen-Løve etwa. Sie wird jedenfalls nicht in dem Kaff hängen bleiben, dazu ist ihre Welt jetzt schon zu groß. Auch Monja Art, die Regisseurin des Films und in Lanzenkirchen aufgewachsen, ist irgendwann weg, nach Wien. Nach der Matura studierte sie Philosophie und Deutsche Philologie (promoviert hat sie auch), parallel absolvierte sie ein Studium an der Filmakademie der Universität für Musik und darstellende Kunst.
Arts Spielfilmdebüt, in Saarbrücken mit dem Max-Ophüls-Preis ausgezeichnet (Wabitsch bekam einen Schauspielerpreis), speist sich zum einen aus der autobiografischen Erfahrung einer Jugend in der Provinz, einer Erfahrung mit der Beschränktheit der Räume, deren ganz eigener Zeitqualität: Orte wie einsame Bushaltestellen an Landstraßen, Baggerseen, Dorfdiscos, Internatszimmer, die bestimmte Formen der Sozialität erst hervorbringen.
Mitleid, Neugier, Einsamkeit
Zum anderen aus einem cinephilen Wissen: über das französische Kino, dessen Leichtigkeit und erzählerische Offenheit sich der Film zum Vorbild nimmt, oder den US-amerikanischen Highschoolfilm. Die so manipulative wie sexuell offensive Lilli etwa ist die Lanzenkirchener Version eines typischen Highschool-Biests. Noch jedes Gespräch dreht sie in eine sexuelle Anspielung um: „Bist du in Französisch eigentlich auch so gut wie in der Sprache?“
Monja Art entwirft in Siebzehn ein multiperspektivisches Bild der Jugend und des jugendlichen Begehrens – eher jenseits der Heteronormativität als „post“, der Film verfolgt da kein genderpolitisches Programm. Paula also liebt Charlotte. Tim liebt Paula. Charlotte führt eine ziemlich erwachsene Beziehung mit Michael, denkt aber heimlich auch an Paula. Kathrin liebt Mesut und bekommt ihn auch. Lilli hat Sex mit Ronald, steht aber vor allem auf ihre Rolle als Verführerin. Paula und Lilli fangen was miteinander an. Tangler, der schwer verklemmte Französischlehrer, ist auch in Paula verknallt, irgendwie.
Das Begehren zirkuliert in Siebzehn in unvorhergesehenen Bewegungen, selten kommt es dort an, wo es hinwill. So entstehen flüchtige Liebesverhältnisse und wechselnde Konstellationen: weil die Gelegenheit gerade da ist, aus Mitleid, Neugierde, Einsamkeit, Geliebt-werden-Wollen oder weil es mitunter vielleicht doch einfacher ist, Sex zu haben, als eine peinliche Situation noch länger auszuhalten.
Letztlich ist die Liebe aber vor allem eine Idee, die alle auf die eine oder andere Weise in eine gelebte Erfahrung zu übersetzen versuchen. Oft bleibt sie aber auch nur eine Idee. Sehnsucht ist in Siebzehn die tragende Emotion, davon erzählen schon die Blickachsen, die meist unbeantwortet am begehrten Objekt hängen bleiben, weil dieses gerade gewiss woandershin guckt.
Anders als André Téchinés Mit siebzehn (Freitag 11/2017) hat Siebzehn nichts Romanhaftes. Anstatt am großen Erzählbogen zu arbeiten, entfaltet Monja Art die Geschichte eher in seriellen Miniaturen: Gespräche im Schulbus, ein Basketballspiel, Abende in Läden, die Up und Shake heißen, verquatschte Unterrichtsstunden – dabei werden die Dinge weder auserzählt noch künstlich verknappt. Einmal sieht man Paula mit dem psychisch kranken Vater zu Hause am Tisch sitzen. Der Vater hat Geburtstag, Paula hat ihm einen Kuchen gebacken mit einer Kerze darauf, die, kaum ausgeblasen, sich wieder selbst entflammt. Der Vater freut sich über den Scherz, er lacht. Viel mehr Einblick in das familiäre Umfeld gibt es nicht.
Auf angenehm unehrgeizige Weise ist Siebzehn contemporary; eine vergleichbare Mischung aus Zeitlosigkeit und Gegenwartsnähe – und das ohne die Anbiederung an einen angeblichen Zeitgeist – muss man im deutschen Kino (und Coming-of Age-Film) lange suchen. So gelingt es Art zum Beispiel, die mobile Kommunikation so in die Alltagsrealität einzubauen – Textnachrichten oder Displayfenster ploppen immer wieder ins Bild –, dass sie wirklich etwas erzählt, anstatt nur als trendy Schauseite des digitalen Zeitalters herzuhalten.
Nicht selten verrät das WhatsApp-Verhalten Befindlichkeiten und Motive der Figuren: etwa wenn man sich beim Schreiben von Textnachrichten mit der Kategorie „Anmachsprüche“ behilft, Verlustangst und Verwirrung mit der Änderung des Profilbilds zu kaschieren versucht oder demonstrativ offline geht. Aber natürlich ist man als 17-Jährige in der Provinz irgendwie doch immer „im Netz“: spätestens am nächsten Tag in der Schule oder abends im Shake.
Info
Siebzehn Monja Art Österreich 2017, 109 Min.
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